Hausfrau beim Backen, 1958
picturedesk.com/akg-images/Dodenhoff
Die Rolle der Hausfrau

Erst erfunden, dann entwertet

Patchworkfamilien hat es im Mittelalter ebenso gegeben wie selbstständige Händlerinnen und Brauerinnen. Erst viel später wurde die Kernfamilie zum vermeintlichen Ideal – und mit ihr die Rolle der umsorgenden Hausfrau. In ihrem Buch „Die Erfindung der Hausfrau“ beschreibt Evke Rulffes diesen Wandel, der dazu führte, dass Mütter heute zwischen Care- und Erwerbsarbeit zerrissen werden. Und sie spricht die Frage aus, die viel zu selten gestellt wird: Warum wird Frauen überhaupt die vorrangige Zuständigkeit für Kinder und Haushalt zugeschrieben?

Nach dem Tod ihrer Großmutter fanden sich in deren Keller große Einmachgläser „mit undefinierbarem Inhalt“, die seit den 1960er Jahren verschmäht worden waren, erzählt die Autorin und Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes. Die Einmachgläser stehen hier auch als Sinnbild für die mühsame Arbeit vieler Frauen, bevor Konservendosen, Kühlschrank und Tiefkühltruhe Einzug in die Haushalte fanden.

„Für meine Großmutter war die Konservendose ein Segen“, schreibt Rulffes in ihrem Buch „Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung“. Seit einiger Zeit lasse sich aber – vor allem in der bürgerlichen Mittelschicht – ein gegenteiliger Trend beobachten: „Fertiggerichte sind verpönt, Einmachen, Kochen und Backen en vogue“.

Die Konstruktion der „Hausfrau“

Die Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes rekonstruiert in ihrem Buch und im Gespräch mit dem ORF die Erfindung und Entwicklung der Hausfrau.

TV-Hinweis

Ein ausführlicher Beitrag zum Begriff der „Hausfrau“ läuft am Montag um 22.30 Uhr im „kulturMontag“.

Geburtstagstorte als Symbol der Liebe

Natürlich könne es Spaß machen, Dinge selbst herzustellen, stellt Rulffes klar. Es könne aber auch zu enormem Druck führen, etwa dann, wenn es erwarteter Standard ist, zum Geburtstag des Kindes mindestens vier Kuchen zu backen – einen für den Geburtstagsmorgen, einen weiteren für den Kindergarten oder die Schule und dann noch mindestens zwei für Geburtstagspartys in der Familie und mit Freunden und Freundinnen. „Die selbst gebackenen Kuchen symbolisieren die Liebe für das Kind“, schreibt Rulffes. Auch nur einen davon zu kaufen, komme für viele einem Tabubruch gleich.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, dass es für das Wort „Rabenmutter“ kaum begriffliche Entsprechungen in anderen Sprachen gibt. Nur im deutschsprachigen Raum hält sich der misogyne Begriff für berufstätige Frauen, die sich angeblich nicht genügend um ihre Kinder kümmern, hartnäckig. Und auch das Gegenteil, die „Glucke“, wird abwertend für eine Mutter verwendet, die es angeblich mit der Fürsorge übertreibt.

250 Jahre Wiener Prater

Der Wiener Prater ist ein mythisch aufgeladener Ort des Vergnügens und des Abseitigen, eine Zone des permanenten Karnevals. Dort befindet sich mit der neuen Wirtschaftsuniversität auch eine Denkfabrik, an seinen Rändern schießen Neubauten in die Höhe. Joseph II öffnete seinem Volk das sechs Quadratkilometer umfassende Jagdgebiet der Hocharistokratie. Zum Jubiläum richteten im März 2016 das Wien Museum und das Jüdische Museum große Schauen aus.

Ständige Bewertungen

Mütter seien ständig mit Bewertungen konfrontiert, so Rulffes: „Das betrifft vor allem den Umgang mit Kindern, der einem großen gesellschaftlichen Druck unterworfen ist und in einem permanenten schlechten Gewissen hauptsächlich der Mütter resultiert.“ Und dieses schlechte Gewissen verwechsle Kinderbetreuung mit Liebe.

 Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes
HarperCollins
Die Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes lebt in Berlin

Mit ihrem Buch wollte sie aber nicht „in die Falle tappen, ein strukturelles Problem zu einem individuellen zu erklären“, sondern der Frage nachgehen, woher der gesellschaftliche Anspruch an die Perfektion der Mutter kommt und wie er mit dem Modell der Hausfrau zusammenhängt. Denn der Ursprung der Verwechslung von Kinderbetreuung mit Liebe lasse sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen.

Patchwork ist älter als die Kernfamilie

„Die Hausfrau ist eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts“, schreibt Rulffes. Und auch Patchworkfamilien seien keine Erfindung moderner Gesellschaften. Im Mittelalter seien selbstständige Handwerkerinnen, Händlerinnen, Ärztinnen, Wirtinnen und Bierbrauerinnen – mit oder ohne Ehemann – keine Seltenheit gewesen. Nur etwa die Hälfte der Bevölkerung sei verheiratet gewesen, Kinder hatten viele dennoch. „Die statische Kernfamilie, wie wir sie kennen, existiert erst ab dem 20. Jahrhundert.“

Historische Haushaltsratgeber, aus denen Rulffes zitiert, veranschaulichen den gesellschaftlichen Wandel, der sich im 18. Jahrhundert vollzog: Diese Ratgeber seien „immer wieder von Hinweisen auf die Verteilung von Geschlechterrollen durchzogen, egal, ob sie explizit patriarchale Strukturen befürworten oder diese in subtiler Weise und wie nebenbei propagieren“.

Spannend erzählt und umfangreich recherchiert zeichnet Rulffes in „Die Erfindung der Hausfrau“ nach, wie sich die Rolle der Frau und Mutter seit dem 18. Jahrhundert entwickelt hat und schließlich zum heutigen Status quo geführt hat: „Die fast alleinige Verantwortung für das Wohlergehen der Kinder wird den biologischen Müttern zugeschrieben, vor allem auch von anderen Müttern.“

Cover des Buches „Hausfrau“ von Evke Rulffes
HarperCollins

Buchhinweis

Evke Rulffes: Die Erfindung der Hausfrau. HarperCollins, 288 Seiten, 22,95 Euro.

„Es ist nie richtig“

Es sei egal, wofür sich eine Frau entscheidet, die Familie hat: „Es wird immer bewertet und es ist nie richtig“, sagt Rulffes im ORF-Interview. „Ob sie arbeiten geht oder die Kinder länger betreuen möchte. Ob sie Teilzeit, Vollzeit oder gar nicht erwerbstätig ist.“ Der gesellschaftliche Druck habe in den letzten Jahren stetig zugenommen. Die Aufmerksamkeit, die Mütter ihren Kindern schenken müssen, steige ins Unermessliche. Mittlerweile werde das zwar auch von den Vätern ein bisschen verlangt, vor allem aber immer noch von den Müttern.

Erst im 18. Jahrhundert habe man angefangen, der Frau „diese natürliche Bestimmung einzutrichtern, diese Idee, dass die Frau von Natur aus dazu da wäre, den Haushalt zu führen“. Ab dem Moment, in dem Haus- und Care-Arbeit nicht bezahlt sind und eine Wirtschaft auf Geld basiert, werde diese Arbeit nicht mehr als etwas angesehen, das etwas wert ist.

Rulffes zitiert im ORF-Gespräch auch die Wiener Scheidungsanwältin Helene Klaar, die 2016 im Interview mit dem „SZ-Magazin“ über das Gelingen ihrer Ehe sagte: „Mein Mann und ich sind der Meinung, dass an allem wirklich Schlechten der Kapitalismus schuld ist. Daher lassen wir uns nicht gegeneinander hetzen.“

„Warum zur Hölle?“

Zum Glück gebe es heute Diskussionen und mehr Bewusstsein darüber, dass Haus- und Care-Arbeit sehr viel mehr wertgeschätzt werden sollte. Gleichmäßig verteilt sei sie aber immer noch nicht. Und das halte Frauen in unterbezahlten Jobs, die sie in die Armutsfalle stolpern lassen, sobald der Hauptverdiener krank wird, stirbt oder sie sich von ihm trennen, so Rulffes. „Und da frage ich mich: Warum eigentlich? Und warum ist es so schwer, das aufzubrechen?“

ORF-„Wir“-Beitrag 1977 über Hausfrauen

In den 60er Jahren gab es noch die Wahl zur bravsten Hausfrau. 1977 wurde bereits kritisch-emanzipatorisch berichtet, wie am Beispiel dieses „Wir“-Beitrags zu sehen ist.

Rulffes stellt damit jene Fragen, die all den Debatten über Vereinbarkeit zugrunde liegen sollten, und sie stellt sie wie einen großen Elefanten mitten in den Raum: „Warum zur Hölle sind Frauen für eine so lange Zeit, so selbstverständlich und so unhinterfragt, für den Haushalt und für die Kinder zuständig gemacht worden? Warum wird das nicht hinterfragt? Warum ist das die Normalität?“

Fragen, die in einer Gesellschaft viel öfter gestellt werden sollten, in der große Teile – Männer wie Frauen – immer noch davon ausgehen, dass Kinder mehr zur Mutter „gehören“ als zum Vater. In der es als selbstverständlich gilt, dass eine Frau ein (abgestilltes) Baby besser versorgen kann als ein Mann. Und in der die Behauptung, ein Kind brauche die Mutter mehr als den Vater, wie ein Mantra so oft wiederholt wird, bis alle glauben, sie sei wahr.