Portrait von Sängerin Adele
Simon Emmett
Neues Adele-Album

Leiden auf hohem Niveau

Nach sechs Jahren meldet sich der größte britische Pop-Export des 21. Jahrhunderts zurück: Adeles neues Album „30“ ist am Freitag erschienen. In zwölf Songs seziert sie mit ihrer gewaltigen Stimme die eigenen Vorstellungen von Kleinfamilie und Liebe – und bilanziert die Einschnitte zu Beginn der vierten Lebensdekade.

Kleine und größere Einblicke in „30“ gewährte die Popikone bereits in den letzten Tagen und Wochen. Anfang Oktober wurde weltweit an markante Bauwerke wie das Brandenburger Tor in Berlin, den Eiffelturm in Paris und das Kolosseum in Rom, aber auch in Russland, Brasilien oder den Philippinen die Zahl 30 projiziert.

Stück für Stück folgten neue Informationen, schließlich die erste Single-Auskopplung „Easy on Me“, die aktuell die US-Billboard Charts anführt und sich in der heimischen Hitliste mit Ed Sheeran auf den ersten Plätzen abwechselt. Schließlich präsentierte Adele vergangene Woche einige der Songs von „30“ vor handverlesenem Publikum wie Schauspieler Leonardo DiCaprio und Popstar Lizzo im Sonnenuntergang in den Hollywood Hills.

Das Konzert, das von Interviewpassagen mit US-Talk-Ikone Oprah Winfrey unterbrochen wurde, wurde als TV-Event aufgezeichnet – und hebt die 33-jährige Londonerin in Sphären der Royals, schließlich wurde das Interview im selben Garten aufgezeichnet wie das skandalträchtige Gespräch von Winfrey mit Prinz Harry und Herzogin Meghan.

Verkaufskönigin des 21. Jahrhunderts

Von der Kindheit mit einer alleinerziehenden Mutter im Nordlondoner Viertel Tottenham bis zum Interview auf den Hollywood Hills liest sich Adeles Karriere wie ein modernes Popmärchen: Von der frühen Begeisterung für die Spice Girls, deren Lieder Adele Laurie Blue Adkin gerne zum Besten gab, über das Studium an der BRIT School for Performing Arts, die mit Absolventinnen wie Amy Winehouse als Kaderschmiede für moderne britische Musikkarrieren gelten darf, bis hin zur frühen Popularität auf der Social Media Plattform Myspace steht Adeles Erfolg für Umbrüche im Musikgeschäft.

Mit ihrem zweiten Album „21“ gelang ihr vor zehn Jahren der internationale Durchbruch, neben 17-fachem Platinstatus allein in Großbritannien verkaufte es sich weltweit 31 Millionen Mal – und machte sie damit zur unangefochtenen Verkaufskönigin des 21. Jahrhunderts. Das zweitmeistverkaufte Album seit 2001 ist Eminems „The Eminem Show“ (2002), bereits auf Platz vier folgt wieder Adeles „25“ (2016) mit 22 Millionen verkauften Downloads und Tonträgern.

Zwischen den beiden Erfolgsalben lagen etwa ein Oscar für den James-Bond-Song „Skyfall“, unzählige Grammys und viel Herzschmerz, die Hauptzutat, die ihre Balladen von „Someone like You“ bis „Hello“ ausmacht.

Rückblick auf ein Schicksalsjahr

Nach der berühmten Formulierung von Ingeborg Bachmann wird man jemanden, der 30 wird, nicht aufhören, jung zu nennen. „Er selber aber, obwohl er keine Veränderungen an sich entdecken kann, wird unsicher; ihm ist, als stünde es ihm nicht mehr zu, sich für jung auszugeben.“ Für Adele bedeutete das einschneidende Alter vor allem eines: die Trennung von ihrem Mann Simon Konecki.

Das Cover-Foto von Adeles neuem Album
Label Columbia International
Adele: „30“, Columbia International/ Sony Music, CD/LP/Download

Es sei ihr peinlich, dass sie „so schnell geheiratet“ habe und sich dann habe scheiden lassen, sagte die Sängerin zu Winfrey. Ihr ganzes Leben sei sie davon besessen gewesen, eine intakte Familie zu haben, „weil ich selbst nie eine hatte“. Ihr eigener Vater hatte ihre Familie verlassen, als sie zwei Jahre alt war, ein Umstand, den sie etwa in „I Drink Wine“ verarbeitet.

Trennung, Verlust und Selbstermächtigung

„Ich habe aufgehört, Alkohol zu trinken“, berichtete Adele im Interview. Der Alkohol habe ihr damals ihren Vater genommen. In diesem April starb er an Krebs. Nachdem sie sich in den vergangenen Jahren angenähert hatten, konnte Adele ihrem Vater immerhin noch das aktuelle Album vorspielen, bevor er starb. „Seine Lieblingssongs waren meine Lieblingssongs, das war unglaublich“, erzählt sie. „Das war alles sehr, sehr heilsam.“

Trennung und Verlust sind die Hauptthemen auf „30“, und Adele leidet auf gewohnt hohem Balladenniveau, besonders berührend etwa auf „My little Love“, in dem Adele Gespräche mit ihrem neunjährigen Sohn Angelo einspielt, dem das Album gewidmet ist.

Neben allen Umbrüchen und Einschnitten bleibt aber auch Platz für temporeiche Songs wie „Oh My God“, der von Selbstermächtigung nach den schwierigen Phasen erzählt und beweist, dass Adeles Ausnahmestimme auch tanzbare Songs trägt wie kaum eine zweite im Gegenwartspop.