Frauenministerin Susanne Raab, Gewaltschutzzentren-Vorsitzende Marina Sorgo und Innenminister Karl Nehammer
APA/Georg Hochmuth
Gewaltschutzgipfel

Politik betont Angebote zum Schutz von Frauen

Zum Auftakt der internationalen 16 Tage gegen Gewalt an Frauen findet in Österreich am Dienstag ein Gewaltschutzgipfel statt. Frauenministerin Susanne Raab, Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) und Marina Sorgo, Vorsitzende der Gewaltschutzzentren, hielten am Dienstag eine Pressekonferenz ab, in der sie vor allem die bereits vorhandenen Einrichtungen und Maßnahmen zum Schutz von Frauen zusammenfassten. Eine Kooperationsvereinbarung wurde unterschrieben.

„Gewalt an Frauen ist immer noch traurige Realität“, so Raab. Insbesondere die letzten Tage und Wochen, in denen wieder Frauen von Männern ermordet wurden, würden das zeigen. „Jeder Frauenmord ist einer zu viel“, sagte die Frauenministerin weiter. Täter müssten einerseits „mit voller Härte des Gesetzes“ bestraft werden, andererseits tue man alles, damit „wir in der Prävention besser werden“.

Eine jüngst in Auftrag gegebene Studie, so Raab, zeige vorab, dass Gewalt gegen Frauen und Kinder vor allem in den eigenen vier Wänden und durch Männer verübt stattfinde – etwas, das Aufzeichnungen von Frauenschutzorganisationen und auch des Innenministeriums ebenfalls bereits seit Jahren zeigen. Die aktuelle Studie führte Birgitt Haller, Leiterin des Instituts für Konfliktforschung, federführend durch.

Studie im Frühjahr vollständig

Außerdem habe die Untersuchung der letzten zehn Jahre gezeigt, so die Frauenministerin, dass die Täter jung seien – „viele unter 40 Jahre“. Acht Prozent der Opfer seien Minderjährige gewesen. Die meisten Morde und Mordversuche an Frauen gab es der zitierten Studie zufolge im bevölkerungsreichsten Bundesland Wien. Täter seien zu 33 Prozent Ausländer, wie Raab hervorhob.

Grafik zu Frauenmorden in Österreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: BMI

Die Studie soll bald vollständig vorliegen. Die Daten seien nur ein erster Schritt, wurde betont. Es folgt voraussichtlich bis zum Frühjahr eine qualitative Untersuchung der Fälle, zudem wurde vom Innenministerium eine weitere Studie zum Dunkelfeld bei Gewalt in der Privatsphäre in Auftrag gegeben. Sie könnte noch vor den Weihnachtsfeiertagen präsentiert werden.

Raab ruft Zivilgesellschaft auf den Plan

Mit der Studie im Hintergrund möchte Raab Frauen ermutigen, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Traurige Realität ist jedoch, dass es Österreich bisher nicht geschafft hat, die Zahl der Gewalttaten und Femizide maßgeblich zu verringern. Heuer gab es bereits 28 Frauenmorde. In den letzten zehn Jahren gab es laut Raab 319 Morde und 458 Mordversuche an Frauen. Höhepunkt war 2019 mit 43 Morden.

„Es gibt keine Maßnahme, die zu 100 Prozent Gewalt an Frauen und Frauenmorde verhindern kann“, sagte Raab, um jedoch hinzuzufügen: „Wir sind aber nicht machtlos. Wir müssen alles tun, damit wir im Gewaltschutz besser werden – politisch, aber auch im Zusammenhang mit der Gesellschaft.“ Es gehe um „Zivilcourage“, so die Frauenministerin.

Nehammer verweist auf Polizeiarbeit

Hier schloss auch Nehammer an. „Es ist wichtig, die Polizei ins Spiel zu bringen, da die Polizei rasch helfen kann“, so der Innenminister. „Es kann und wird geholfen, wenn Sie die Polizei rufen.“ Nehammer zufolge wurde im Bereich Gewaltschutz von Frauen der Pool an Polizistinnen und Polizisten von 500 auf 800 aufgestockt. Im letzten Jahr wurden 12.100 Vertretungs- und Annährerungsverbote verhängt, das waren laut dem Innenminister 1.400 mehr als im Jahr davor.

Frauenministerin Susanne Raab, Gewaltschutzzentren-Vorsitzende Marina Sorgo und Innenminister Karl Nehammer
APA/Georg Hochmuth
Raab, Sorgo und Nehammer (v. l. n. r.) wollen weiterhin eng zusammenarbeiten

Das wird Sorgo zufolge auch den Gewaltschutzzentren gemeldet. Jedoch: „Gewalttätiges Verhalten hört selten nur mit einem Betretungsverbot auf“, so die Vorsitzende der Gewaltschutzzentren. Deshalb ergebe es Sinn, verpflichtende Beratung für Gefährder anzubieten. Viele betroffene Frauen seien außerdem erleichtert, wenn sie erfahren würden, dass Gewalttäter auch involviert werden.

Raab: „In Österreich wird keine Frau alleine gelassen“

Wichtig sei jedoch auch, dass durch Medienberichte nicht der Eindruck entstehe, so Sorgo, dass es zu wenig Hilfe für Betroffene gebe. Raab ergänzte: „Es gibt Plätze in Frauenhäusern und auch finanzielle Unterstützung. Da wird in Österreich keine Frau alleine gelassen.“

Beratung für Männer

Raab fasste außerdem die letzten Investitionen gegen Gewalt an Frauen zusammen: 24,6 Millionen Euro für ein Gewaltschutzpaket, das „im Ankommen“ bei den entsprechenden Einrichtungen und Stellen sei, fünf Millionen für Gewaltschutzzentren und drei Millionen für weitere Projekte. Auch Familienberatungsstellen wurde eine Förderung von drei Million Euro bereits zugesagt.

Kooperationsvereinbarung unterzeichnet

Der Schwerpunkt lag laut Raab zuletzt auf dem Thema Cybergewalt, man wolle sich aber auch mehr der kulturell bedingten Gewalt widmen, etwa Zwangsehen und Genitalverstümmelung. Raab nannte die Zahl von 5.000 Mädchen und Frauen in Österreich, die potenziell von Zwangsehen betroffen oder bedroht seien. Es ist jedoch unklar, wie diese Zahl gemessen wurde.

Bei der anschließenden Tagung zum Gewaltschutzgipfel meldeten sich laut den Regierungsmitgliedern rund 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, die den Fachvorträgen diverser Interessenvertretungen beiwohnen werden. Im Anschluss der Pressekonferenz unterschrieben Raab, Nehammer und Sorgo noch eine Kooperationsvereinbarung für eine weitere Zusammenarbeit im Gewaltschutz.

Frauenorganisationen: „Frauenpolitik auf Abstellgleis“

Erst ein paar Tage zuvor hatten Frauenorganisationen wie der Österreichische Frauenring (ÖFR) und die Allianz Gewaltfrei leben vor dem Parlament gegen Vorgaben protestiert, die „Frauenpolitik und Gewaltschutz aufs Abstellgleis“ schieben würden. Im Hohen Haus wurde einstweilen das Frauenkapitel des Budgets 2022 diskutiert.

„Es wäre höchste Zeit, den Gewaltschutz und eine Frauenpolitik, die Frauen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht, endlich mit den nötigen Mitteln auszustatten“, so ÖFR-Vorsitzende Klaudia Frieben. „Dieses Budget zeigt, was die Frauenpolitik der Regierung wert ist.“ „Auf den ersten Blick“ seien die Mittel zwar angehoben worden, „wir können aber nicht nachvollziehen, wofür“, kritisierte die Chefin der Dachorganisation österreichischer Frauenvereine.

Pandemie verschärfte Situation

Auch die Aufstockung im Bereich Gewaltschutz sei angesichts der „wahnsinnig hohen Mordrate“ und weitverbreiteten Gewalt gegen Frauen „viel zu wenig“, meinte Frieben und verwies auf die bekannte Forderung nach Investitionen von 228 Millionen Euro und 3.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen allein für den Gewaltschutz.

Im vergangenen Jahr hätten Frauen zu einem großen Teil die Pandemie geschultert – in systemrelevanten Berufen und in der unbezahlten Care-Arbeit. Zugleich sei die Gewalt gegen Frauen stark gestiegen, hielten die rund 30 an der Kundgebung beteiligten Vertreterinnen von Frauenorganisationen fest. Kinderbetreuung, der Ausbau sozialer Dienste und weitere wichtige Anliegen im Sozialbereich seien offenbar „kein Thema“, wurde kritisiert.

Kinderschutzzentren: Auch Kinder betroffen

Die Österreichischen Kinderschutzzentren hielten unterdessen in einer Aussendung fest, dass dem Thema Kinder und häusliche Gewalt mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Für Kinder stelle häusliche Gewalt eine weitreichende traumatisierende Erfahrung dar, die tief in ihr tägliches Leben und ihre Beziehungsgestaltung eingreife.

„Im Kontext häuslicher Gewalt aufzuwachsen bedeutet, mit allgegenwärtiger Angst und emotionaler Belastung zu leben, weit weg von dem, was mit einer ‚normalen‘ Kindheit in Zusammenhang gebracht wird", so Petra Birchbauer, Vorsitzende des Bundesverbandes Österreichischer Kinderschutzzentren. Partnergewalt sei nicht nur für Frauen belastend. "Wenn wir von Gewaltschutz reden, müssen wir daher dringend auch von Kinderschutz sprechen“, sagte Martina Wolf, Geschäftsführerin der Kinderschutzzentren.

SPÖ fordert „mehr Tempo und endlich Konkretes"

„Es vergeht kein Tag, ohne dass einer Frau in Österreich Gewalt angetan wird“, so SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner in einer Aussendung. „Aber die Regierung setzt noch immer keine konkreten Maßnahmen dagegen.“ Holzleitner forderte „mehr Tempo im Kampf gegen Gewalt an Frauen“. Es gebe noch immer viel zu wenige Hochrisikofallkonferenzen, mit denen der Schutz des Opfers erhöht wird, wenn ein Fall als Hochrisiko eingestuft wird.

„Wir sind im vierten Lockdown und wissen, dass das eine besonders gefährliche Zeit für Frauen und Mädchen ist, weil die meisten Gewalttaten im familiären Umfeld stattfinden“, so die Frauenvorsitzende der SPÖ weiter. „Das bedeutet, dass die Nachfrage nach Hilfe bei Mädchen- und Frauenberatungsstellen jetzt extrem hoch ist. Das Gewaltschutzpaket der Regierung reicht hinten und vorne nicht aus.“

NEOS: „Mehr Geld“

NEOS-Frauensprecherin Henrike Brandstötter forderte indes, das Problem der Gewalt gegen Frauen systemisch zu betrachten: „Wenn wir als Gesellschaft ein sicherer Ort für Frauen sein wollen, dann muss die Gesellschaft auch insgesamt respektvoller mit Frauen umgehen." „Fallkonferenzen, Wegweisungen, Gewaltschutzzentren – das ist alles notwendig und muss laufend verbessert und ausgeweitet werden“, so Brandstötter. „Doch wenn wir das Problem nicht an der Wurzel packen, wird die Politik immer nur mit Symptombekämpfung beschäftigt sein.“

In Österreich seien antiquierte Rollenbilder noch immer viel zu stark und würden auch im Bildungssystem, am Stammtisch und Arbeitsplatz akzeptiert. „Mehr Geld für Frauenschutzorganisationen ist wichtig, aber antiquierte Frauenbilder müssen genauso aktiv bekämpft werden.“