Bundespräsident Alexander Van Der Bellen
ORF
Van der Bellen

‚Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren‘

Nach der Entscheidung der Regierung und der Landeshauptleute für einen bundesweiten Lockdown ab Montag und einer geplanten Impfpflicht ab Februar hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen Freitagabend zu Solidarität aufgerufen. Er warnte vor einer Spaltung: „Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren.“

Die Gefahr sei groß, dass „die Gräben noch tiefer werden“: „Das dürfen wir nicht zulassen. Wir gehören zusammen. Wir bedingen einander. Wir alle sind Österreich.“ Die Regierung und die Landeshauptleute hätten angesichts der drastischen Entwicklung in den Spitälern und der zu gefährlichen Situation eine richtige Entscheidung getroffen – „auch wenn sie sehr spät kam“. Es gehe nun darum, Menschen zu schützen und zu retten: „Die kommenden Wochen werden von uns sehr viel abverlangen. Wir alle müssen alles dafür tun, dass die vierte Welle gebrochen wird und die nächste verhindert werden kann“, appellierte Van der Bellen an die Bevölkerung.

In diesem Sinne sprach der Bundespräsident von den Grund- und Freiheitsrechten, die in einer demokratischen Gesellschaft jede und jeder Einzelne habe. „Wir haben aber auch Pflichten – zu handeln, nicht wegzusehen, die Gemeinschaft zu schützen“, sagte Van der Bellen. „Unter den Umständen, in denen wir uns jetzt befinden, wird eine dieser Pflichten die Impfpflicht, die uns helfen kann, weitere Wellen zu verhindern.“ Er fordert einen Blick auf die Lösung: „Gegenseitige Schuldzuweisungen lösen jetzt nichts. Nichts wird jetzt besser, wenn wir mit dem Finger auf die jeweils anderen zeigen und unsere Wut gegen sie richten. Bitte hören wir auf damit.“

Van der Bellen ruft zu Solidarität auf

Angesichts der neuen angekündigten CoV-Maßnahmen ruft Bundespräsident Alexander Van der Bellen zur Solidarität auf.

Lockdown für alle

Am Vormittag hatten Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) nach langem Zögern den vierten Lockdown sowie eine Impfpflicht ab Februar bekanntgegeben. Es gelten Ausgangsbeschränkungen von 0.00 Uhr bis 24.00 Uhr für alle und nicht nur für Ungeimpfte. Ab Montag schließen Gastronomie, Kultur- und Veranstaltungsbranche sowie der Handel außer die Geschäfte des täglichen Bedarfs. Schulen und Kindergärten sollen offenbleiben.

Für alle Arbeitnehmer gilt eine Homeoffice-Empfehlung, in den Arbeitsstätten ist weiterhin 3-G verpflichtend. Eine FFP2-Maskenpflicht gilt in allen geschlossenen Räumen, auch am Arbeitsplatz. Veranstaltungen im Bereich Spitzensport dürfen weiter stattfinden, aber ab Montag nur noch ohne Zuschauer.

Der Lockdown soll rund um die Uhr und in einem ersten Schritt zehn Tage gelten. Nach dem allgemeinen Lockdown werden Einschränkungen für Ungeimpfte bleiben, so der aktuelle Plan der Regierung. Nach zehn Tagen wird die Lage evaluiert. In Oberösterreich wird der Lockdown bis zum 17. Dezember dauern. Dann soll über das weitere Vorgehen entschieden werden – mehr dazu in ooe.ORF.at. Salzburg will sich nicht auf ein genaues Datum festlegen.

Entschuldigung von Mückstein

Nach langen Diskussionen und Verhandlungen der Regierung und der Landeshauptleute, welche CoV-Maßnahmen gesetzt werden sollen, sagte Mückstein am Freitag, es sei eine gemeinsame Entscheidung gewesen. Leider sei man auch als Bundesregierung hinter den eigenen Ansprüchen zurückgeblieben. „Ich möchte mich dafür entschuldigen“, so der Gesundheitsminister. Der Lockdown sei das allerletzte Mittel – „ein Lockdown ist immer eine Zumutung“. Es sei keine populäre Entscheidung gewesen, „aber eine notwendige“.

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne)

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sagte, dass der Lockdown das allerletzte Mittel sei, angesichts der derzeitigen Lage aber notwendig.

Impfpflicht in Vorbereitung

Eine allgemeine Impfpflicht wird ab sofort vorbereitet und soll ab 1. Februar gelten. Wer sich dennoch nicht impfen lassen will, dem drohen Verwaltungsstrafen. „Lange Zeit war es Konsens in diesem Land, dass wir keine Impfpflicht wollen“, so Schallenberg. „Lange, vielleicht zu lange“ sei man davon ausgegangen, dass es auch ohne Pflicht möglich sei, eine hohe Impfquote zu erreichen. Nun müsse man der Realität ins Auge sehen.

„Wir haben mit Anreizsystem gearbeitet“, so Mückstein. Es habe bereits ein erstes Gespräch mit den Sozialpartnern gegeben. Auch Verfassungsrechtler hätten bereits signalisiert, dass eine allgemeine Impfpflicht möglich sei.

Er garantiere eine „ordentliche Begutachtungsfrist“, so Mückstein. In ganz Österreich soll es ab sofort – wie zuvor bereits etwa in Wien – für alle Geimpften die Möglichkeit geben, sich die dritte Impfung bereits nach vier Monaten geben zu lassen.

Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP)

Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) sagte, man müsse der Realität ins Auge sehen. Man sei lange davon ausgegangen, dass es ohne Impfpflicht gehe, es habe sich aber gezeigt, dass man so keine ausreichend hohe Durchimpfungsrate erzielen habe können.

Demonstrative Einigkeit

Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), auch Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, betonte, dass das Gesundheitssystem am Rande der Belastbarkeit stehe. Es sei wichtig, dass Bund und Länder an einem Strang ziehen. Auch wies er darauf hin, dass neben den Regierungsparteien ÖVP und Grüne auch die SPÖ bei dieser Einigung mit an Bord sei.

Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sagte, man habe sich „in Solidarität zu den Bundesländern Salzburg und Oberösterreich“ entschlossen, bundeseinheitlichen Regeln zuzustimmen. „Wir alle wissen, wir werden keinen Schönheitspreis bekommen“, so Ludwig zur unpopulären Maßnahme des Lockdowns. Ihm sei klar, dass der Lockdown für viele Branchen eine einschneidende Maßnahme sei.

Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) meinte, dass es wichtig gewesen sei, den Lockdown mit einer späteren Impfpflicht zu kombinieren, "um nicht alle drei, vier Monate in einen neuen Lockdown zu stolpern“ – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Wirtschaftshilfen und Sonderbetreuung

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) und ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher kündigten in einer Pressekonferenz der Wirtschaft für die Lockdown-Zeit eine Fortführung der Wirtschaftshilfen an. „Wir nutzen den bewährten Instrumentenkoffer. Dadurch sind wir schnell startklar, und die Unternehmer kommen schneller zu ihrem Geld“, so Blümel. Allerdings müssten sich alle geförderten Unternehmen an die CoV-Bestimmungen halten, ansonsten ist die Hilfe zurückzuzahlen.

Die CoV-Kurzarbeit gelte jedenfalls bis Jahresende, decke also den jetzt angekündigten Lockdown ab, so Kocher. Wie es danach weitergeht, sei noch offen. Ab Montag haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen in die Risikogruppe fallen, wieder die Möglichkeit, sich ein Risikoattest zu besorgen und sich im Bedarfsfall freistellen zu lassen.

Der Freistellungsanspruch für Schwangere in körpernahen Berufen ist ohnehin nach wie vor aufrecht, auch könne die Sonderbetreuungszeit unverändert in Anspruch genommen werden, wenn ein Kind in Quarantäne geschickt wird oder an Covid-19 erkrankt, sagte Kocher. Der Minister „empfiehlt“ Unternehmen, Homeoffice zu nutzen.

Neue Hilfen für Kulturbranche

Aufgrund des ab Montag geltenden neuen Lockdowns werden auch in der Kultur Hilfen verlängert und aufgestockt, kündigte die Grünen-Staatssekretärin für Kultur, Andrea Mayer, an. Die Situation für den Kunst- und Kulturbetrieb bezeichnete sie als einen „erneuten Rückschlag, der sich nicht beschönigen lässt“.

Konkret wird der NPO-Fonds bis zum ersten Quartal 2022 verlängert und mit zusätzlichen 125 Mio. Euro dotiert. Die Hilfen im Rahmen der Künstlersozialversicherung werden ebenfalls über November hinaus bis zumindest in das erste Quartal des kommenden Jahres verlängert und von 150 auf 175 Mio. Euro aufgestockt. In den Lockdown-Monaten gelangen pro Antrag 1.000 Euro statt 600 Euro zur Auszahlung.

Solidarität von SPÖ-geführten Ländern

Salzburg und Oberösterreich hatten schon am Donnerstag einen Lockdown ab Montag ausgerufen. Schallenberg und Mückstein waren bereits Donnerstagabend an den Tiroler Achensee gefahren, um mit den für die Landeshauptleutekonferenz zusammengekommenen Ländervertretern über das weitere Vorgehen zu beraten. Widerstand gegen einen österreichweiten Lockdown gab es zuvor in den Reihen der ÖVP: Kanzler Schallenberg hatte wiederholt gesagt, dass es keine Einschränkungen für Geimpfte mehr geben werde.

Auch die ÖVP-geführten Länder Niederösterreich, Tirol und Steiermark waren in den vergangenen Tagen nicht bereit gewesen, dem Vorbild Salzburgs und Oberösterreichs zu folgen. Solidarisch mit Oberösterreich und Salzburg hatten sich die SPÖ-regierten Länder Kärnten, Wien und Burgenland gezeigt. Sie hatten sich – bereits vor dem Verhandlungsergebnis – durchaus zu einem Lockdown für alle bereiterklärt, obwohl zumindest Wien und das Burgenland die vierte Welle deutlich besser im Griff haben.