Eine junge Frau erhält eine Covid-Impfung
APA/Wolfgang Spitzbart
Aufgeheizte Debatte

Impfpflicht als letzte Ressource

In Österreich wird derzeit gesetzlich vorbereitet, was etwa in Italien schon seit einem halben Jahr in Kraft ist – die von Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) angekündigte Impfpflicht für Gesundheitsberufe. Populär ist diese Maßnahme nicht, zudem birgt sie das Risiko, dass das ohnehin knappe Pflegepersonal noch knapper werden könnte. Doch Fachleute tendieren zu dem Votum: Ohne Impfpflicht wird es nicht mehr gehen.

Wie eine Umsetzung konkret erfolgen soll, ist noch offen, ebenso die Tatsache, ob die Maßnahme tatsächlich nur im Gesundheitsbereich kommen oder auf den Sozial- und Bildungsbereich ausgeweitet werden soll. Für eine allgemeine Impfpflicht scheint die Zeit nicht reif zu sein – selbst wenn Verfassungsexperten geringe Bedenken hätten und sich auch erste politische Stimmen dafür mehren: Nach Informationen der „Kleinen Zeitung“ will sich der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) bei der Landeshauptleutekonferenz in Tirol für eine solche starkmachen. Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sagte am Donnerstag, über eine Impfpflicht müsse diskutiert werden.

Die Maßnahme könnte „rechtlich einwandfrei“ eingeführt werden, sagte etwa Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk gegenüber ORF.at. Voraussetzung sei, dass Fachleute plausibel darlegen würden, dass diese „wirksam und geeignet“ sei, die Pandemie zu bekämpfen und dass es „keine gleichwertige Möglichkeit“ gäbe – die Impfpflicht gleichsam „Ultima Ratio“ sei. Zu beachten sei freilich, dass Gegenbewegungen nicht ausbleiben würden. Umso wichtiger sei die Ausgestaltung der Maßnahme, sagte Funk: „Dass ein Arzt mit einem Polizisten auftaucht, um die Spritze zu setzen, ist kaum vorstellbar.“

„Indirekte“ Impfpflicht als Szenario

Unter allgemeiner Impfpflicht sei nicht zu verstehen, dass jemand zur Impfung gezwungen werde, aber dass es „Folgen hat, wenn jemand nicht geimpft ist“, sagte auch der Jurist und Rektor der Linzer Johannes-Kepler-Universität, Meinhard Lukas, gegenüber ORF Oberösterreich. „Das kann man juristisch als indirekte Impfpflicht bezeichnen.“

Die Folgen könnten unterschiedlich sein, so Lukas, etwa „ein Selbstbehalt bei einer Behandlung oder dass eine bestimmte Teilhabe am öffentlichen Leben eine gewisse Zeit nicht möglich ist“. Um diese Debatte, die man seiner Ansicht nach bereits im Sommer hätte führen müssen, werde man nicht herumkommen, und „die Menschen haben Ehrlichkeit verdient“ – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Filzmaier und Gartlehner über das Pandemiemanagement

Epidemiologe Gerald Gartlehner und Politikwissenschafter Peter Filzmaier analysieren das Pandemiemanagement der Regierung.

Für den Epidemiologen Gerald Gartlehner von der Donau Universität Krems ist zumindest eine Impfpflicht im Gesundheitswesen „überfällig“, wie er am Dienstag im ORF-„Report“ sagte. Die Angst, dass viele Betroffene kündigen, habe sich in anderen Ländern, wo das bereits umgesetzt sei, nicht bewahrheitet.

Und auch er verwies darauf, dass gelindere Mittel nicht mehr greifen würden: „Ich war immer gegen eine allgemeine Impfpflicht aus demokratiepolitischen Gründen, ich sehe es aber mittlerweile als die letzte Ressource. Auch wenn wir diese Welle brechen, wenn nicht genügend geimpft sind, dann können wir uns schon auf die nächste Welle vorbereiten.“

„Viele lassen sich gewinnen“

Auch Patientenanwältin Sigrid Pilz befürwortete angesichts der „Katastrophensituation“ in der ZIB2 die Impfpflicht. Durch diese sei es möglich, all jene zu schützen, die derzeit nicht geimpft werden können und damit „unbeteiligt“ seien – darunter auch Kinder.

Diskussion mit Sigrid Pilz und Thomas Czypionka

Die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz und der Gesundheitsökonomen Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien sprechen über die aktuelle Lage an den heimischen Spitälern.

So könne man sich zudem für die nächste Welle rüsten. Sie kritisierte „Negativkommunikation“ aus der Politik und betonte, dass das gemeinsame Wohl im Vordergrund stehe. „Viele lassen sich gewinnen“, so Pilz. „Versammeln wir uns hinter einem solidarischen Ziel. Wir müssen einander und der Wissenschaft vertrauen.“

Der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka sagte, man könne eine Impfpflicht in den Raum stellen, wenn man die Quote nicht erreicht, er warnte aber auch vor einer möglichen Spaltung. Derzeit gebe es viele Impfwillige. Auch er verwies bei der Frage nach den Strafen auf die Solidarität. Die Erfahrung mit anderen Ländern sei, dass Strafen bei einer Impfpflicht nicht leicht durchzusetzen seien. Es gebe zudem keine direkte Korrelation zwischen einer Impfpflicht und hohen Durchimpfungsraten, so Czypionka mit Verweis auf Schweden und Italien.

Keine kurzfristige Lösung

Der Virologe Andreas Bergthaler warnte indes, dass eine Impfpflicht eher eine Langfristmaßnahme sei. Bis ein Ergebnis der Impfpflicht zu sehen sei, dauere es mehrere Wochen. Daher handle es sich eher um eine präventive Maßnahme gegen weitere Wellen. In der aktuellen Lage bringe sie aber wenig: „Das Dach brennt, wir müssen löschen“, so der Virologe gegenüber „Wien heute“. Anders verhalte es sich bei der dritten Impfung, diese sollte daher unbedingt angenommen werden – mehr dazu in wien.ORF.at.

Vorschlag: 1.000 Euro für vollständige Impfung

Einen Ausweg dank Anreizen schlug wiederum der Rektor der Med-Uni Graz, Hellmut Samonigg, vor: „Mit Aufklärungsarbeit alleine kommen wir nicht mehr heraus“, sagte er etwa in der ORF-Sendung „Im Zentrum“. Eine Belohnung von bis zu 1.000 Euro könnte die Bevölkerung motivieren, sich vollständig impfen zu lassen, schlägt er vor. Aus Samoniggs Sicht sollten grundsätzlich „alle die, die bereits geimpft wurden, und jene, die sich noch impfen lassen“, eine Impfprämie erhalten: „Man müsste sich aber schon eine soziale Staffelung überlegen, damit es deutlich zugunsten derer geht, die weniger verdienen“, so Samonigg. Sein Vorschlag koste auch nicht mehr als ein vierwöchiger Lockdown – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Ob deren überwiegende positive Einschätzung der Maßnahme für eine Beschleunigung sorgt, ist noch dahingestellt. Wie groß der Widerstand weiter ist, zeigte sich am Dienstag bei einer Demonstration gegen die Impfpflicht für Gesundheitsberufe vor dem Klinikum Wels-Grieskirchen in Oberösterreich.

In Social-Media-Beiträgen hieß es, der Krankenhaus- und Rettungsbetrieb sei dabei gestört worden. Auch entsprechende Bilder und Videos kursierten. Klinik und Landespolizeidirektion dementierten, dass es zu Störungen gekommen sei.