Reisende vor Thanksgiving am Flughafen von Miami (USA)
AP/Marta Lavandier
Thanksgiving und CoV

Chicago will nicht Österreich werden

Thanksgiving ist in den USA das fast wichtigste Familienfest des Jahres. Millionen Menschen nehmen lange Reisen auf sich, um die Verwandtschaft zu besuchen – beinahe annähernd so viele Flugpassagiere wie vor dem Coronavirus-Ausbruch werden erwartet. Angesichts steigender Neuinfektionsszahlen ist die Diskrepanz zwischen Vorfreude auf unbeschwerte Tage und sich rüstenden Spitälern groß. US-Experten sind vorsichtig alarmiert – mit Blick auf Europa und explizit auch Österreich.

Schon im letzten Jahr trotzten viele US-Amerikaner den Warnungen und ließen sich die Reise zum traditionellen Truthahnessen nicht nehmen. Heuer sind die Vorzeichen andere: 194 Millionen Menschen – 59 Prozent der Bevölkerung – sind vollständig geimpft, die Booster-Impfung ist für alle sechs Monate nach dem Zweitstich empfohlen, 20 Prozent der über-18-Jährigen haben die Auffrischung schon in Anspruch genommen. Auch Kinder ab fünf Jahren sind seit Anfang November im Impfprogramm.

Anders als im letzten Jahr sind breite Testmöglichkeiten vorhanden. Dass das alleine angesichts der Ausbreitung der Delta-Variante nicht wirkt, zeigt das Beispiel von anderen Ländern mit höherer Impfquote, nicht zuletzt Österreich.

Reisende vor Thanksgiving am Flughafen von Denver (USA)
AP/David Zalubowski
Wer kann, reist zu Thanksgiving nach Hause, schon seit vergangenem Wochenende ist das Passagieraufkommen stark gestiegen

Angst vor „österreichischem Weg“

Auch die „New York Times“ („NYT“) zog diese Woche den Vergleich: „Die Entwicklung des Virus in Europa, wo Österreich in einen erneuten Lockdown gehen musste und auch Deutschland in einigen Regionen die Weihnachtsmärkte schließen musste, lässt befürchten, in welche Höhen auch in den USA die Zahlen wieder schnellen könnten.“ Das Allerletzte, was sie sich wünschen würde, sei das tun zu müssen, was Österreich tun musste, erklärte die Gesundheitsbeauftragte von Chicago, Allison Arwady, gegenüber der „NYT“: „Ich will wirklich, wirklich nicht, dass wir diesen Weg gehen müssen.“

Dennoch halten sich die Experten – anders als im Vorjahr – zurück mit den Warnungen vor Reisen und großen Familientreffen zu den Feiertagen. „Besteht die Gefahr einer gewissen Ausbreitung? Ja natürlich,“ so Arwady. Ungeimpften rate sie, zu Hause zu bleiben. Für Geimpfte und vor allem für Menschen mit Booster-Impfung sei das Risiko, im Krankenhaus zu landen oder zu sterben, sehr gering.

Weißes Haus rechnet nicht mit nötigen Maßnahmen

Ähnlich entspannt wie die österreichische Regierung im Sommer gibt sich auch die US-Politik noch. Selbst US-Präsident Joe Biden ist in seiner Kommunikation zur Pandemie wesentlich zurückhaltender geworden. Zwar appelliert er weiterhin an die Bevölkerung, sich impfen zu lassen – „die Impfstoffe sind sicher, kostenlos und leicht erhältlich. Warten Sie nicht. Lassen Sie sich noch heute impfen“, so der US-Präsident erst letzte Woche. Neuerliche Maßnahmen oder gar einen möglichen Lockdown zieht er offenbar nicht in Betracht.

Jen Psaki, Presseprecherin des Weißen Hauses, antwortete unlängst auf die Frage, ob Maßnahmen wie aktuell in Europa möglich seien: „Das würde ich nicht sagen. Wir konzentrieren uns weiterhin darauf, dass mehr Amerikaner geimpft werden.“

Selbst US-Immunologe und Präsidentenberater Anthony Fauci sieht kein Problem bei den Feiern im Familienkreis: „Lassen Sie sich impfen, und Sie können die Feiertage sehr einfach genießen“, so der Experte im CNN-Interview Anfang der Woche. „Lassen Sie sich testen“, riet er weiter – das sei aber kein Ersatz für die Impfung. Immerhin: Einer Umfrage der Ohio State University zufolge will die Hälfte aller US-Amerikaner fragen, ob die Mitfeiernden geimpft sind, 46 Prozent wollen von Ungeimpften einen Test verlangen.

Reisende vor Thanksgiving am Flughafen von Atlanta (USA)
AP/Brynn Anderson
Die Feiertagssaison in den USA wird diese Woche eingeläutet – Spitäler warnen vor den Folgen der geselligen Zeit

Krankenhäuser nach monatelanger Pandemie am Limit

Dem gegenüber stehen die Warnungen der Krankenhäuser, die in manchen Teilen des Landes bereits an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. In vielen Spitälern ist die Personalsituation unabhängig von der aktuellen Entwicklung angespannt. Vor allem die Zahl der Patientinnen und Patienten, die während der Pandemie ihre Vorsorge oder Behandlung anderer Krankheiten verschleppt hätten, sei gestiegen.

Reger Reiseverkehr trotz CoV-Pandemie

Zahlreiche US-Bürger verreisen trotz Coronavirus-Pandemie während der Feiertage zu Thanksgiving, nachdem viele das traditionelle Fest im vergangenen Jahr pandemiebedingt zu Hause verbracht haben. Die Flughäfen des Landes verzeichnen einen hohen Anstieg an Passagieren, auch die teuren Spritpreise an Tankstellen schrecken viele nicht vor Urlaubsreisen ab.

In Massachusetts werden elektive Eingriffe bereits jetzt verschoben, berichtete CBS Boston. Angesichts der derzeit stark steigenden CoV-Neuinfektionszahlen und vor allem der zu erwartenden Welle nach Thanksgiving gehe man davon aus, dass man bald an die Grenzen gerate.

Ähnlich auch die Situation in Kalifornien, wie der „Guardian“ berichtete. Zwar hat der Bundesstaat insgesamt derzeit eine der niedrigsten Inzidenzen, die Spitäler in manchen stärker betroffenen Regionen sind dennoch schon am Limit. Patientinnen und Patienten aus Fresno – wo die Impfrate bei nur 55 Prozent liegt – werden etwa bereits nach Los Angeles verlegt. „Wir haben keine Ressourcen mehr“, zitierte die Zeitung Pflegekräfte. Viele Menschen in Gesundheitsberufen seien im Burn-out oder hätten angesichts der Belastung in der Pandemie den Job ohnehin bereits gewechselt. In New York fehlen zu dem Menschen in Gesundheitsberufen, weil dort seit Anfang November eine Impfpflicht für bestimmte Berufe gilt.

Inzidenz steigt

Die 7-Tage-Inzidenz liegt US-weit bei knapp über 200, in 34 US-Bundesstaaten steigt sie bereits jetzt teils stark an. Täglich sind (bei knapp 350 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern) über 1.000 CoV-Todesfälle zu verzeichnen. Todesfälle, die zum Großteil vermeidbar gewesen wäre, bekräftigte Francis Collins, Direktor des National Institutes of Health (NIH). „Der Großteil der Toten war ungeimpft. Sicher 100.000 Todesfälle hätten vermieden werden können.“