Privatjet auf einem Flugplatz
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Reiche weichen aus

Ansturm auf Privatjets

Wegen der Coronavirus-Pandemie gibt es immer noch weniger Linienflüge als zuvor. Insbesondere reiche Menschen wollen sich das Reisen per Flugzeug allerdings nicht nehmen lassen und steigen vermehrt auf Privatjets um. Das wiederum führt zu einem Engpass bei Flugzeugen. Und trotz Zeiten der Klimakrise bemüht sich die Branche, ihre Kapazitäten zu erhöhen.

Nach Angaben des Luftfahrtdatenanbieters WingX wurden in diesem Jahr mehr als 4,2 Mio. Flüge mit Privatjets durchgeführt, wobei in den letzten sechs Monaten jeweils eine Rekordzahl erreicht wurde. In der ersten November-Woche waren es um 54 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres und 16 Prozent mehr als 2019. Die Geschäftsführung der Firma verbrachte laut Marine Eugene, Flexjet-CEO für Europa, „die letzten neun Monate mehr oder weniger damit, Flugzeuge zu kaufen“.

Branchenexpertinnen und -experten sagen, dass der steigende Wohlstand der Reichen, vor allem in den USA, den Boom der Privatfliegerei ebenfalls angeheizt hat. Die Nachfrage ist laut „Financial Times“ („FT“) sogar derart groß, dass Flexjet keine neuen Kundinnen und Kunden mehr für sein Einstiegsprogramm „Jet Card“ annimmt.

Interior eines Privatjets
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Besonders bequem – jedoch sind Privatjets nicht nur für die meisten Geldbörsen, sondern auch für das Klima eine Katastrophe

Bei einer weiteren Privatjetfirma namens NetJets schaut die Sache nicht anders aus. Das Unternehmen verzeichnete zuletzt die höchste Flugnachfrage in seiner fast 60-jährigen Geschichte und investierte rund 2,5 Milliarden US-Dollar (2,2 Mrd. Euro) in 100 neue Flugzeuge.

Insider: Jets werden nicht schnell genug produziert

Dabei ist die Nachfrage an Flugzeugen auch bei den Unternehmen höher als das Angebot. Laut der amerikanischen Privatbank Jefferies befinden sich die Bestände an Gebrauchtflugzeugen auf einem historischen Tiefstand: Im Oktober standen nur 861 Flugzeuge zum Verkauf, halb so viele wie ein Jahr zuvor. Doch trotz geringer Anzahl an verfügbaren Flugzeugen steigen die Verkäufe. Das Beratungsunternehmen Ascend erklärte, dass die Verkäufe von Gebrauchtflugzeugen in den ersten neun Monaten des Jahres um fast zehn Prozent höher waren als im gleichen Zeitraum 2019.

„Zum ersten Mal seit langer Zeit sehen wir betrübte Käufer. Die Leute zahlen über dem Verkaufspreis, und es gibt einfach einen Mangel an Verfügbarkeit, den es noch nie gegeben hat“, sagte Anna Kopinski, Analystin bei mba Aviation, zur „FT“. Auch Stephen Williams, Geschäftsführer von Super Legacy, einem Unternehmen, das gebrauchte Jets aufrüstet, kann nicht genügend Teile finden, um die Nachfrage zu decken. „Das Problem ist, dass es im Moment eine enorme Nachfrage gibt und wir die Flugzeugrahmen nicht bekommen können, um sie so schnell zu modifizieren, wie wir es gerne hätten“, sagte er.

Nachfrage „höher als vor der Pandemie“

Daniel Hall, Senior Consultant bei Ascend, gab der Zeitung bekannt, es gebe sogar eine starke Nachfrage an älteren Flugzeugen, die ein höheres Wartungsrisiko und höhere Betriebskosten haben. Der Auftragsbestand für die meisten neuen Flugzeuge beläuft sich laut Hall auf fast zwei Jahre.

Benoit Defforge, Präsident von Airbus Corporate Jets, der Privatjetsparte des gleichnamigen Flugzeugherstellers, zeigte sich davon überzeugt, dass die Nachfrage definitiv „höher als vor der Pandemie“ sei. Zur „FT“ sagte er, der erste verfügbare Auslieferungszeitpunkt für eines der ausgestatteten ACJ220-Flugzeuge sei „Anfang 2024“.

Per Privatjet zur Klimakonferenz

Der Boom der Branche kommt trotz der hohen Umweltkosten: Laut der Jetcharter-Plattform FlyVictor stößt ein Privatjet pro Passagiermeile bis zu 20-mal mehr CO2 aus als ein Verkehrsflugzeug. Anfang November hatten Privatjets bzw. jene Politikerinnen und Politiker, die sie in Anspruch nahmen, für einen Aufschrei bei der Weltklimakonferenz in Glasgow (COP26) gesorgt. In Erklärungsnot gerieten unter anderem EU-Kommissionspräsidentin und „Green New Deal“-Verteidigerin Ursula von der Leyen und der britische Premier Boris Johnson.

Ursula Von der Leyen
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Von der Leyen flog aus Zeitgründen im Juni mit dem Privatjet von Wien ins 70 Kilometer entfernte Bratislava

Ein Regierungssprecher hatte die Reisepläne Johnsons mit dem Flugzeug damit gerechtfertigt, der Premier müsse in der Lage sein, mit erheblichem Zeitdruck zurechtzukommen. Doch Berichten zufolge setzte sich Johnson in seinen Privatjet, just nachdem er eine Brandrede vor versammelter Mannschaft der Staats- und Regierungschefs in Glasgow hielt, beim Kampf gegen den Klimawandel den Worten Taten folgen zu lassen.

„Atemberaubende Heuchelei“

Mit dem Privatjet sei er britischen Medienbericht zufolge anschließend zu einem Dinner in einem exklusiven Club in London, dessen Mitgliedschaft Männern vorbehalten ist, gereist. Er soll dort den früheren Chefredakteur des „Daily Telegraph“ und bekennenden Klimaskeptiker Charles Moore getroffen haben. In einer Mitteilung am Donnerstag hieß es, Johnson habe eines der CO2-effizientesten Flugzeuge seiner Größe in der Welt genutzt – mit dem nachhaltigsten Kraftstoff.

Großbritannien werde alle CO2-Emissionen, die mit dem Klimagipfel in Verbindung stünden, neutralisieren, so die Mitteilung des Briten weiter. „Das ist atemberaubende Heuchelei vom Premierminister“, reagierte Anneliese Dodds von der oppositionellen Labour-Partei gegenüber dem „Mirror“.

„Ökologische Sünde“

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen steht unterdessen wegen eines im Juni erfolgten, rund 20-minütigen Charterflugs von Wien nach Bratislava in der Kritik. Mit dem Auto beträgt die Strecke keine hundert Kilometer. Mit dem Zug dauert die Fahrt etwa eine Stunde. Deutliche Worte kamen dazu unter anderem vom Europäischen Steuerzahlerbund.

Der Flug sei eine „ökologische Sünde“, sagte der Generalsekretär des Steuerzahlerbundes, Michael Jäger, der „Bild“-Zeitung. Neben Steuergeld koste das „vor allem viel Glaubwürdigkeit“. Ein Sprecher der EU-Kommission nannte ebenfalls zeitliche Gründe für den Privatflug von der Leyens.