Kiste mit CoV-Tests
AP/Lisa Leutner
Testen, testen, testen

Die Folgen des großen Testens

Impfeuropameister ist Österreich sicher nicht, dafür aber fast Testeuropameister: In keinem anderen Land – mit Ausnahme Zyperns – wurde und wird so viel getestet. Dennoch ist in kaum einem anderen Land derzeit die Lage so angespannt. Auf individueller Ebene helfen die Tests einigermaßen, sichere Alltagssituationen zu schaffen. Doch wie sinnvoll ist die flächendeckende und damit kostspielige Teststrategie bei der Pandemiebekämpfung insgesamt?

Derzeit machen die Tests vor allem deswegen Schlagzeilen, weil sie in den meisten Bundesländern nur holprig funktionieren. Das Wiener System soll auf ganz Österreich angewandt werden – wo allerdings ganz andere logistische Probleme warten. Für den und die Einzelne bringt der leichte Zugang zu Tests enorme Vorteile – vor allem wenn man die Mühen von Tests in andern Ländern vor Augen hat. Aber wieso machen das nicht alle anderen Länder auch so wie Österreich?

Schon recht früh in der Pandemie schlug Österreich den Weg ein, möglichst viel zu testen: Im Herbst 2020 wurden zwischen 20.000 und 30.000 PCR-Tests pro Tage eingemeldet, manchmal mehr. Nach und nach kamen auch die schnellen Antigen-Tests dazu. Von der Regierung geplant waren auch – mehr oder weniger verpflichtende – Massentests rund um die Weihnachtsfeiertage. Besonders erfolgreich war der Plan nicht.

Von PCR zu Antigen – und zurück

Dennoch: Die Zahl der freiwilligen Antigen-Tests nahm stetig zu. Als diese mit 13. Jänner 2021 auch ins offizielle Dashboard aufgenommen wurde, explodierte die Zahl der gemeldeten Tests. Bald waren es täglich 200.000 und mehr. Die nächste Steigerung kam mit Ausrollen der Gurgeltests in Wien im Frühjahr und der flächendeckenden Tests in den Schulen.

CoV-Teststraße in Wiener Stadthalle im Dezember 2020
Reuters/Leonhard Foeger
Die Wiener Stadthalle diente als riesige Teststraße

Zwischen 250.000 und 500.000 Tests pro Tag wurden im Sommer durchschnittlich verzeichnet. Mit der Ausweitung der Gurgelprogramme auf die anderen Bundesländer nahm die Zahl in den vergangen Wochen noch einmal stark zu – und das, obwohl in allen Bundesländern außer Wien die Logistik stark holpert.

Hohe Kosten, wenig Nutzen?

Andere Länder folgen dieser Strategie nicht: Nur Zypern testete gerechnet auf die Gesamtpopulation mehr. Hinter Österreich baute nur Griechenland sein Testsystem zuletzt stark aus und holt auf. Dahinter liegt schon abgeschlagen Dänemark – und dann kommt lange nichts.

Grafik zu durchgeführten CoV-Tests in verschiedenen Ländern
ourworldindata.org
Tests im Siebentageschnitt in ausgewählten Ländern

Tatsächlich wurden im Frühjahr und Frühsommer auch in Deutschland und der Schweiz Stimmen laut, in den Schulen wie in Österreich flächendeckend zu testen. Schließlich hatte es Österreich vergleichsweise rasch geschafft, im Frühjahr die Infektionszahlen zu senken – was zumindest teilweise auf die vielen Tests zurückgeführt wurde.

Das Urteil der deutschen Experten und Behörden: Kosten und Nutzen würden in keinem angemessenen Verhältnis stehen. Sinnvoller sei es, nur potenziell Infizierte zu testen – und entdeckte Fälle dann auch schnell zu isolieren. Und: mit Tests besonders vulnerable Gruppen etwa in Spitälern und Alters- und Pflegeheimen zu schützen.

Kaum Fälle im Frühsommer: Kritik an Schultests

Im Mai und Juni wurde auch in Österreich die Kritik an den Schultests lauter: Es würden enorme Kosten anfallen, das Geld könnte gerade im Schulsystem besser verwendet werden. Positive Fälle müsse man in Zeiten weniger Infektionen mit der Lupe suchen, stattdessen gebe es bei den verwendeten „Nasenbohrertests“ sehr viele – teilweise um die 30 Prozent – falsche, in der Regel falsch-positive, Ergebnisse. Befürworter, allen voran das Bildungsministerium, verweisen darauf, dass Schule ein sicherer Ort sein müsse. Logischerweise ging es auch um das subjektive Sicherheitsgefühl der Eltern.

Kosten in Milliardenhöhe

Die Kosten der Tests sind in der heimischen Politik kaum ein Thema, lediglich die veranschlagten 67 Millionen Euro für die Massenscreenings zu Weihnachten 2020 ließen kurz die Wogen hochgehen. Mittlerweile sind im AGES-Dashboard rund 106 Millionen Tests verzeichnet. Nicht inkludiert sind die Tests in Apotheken, die auch von der Regierung vergütet werden.

Auch die „Nasenbohrertests“ sind nicht inkludiert. Die Kosten gehen jedenfalls in die Milliarden, im Sommer war von zwei die Rede. Mit dem Ausrollen der Gurgeltests, die die weniger genauen Antigen-Tests jetzt flächendeckend ersetzen, wird es wohl noch um einiges mehr.

Für die Bevölkerung ist das niederschwellige und vor allem kostenlose System praktisch – einen solchen Luxus gibt es in wenigen anderen europäischen Ländern. Abgesehen von weniger Angeboten sind in den meisten Ländern die Tests ohne Infektionsverdacht kostenpflichtig – zwischen 50 und 120 Euro können für einen PCR-Test anfallen. Antigen-Tests kosten durchschnittlich zwischen zehn und 30 Euro.

Testen statt impfen?

Der Preis, den Österreich für dieses Angebot zahlen muss, schlägt sich nicht nur im Budget nieder: Mit der Einführung der 3-G-Regel wurde – und das europaweit – der Test dem Geimpft- und dem Genesensein quasi gleichgestellt. Mit dem – im Ländervergleich – breiten Testangebot funktionierte diese Gleichsetzung in Österreich wohl anders als in weiten teilen Europas. Und obwohl immer wieder darauf verwiesen wurde, dass ein Test nur eine Momentaufnahme und eben kein Schutz ist, setzt sich in manchen Köpfen der Test als Impfersatz fest. Zumindest argumentieren Ungeimpfte immer wieder, dass sie ohnehin dauernd testen müssen.

Kurz war auch die Abschaffung der Gratistests im Spätsommer ein Thema, angesichts der vierten Welle verschwand die Debatte sofort wieder. Dennoch hat die österreichische Testlösung möglicherweise auch zu der niedrigen Impfquote beigetragen.

Mehr Tests, mehr Fälle

Möglichst breite Tests haben prinzipiell den Sinn, mehr Infizierte möglichst früh zu entdecken, also einerseits Personen ohne Symptome und andererseits Infizierte, bevor sich Symptome entwickeln und sie auch infektiös werden. Das ergibt ein Paradoxon: Um die Ausbreitung zu verhindern, werden mehr Fälle entdeckt.

Genau das muss auch bei den Fallzahlen und Epidemiekurven bedacht werden: Die erste Welle 2020 erscheint in der Epidemiekurve winzig – weil kaum getestet werden konnte und die Dunkelziffer weit höher war als später. Auch bei der zweiten Welle im Herbst 2020 standen noch keine flächendeckenden Tests zur Verfügung. Auch eigentlich klare Fälle flossen nicht immer in die Statistik ein: Zum Teil wurden in einigen Regionen Infizierte trotz Symptomen nicht PCR-getestet, sondern gleich in Quarantäne geschickt. Diese fielen übrigens auch um ihr Genesungszertifikat um.

Krankenhausdaten belegen Ernst der Lage

Wenn also die vierte Welle in der Darstellung weit höher erscheint, dann ist das auch ein Effekt der vielen Tests – und Österreich hat vielleicht im Vergleich zu anderen Staaten frühere und genauere – und damit höhere Fallzahlen. Von einem „Labortsunami“ kann freilich keine Rede sein: Die Belagszahlen in den Spitälern und vor allem auf den Intensivstationen sprechen eine deutliche Sprache, wie ernst die Situation ist.

Dass dort, wo mehr getestet wird, auch mehr Fälle gefunden werden, schlägt sich auch in den heimischen Zahlen nieder: Spätestens seit der flächendeckenden Einführung der Gurgeltests an Schulen kann davon ausgegangen werden, dass dort die Dunkelziffer gering ist. Das ist einer der Gründe dafür, dass in der Gruppe der Fünf- bis 14-Jährigen seit Wochen die 7-Tage-Inzidenz, also die positiv Getesteten in einer Woche pro 100.000 der Altersgruppe, bei Weitem am höchsten ist – nebst dem Faktum, dass die Gruppe wegen der späteren Zulassung (ab zwölf Jahren) bzw. jetzt laufenden Zulassung (ab fünf) am wenigsten geimpft ist.

Kind macht Gurgeltest in Schule
Reuters/Leonhard Foeger
Im Frühjahr wurde in den Schulen nasegebohrt, mittlerweile wird auch gespült

Rund 35 Prozent asymptomatisch

In der Forschung, zuletzt in einer im Sommer veröffentlichten Metastudie, geht man davon aus, dass rund 35 bis 40 Prozent aller Infektionen asymptomatisch verlaufen. Auch symptomatisch ist ein weiter Begriff, der von Halskratzen und leichtem Husten bis zur schweren und lebensbedrohlichen Erkrankung reicht. Bei Jüngeren ist der Anteil der Infektionen ohne Symptome den Studien nach häufiger.

Das belegen auch Daten der AGES in Österreich, die im Rahmen der Untersuchungen zu Impfdurchbrüchen veröffentlicht werden. Bei den Zwölf- bis 17-Jährigen sind es hier heuer 44 Prozent ohne Symptome – wohlgemerkt bei einer mittlerweile fast lückenlosen Testung der Altersgruppe.

Wer testet, wer nicht?

Zumindest ähnlich könnte man die geografischen Unterschiede bei Tests in Österreich sehen: Wien war mit seinen Testangeboten zunächst schon mit den Antigen-Teststraßen und danach mit dem seit Monaten etablierten „Alles gurgelt“-System plus den Apothekentests mit kaum einer Region in Europa in Sachen Testdichte vergleichbar.

Doch wer das Angebot annimmt und wer nicht, hat großen Einfluss auf die Wirksamkeit: Wer ohnehin vorsichtig ist und sich auch früh impfen ließ, neigt dazu, eher regelmäßig zu testen, zeigten Umfragedaten des CoV-Panels der Universität Wien schon vor einigen Monaten. Eine neue Umfrage zeigt, dass zuletzt die Ungeimpften häufiger und öfter testeten – wohl auch aufgrund der 3-G-Regel. Doch auch hier gibt es 20 Prozent, die angaben, nie zu testen. Und umgekehrt testet ein Gutteil der Geimpften weiterhin regelmäßig.

Testmetropole Wien

Dass in Wien dennoch die im Bundesländervergleich geringste Inzidenz zu verzeichnen ist, mag neben strengeren Maßnahmen schon im Sommer auch den enormen Testmöglichkeiten zu verdanken sein. Möglicherweise wurde zumindest bei den Testwilligen so viel getestet, dass die Regel „mehr Tests, mehr Fälle“ durchbrochen wurde. Bis vor Kurzem wurden in Wien pro Woche fast zwei Millionen Tests vermeldet – das entspricht in etwa der Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner. Derzeit kommen wohl lockdownbedingt 85.000 Tests auf 100.000 Einwohner.

Laborkräfte werten Gurgeltests aus
AP/Lisa Leutner
Mit der Pooling-Methode können Tausende Tests rasch ausgewertet werden

Auf Platz zwei ist derzeit Salzburg mit 45.000 Tests pro 100.000 Menschen. In der Steiermark, Oberösterreich und dem Burgenland liegt Testquote pro Woche bei einem Viertel der Bevölkerungszahl, in Tirol, Niederösterreich und Kärnten bei 15 Prozent und in Vorarlberg bei rund zehn Prozent – mehr dazu in ORF.at/corona/daten.

Das sind freilich Momentaufnahmen zum derzeitigen Status der Pandemie und der Testangebote. Und die Zahlen bedeuten nicht, dass ein genauso großer Prozentsatz der Bevölkerung tatsächlich wöchentlich einen Test macht: Vieltester erhöhen den Schnitt, Testverweigerer senken ihn.

Mehr Fälle vor Infektiosität entdeckt

Ob die Vielzahl an Tests – abgesehen vom Einzelfall – auch in der Pandemiebekämpfung wirkt, ist also eine schwierig zu beantwortende Frage. Ein Indiz ist die Kurve der entdeckten symptomatischen Fälle. Diese zeigt, solange die Daten noch nicht vollständig sind, in den vergangene Tagen zumeist stark nach unten – mit den Datenkorrekturen wird der Verlauf aber geändert, und die Kurve steigt. Eine Erklärung dafür ist, dass die Infizierten zum Zeitpunkt des Tests noch asymptomatisch waren und erst später Symptome und auch die stärkere Infektiosität einsetzten – die dann auch in den Daten korrigiert werden. Damit hätten die Tests ihre Aufgabe auch erfüllt.

Allerdings scheint der Aufwand dafür enorm. Laut Ampelkommission variiert der Anteil der entdeckten (noch) Symptomlosen je nach Bundesland stark: In Wien sind es 58 Prozent, in Tirol ein Prozent und in Vorarlberg zwei. Im Bundesschnitt sind 24 Prozent der Infizierten bei Testabnahme ohne Symptome.