Menschen mit Büroutensilien auf einer Straße
Getty Images/Stone RF/Peter Cade
„Great Resignation“

Großes Kündigen in den USA

Schon länger geistert ein Schlagwort durch die USA: „The Great Resignation“, also das große Kündigen. Beschrieben wird damit die Beobachtung, dass seit geraumer Zeit auffällig viele Menschen ihrem Job freiwillig den Rücken kehren. Und das bei einer stetig wachsenden Zahl an offenen Stellen und mitten in den Wirren einer historischen Krise. Als Initialzündung gilt auch die Pandemie – doch die Wurzeln werden in der Vergangenheit vermutet.

Das Phänomen mit den Namen „Great Resignation“ und „Big Quit“ hat sich etwa ein Jahr nach Beginn der Coronavirus-Krise in den Medien breitgemacht. Seit diesem Frühjahr wird monatlich über deutliche Anstiege der Kündigungsraten durch Beschäftigte berichtet. Zuletzt wurden drei Prozent verzeichnet – das ist der höchste Wert seit Beginn der Messung im Jahr 2011. Gleichzeitig wächst die Zahl der offenen Stellen. Viele Unternehmen kämpfen derzeit um Arbeitskräfte, die Löhne ziehen daher an.

Für Fachleute eine bemerkenswerte Entwicklung – immerhin werden Phasen der Wahlfreiheit von Beschäftigten eher mit Zeiten des Wohlstandes verknüpft. Auch die USA knabbern noch immer an der Krise. Seit Monaten gibt es daher den Versuch, sich dem Phänomen der „Great Resignation“ anzunähern. Mittlerweile liegt ein ganzes Potpourri an Erklärungen auf dem Tisch – und diese fallen alles andere als eindeutig aus. Es sind sich nicht einmal alle sicher, ob es den großen Trend zur Kündigung tatsächlich gibt.

Am Anfang war die Pandemie

So oder so ist es ein gemeinsamer Nenner, der die Debatte über das „große Kündigen“ prägt: die Coronavirus-Krise. Eines der Erklärmodelle sieht sie als großen Bruch, der Beschäftigte zum Umdenken und Umorientieren gebracht habe.

Die „Great Resignation“ sei die Folge einer wachsenden Zahl an zunehmend enttäuschten, schlecht bezahlten, unter großem Effizienzdruck stehenden Beschäftigten, die sich Ungerechtigkeit in Wirtschaft und Arbeitsmarkt nicht länger gefallen lassen wollen. Als Bestätigung dafür wird auch gesehen, dass zunehmend gestreikt wird und die gewerkschaftliche Organisation in den USA eine kleine Renaissance zu haben scheint.

Protest vor der Kelloggs Zentrale in den USA
AP/Battle Creek Enquirer/Alyssa Keown
Unterstützerinnen und Unterstützer eines Streiks bei Kellog’s

Verwiesen wird dabei darauf, dass in den USA viele Branchen traditionell unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden und viele Beschäftigte nur ein löchriges soziales Sicherheitsnetz besitzen. Gemeint sind hierbei oft jene Bereiche, die von der Krise besonders hart getroffen wurden – etwa Gastronomie- und Freizeitbetriebe. Gerade dieser Bereich wurde schon vor der aktuellen Debatte mit erhöhter Kündigungsbereitschaft in Verbindung gebracht.

Schlecht- und Gutbezahlte betroffen

Staatliche finanzielle Hilfen während der Krise hätten vor diesem Hintergrund vielen Familien mehr Spielraum verschafft, um sich beruflich umzuorientieren, glaubt auch der Ökonom Paul Krugman in der „New York Times“. Er verwies auch auf den Ökonomen Arindrajit Dube, laut dem schlecht bezahlte Arbeitskräfte „historisch unterschätzt haben, wie schlecht ihre Jobs sind“. Die Pandemie sei hier quasi zum Moment des Erwachens geworden, und die Menschen würden sich in einer Art Dominoeffekt umorientieren.

Die Debatte dreht sich aber nicht nur um Beschäftigte in schlecht bezahlen Branchen. Auch in Fächern wie der Technik und unter „White Collar Workers“ lasse sich ein Trend zu mehr Kündigungen beobachten, so die „Harvard Business Review“. Hier werden oft die Neuorientierung durch die Pandemie, der Wunsch nach beruflicher Nachjustierung, nach weniger Stress und einer besseren Work-Life-Balance ins Treffen gebracht.

Datenlage unsicher

Doch andere stellen diese Perspektive infrage und warnen davor, die „Great Resignation“ zu überhöhen oder einfache Schlüsse zu ziehen. Zu unsicher sei die Ausgangslage durch die Pandemie, aber auch die Daten müssten mit Vorsicht betrachtet werden. „Derzeit kündigen in den USA drei Prozent der Arbeitskräfte – da sind keine 30 Prozent“, so der Ökonom Jay Zagorsky von der Questrom School of Business in Boston laut BBC. Es sei unklar, welche Rolle die Pandemie wirklich spielt. Die Kündigungszahlen seien bereits 2019 gestiegen, es könnte sich lediglich um eine Konsolidierung handeln.

Zudem gebe es bei Kündigungen viele verschiedene Narrative, die sich nicht über einen Kamm scheren lassen, so Martha Maznevski von der Ivey Business School in der BBC. Es mache einen gravierenden Unterschied, ob man von einem ohnehin guten Job in einen besseren wechseln bzw. sich Selbstverwirklichen wolle oder unter großer Not unter katastrophalen Arbeitsbedingungen arbeite. „Man kann nur kündigen, wenn man eine Wahl hat“ – das gelte etwa auch für Frauen, die aufgrund der Pandemie Arbeit und Kinderbetreuung nicht mehr unter einen Hut bringen können.

Mütter offenbar stark betroffen

Hier zeigt sich laut dem TV-Sender PBS dann auch doch ein Trend: Waren im Jänner 2020 noch 20,1 Millionen Mütter in den USA berufstätig, ist diese Zahl im Jänner 2021 auf 18,5 Millionen geschrumpft – ein Rückgang von acht Prozent. Die mangelnde Sicherheit bei der Kinderbetreuung dürfte deutlichen Einfluss haben. Auf diese Faktoren weisen auch Ökonomen des Finanzunternehmens Barclays hin. Sie sehen in der „Great Resignation“ eine „falsche Fährte“. Es gebe weniger Anzeichen von Massenkündigungen als eine schleppende Rückkehr vieler Menschen auf den Arbeitsmarkt. Das werde sich aber einpendeln.

In jedem Fall ist der US-Arbeitsmarkt derzeit stark in Bewegung. Die Zahl der Menschen im Erwerbsleben ist mit der Pandemie eingebrochen und erholt sich nur langsam. Derzeit liegt sie bei 61,6 Prozent und damit 1,7 Prozent unter dem Niveau vor der Pandemie – in absoluten Zahlen befinden sich damit rund drei Millionen Menschen weniger auf dem Arbeitsmarkt.