Die Naturwissenschaftshistorikerin und Frauenforscherin Donna Haraway
picturedesk.com/eyevine/Guardian/James Tensuan
Donna Haraway

Philosophin mit Hirn, Herz und Hund

Keine Künstlerin, Kuratorin oder Kunstwissenschaftlerin, sondern, wie es nüchtern heißt, eine „Naturwissenschaftshistorikerin“: Letzte Woche wählte das Magazin „Monopol“ Donna Haraway zur wichtigsten Persönlichkeit der Kunstwelt. Dass die Platzierung dennoch wenig überraschend ist, liegt an der originellen und radikalen Form, in der die US-Amerikanerin versucht, unserer beschädigten Welt zu begegnen. Haraway ist überall, das zeigt auch ein Blick in Österreichs Kulturlandschaft.

„Das Einzige, was wir machen können, ist, positive Dinge zu tun. Uns wieder und wieder gegenseitig dazu anstiften, Dinge anders zu machen“, hört man Haraway im Porträtfilm „Story Telling for Earthly Survival“ von 2017 sagen. Mit starker Gestik und einem herzerwärmenden Lachen sieht man da eine unprätentiöse Mittsiebzigerin sitzen, die angesichts des Zustands der Welt zur Reaktion statt zur Resignation aufruft.

Haraway, geboren 1944, ist emeritierte Professorin an der University of California. Eine Poststrukturalistin, Feministin und zentrale Denkerin in der Frage, wie man auf die Bedrohungen, Verheerungen und Verwerfungen des Anthropozäns reagieren kann – also jenes Zeitalters, in dem sich der Einfluss des Menschen handfest in der Erdgeschichte niederschlägt. Die Probleme – Erderhitzung, Artensterben, Überbevölkerung – sind überwältigend. Und der Einzelne? Was kann der da noch ausrichten?

„Macht euch verwandt“

Haraways Antwort darauf: „Unruhig bleiben“, so auch der Titel ihres letzten 2017 auf Deutsch veröffentlichten, mittlerweile zum Standardwerk gewordenen Buch. Weder Technikoptimismus („Eine Technik wird auftauchen, um die sehr schlimmen, aber schlauen Kinder zu retten“) noch eine zynische „Game-over-Haltung“ hält die Philosophin für angebracht. Den schmalen Grat zwischen überzogener Hoffnung und Verzweiflung beschreitend plädiert Haraway dafür, aus der alten männlichen Erzählung, in der der einzelne Held raumgreifend die Feinde besiegt, auszusteigen – und an ihre Stelle eine neue Art zu setzen, wie Mensch, Tier und Natur einander begegnen sollten.

Der Mensch müsse „lernen, weniger tödlich zu sein“, und sich „entlang erfinderischer Verbindungslinien verwandt machen“. Verwandtschaft, das heißt bei Haraway ein artenübergreifendes Sorgetragen, ein Kollaborieren, sich gegenseitig Unterstützen und Hochhalten von allem, was kreucht und fleucht, von der „listigen Akazie“ bis zur Ameise, den Korallenriffen als „Wälder des Meeres“ oder den Tauben, den „kompetenten Agenten“ im Park. Sie selbst teilte lange den Haushalt mit ihrer „Gefährtin und Forschungspartnerin“ Ms. Cayenne Pepper, einer Australischen Hirtenhündin. Dem innigen Verhältnis geht sie in gleich mehreren Texten nach.

Omnipräsent in Kunst- bis Theaterwelt

Ein neuer Umgang mit der Natur ist auch ein großes Thema in der Kunst – und Haraway ist dabei die „meistzitierte Vordenkerin“, wie das „Monopol“-Magazin nun die Wahl an die Spitze der Einflussreichsten begründet. 2017 war sie bereits auf Platz drei des US-„ArtReview“-Rankings; ein schneller Rundumblick bestätigt die wachsende Relevanz ihrer Thesen.

Szene der Burgtheaterproduktion „Deponie Highfield“
Reinhard Werner
Rene Polleschs „Deponie Highfield“ bei den Wiener Festwochen – nur eine der zahlreichen Haraway-Referenzen in der Kunst

Vom Belvedere über das Weltmuseum bis hin zum mumok oder dem Kunst Haus bezieht sich allein die Wiener Museumslandschaft in Ausstellungstexten und Veranstaltungen vielfach auf Haraway. Im Theater ist sie etwa Titelgeberin des aktuellen Stücks der Grazer Off-Theatergruppe Theater am Bahnhof („Donna Haraway darf Graz doch noch nicht verlassen“), 2019 widmete ihr Rene Pollesch, uraufgeführt bei den Wiener Festwochen, den Abend „Deponie Highfield“. Erst kürzlich gab es mit dem „Open Mind Festival“ an der ARGEkultur einen Haraway-Schwerpunkt in Salzburg. Und auch das Literaturforum im Wiener Kosmos Theater versucht seit April, „Donna Haraway als Sprachgefährtin zu denken“ – das sind nur einige Beispiele.

Von Naturwissenschaft bis Science-Fiction

Auch andere Theoretikerinnen wie etwa Isabelle Stengers und Robin Wall Kimmerer schreiben schon lange gegen vermeintlich eindeutige Grenzen zwischen Naturausstattung und kultureller Formung an – und stoßen dabei den Menschen vom Sockel, um ihn auf dieselbe Stufe mit den „nicht menschlichen Akteuren“ zu stellen. Was Haraway im Gegensatz zu anderen so attraktiv macht? Die US-Theoretikerin bedient ein inspirierend weites, mit Neologismen gespicktes sprachliches Register – und zeichnet sich durch ihre radikale und furchtlos konventionensprengende Arbeitsweise aus.

Naturwissenschaft und Philosophie, Erzählerisches und Alltagspraxis haben bei Haraway genauso ihren Platz wie etwa Science-Fiction. „SF“, so nennt sie auch ihr Verfahren, ein Kürzel, das auch für spekulatives Fabulieren, Spiele mit „string figures“ (zu Deutsch: „Fadenfiguren“) oder spekulativen Feminismus steht.

Mensch-Schmetterling-Mischwesen

Das bedeutet konkret, dass ihr Buch „Unruhig bleiben“ etwa keinen durchgehenden roten Faden hat, sondern ein ganzes Netz von Fäden spinnt, wo Einzelnes immer wieder fallen gelassen und wieder aufgegriffen wird. Und dass Haraway Fiktionales als Mittel nutzt, um eine Welt zu skizzieren, die die Katastrophe die Anthropozäns bereits überwunden hat.

Anhand der mehrfach aufgegriffenen Science-Fiction-Geschichte des Wesens Camille erzählt Haraway etwa von einer menschlichen Transformation, die nur mehr bedingt mit unserem heutigen Dasein zu tun hat: Nach mehreren Generationen existiert Camille ohne Geschlecht, als Mischform zwischen Menschenkind und Schmetterling von der Art der Monarchfalter.

Feministischer Klassiker „Cyborg Manifesto“

Hybridisierungen aller Art sind dabei nichts Neues für die kalifornische Wissenschaftlerin: Mit ihrem inzwischen als feministischen Klassiker gehandelten „Cyborg Manifesto“ (zu lesen etwa in der Aufsatzsammlung „Die Neuerfindung der Natur“) traf sie 1985 den Nerv der Zeit, mit weitem Widerhall in Kunst und Popkultur – auch ein Grund, warum sie aktuell so stark rezipiert wird. Die Auflösung da: zwischen Mensch und Maschine. Ausgehend von der fortschreitenden Technologisierung – etwa mit Kommunikationstechnologien und Reproduktionsmedizin – beschreibt Haraway in dem Text die Utopie einer postmodernen Gesellschaft, die die Grenzen des traditionellen Geschlechts überwindet.

Der Slogan damals: „Ich wäre lieber Cyborg als Göttin.“ Und die neue griffige Message, in „Unruhig bleiben“: „Macht euch verwandt, keine Babys.“ Mit diesem Satz will die Feministin Haraway aber nicht in die Entscheidung einer einzelnen Frau für oder wider das Kinderkriegen eingreifen. Gemeint ist damit vielmehr – angesichts des fortdauernden Wachstums der menschlichen Weltbevölkerung – ein Plädoyer einer Aufwertung anderer, nicht menschlicher Beziehungen. Um, wie Haraway es sagt, ein „Mit-Werden“ aller Lebewesen zu erreichen, statt nur ein „Werden“.