Schweden hatte in seiner modernen Geschichte mehr als 30 Ministerpräsidenten – es waren allesamt Männer. Löfven hatte Andersson bereits zuletzt den Vorsitz der Sozialdemokraten überlassen. Nun sorgte eine spät erzielte Vereinbarung mit der Linkspartei letztlich dafür, dass die bisherige Finanzministerin im Stockholmer Reichstag die erforderliche Rückendeckung erhielt. Andersson reichte es, dass sich keine Mehrheit im Reichstag gegen sie aussprach.
Aufgrund der engen Mehrheitsverhältnisse fiel die Abstimmung enorm knapp aus: 174 Abgeordnete stimmten gegen sie – 175 Nein-Stimmen im 349 Sitze großen Parlament wären notwendig gewesen, um ihren Weg ins Amt der Regierungschefin zu blockieren. Zuletzt hatte Andersson von Parlamentspräsident Andreas Norlen den Sondierungsauftrag zur Regierungsbildung erhalten. Norlen schlug sie zu Wochenbeginn schließlich für das höchste politische Amt des Landes vor.
Äußerst brüchige Mehrheitsverhältnisse
Mit den Linken verhandelte Rot-Grün zu diesem Zeitpunkt schon tagelang über eine Vereinbarung – letztlich mit Erfolg: Am Dienstagabend stand eine Abmachung zur Erhöhung der niedrigsten Pensionen – was auch bedeutete, dass sich die Partei im Parlament nicht gegen Andersson stellen würde.
Die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag sind seit dem Erstarken der rechtspopulistischen Schwedendemokraten äußerst brüchig: Rot-Grün hat gemeinsam nur 116 der 349 Parlamentssitze inne, die Opposition hätte Andersson also mit deutlicher Mehrheit den Weg versperren können. Die Zentrumspartei und die Linken, die im Sommer auch Löfven bei einer solchen Abstimmung durchgewunken hatten, enthielten sich jedoch. Damit wurde Andersson knapp bestätigt.
Andersson wird Ministerpräsidentin
Die Sozialdemokratin Magdalena Andersson wird die erste Ministerpräsidentin Schwedens. Sie erhielt bei der Abstimmung im Parlament eine knappe Mehrheit. Die 54-Jährige folgt damit auf Stefan Löfven, der seit 2014 amtierte und vor zwei Wochen seinen Rücktritt einreichte.
Andersson erbt von ihrem Vorgänger Löfven allerdings gleich mehrere Probleme: Zum einen ist die Pandemie, in der Schweden einen Sonderweg mit vergleichsweise lockeren Maßnahmen gewählt hatte, auch im hohen Norden der EU bei Weitem nicht durchgestanden. Zum anderen ringt das skandinavische Land seit Längerem mit einer grassierenden Bandenkriminalität.
Sinkende Werte und abgebaute Tabus
Auch in anderer Hinsicht steht die neue Premierministerin vor einer schwierigen Aufgabe: Die Sozialdemokraten nähern sich in Umfragen ihren niedrigsten Zustimmungswerten in der Geschichte. Auf der anderen Seite haben die Konservativen ihre klare Abgrenzung von den Schwedendemokraten aufgegeben und wären bereit, gemeinsam mit diesen zu regieren. Das würde neue, früher nicht mögliche Mehrheitsverhältnisse schaffen.
Beobachterinnen und Beobachter sehen in diesem Umstand auch den Grund für Löfvens überraschende Entscheidung, sein Amt als Ministerpräsident weniger als ein Jahr vor der Parlamentswahl aufzugeben. Sein Rücktritt gibt Andersson und der Partei die Möglichkeit, sich neu aufzustellen und unter neuer Führung in den Wahlkampf zu gehen.
Enge Löfven-Vertraute
Andersson ist eine enge Vertraute des ehemaligen Regierungschefs und hat doch einen gänzlich anderen Hintergrund als der ehemalige Metallgewerkschafter Löfven: Mit 16 trat sie den Sozialdemokraten bei. Während ihres Studiums an der elitären Handelshochschule Stockholm engagierte sie sich in der Parteijugendorganisation. 1996 wurde sie Mitarbeiterin des damaligen Ministerpräsidenten Göran Persson.
Seitdem wechselte sie zwischen Parteiämtern und hohen Beamtenposten. Zu Beginn sei sie zunächst dem linken Flügel der Partei zuzurechnen gewesen, meinen Expertinnen und Experten – den „pragmatischen“ Kurswechsel der Sozialdemokraten hin zur politischen Mitte habe sie aber gänzlich mitgetragen.