Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grünen)
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Grüner und gerechter?

Die Pläne der deutschen „Ampelkoalition“

Die künftige deutsche „Ampelregierung“ will ein „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ sein. Unter dieser Überschrift steht der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Wichtige Inhalte sind der Ausbau erneuerbarer Energien, der Mindestlohn von zwölf Euro sowie Initiativen im Wohnbau. Aber auch bei einigen umstrittenen Themen will die Regierung neue Wege gehen.

Klimaschutz hat man sich ganz oben an die Fahnen geheftet: Das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 wird im Regierungspapier bekräftigt. Erreicht werden soll das „idealerweise“ durch einen Kohleausstieg bis 2030, verbunden mit einem starken Ausbau erneuerbarer Energien.

Bis 2030 sollen 80 Prozent des Bruttostrombedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Dafür sollen Planungsverfahren gestrafft und alle geeigneten Dachflächen für Solarenergie genutzt werden. Die Strompreise für Verbraucher sollen durch Abschaffung der EEG-Umlage sinken, Firmen sollen für den klimaneutralen Umbau finanzielle Unterstützung erhalten.

Deutsche „Ampelkoalition“ steht

In Deutschland ist die „Ampelkoalition“ aus SPD, Grünen und FDP fix. Neuer deutscher Kanzler wird Olaf Scholz (SPD). Ein Ziel der Regierung ist unter anderem der Ausbau der erneuerbaren Energien.

Mehr Geld für öffentlichen Verkehr

Der CO2-Preis im Energiesektor soll nicht unter 60 Euro sinken, wenn nötig, sollen nationale Maßnahmen angewandt werden. Die neue Regierung will den öffentlichen Nahverkehr stärken und dazu vom kommenden Jahr an die milliardenschweren Regionalisierungsmittel erhöhen. Ziel sind bis 2030 mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkws auf Deutschlands Straßen.

Für die Förderung von Plug-in-Hybriden werden Bedingungen verschärft. Geplant ist eine Reform der Lkw-Maut: Der gewerbliche Güterkraftverkehr ab 3,5 Tonnen solle einbezogen und ein CO2-Zuschlag eingeführt werden. Öffentliche Verkehrsmittel sowie der Rad-und Fußverkehr sollen gestärkt werden. Durch eine Umstrukturierung der Deutschen Bahn soll in dem Konzern eine neue, gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte entstehen.

Investitionen trotz Schuldenbremse

Ziel ist ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen – öffentlich wie privat. Die Schuldenbremse soll ab 2023 wieder eingehalten werden. Für eine Erhöhung des Finanzierungsvolumens sollen auch die Förderbank KfW sowie bestehende staatliche Gesellschaften genutzt, der Energie- und Klimafonds zu einem Transformationsfonds weiterentwickelt werden. Überflüssige oder umweltschädliche Subventionen sollen abgebaut werden.

Höherer Mindestlohn

Viele Maßnahmen gibt es in der Sozialpolitik: Der gesetzliche Mindestlohn soll in einem Schritt auf zwölf Euro pro Stunde steigen. Davon sollen zehn Millionen Menschen profitieren. Im Anschluss daran wird die unabhängige Mindestlohnkommission über etwaige weitere Erhöhungsschritte befinden. Leistungen für Kinder und Jugendliche wie Kindergeld, Zahlungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sowie der Kinderzuschlag sollen in einer Leistung zusammengeführt werden. Sie werden automatisch berechnet und ausgezahlt.

Die steuerliche Absetzbarkeit für das Homeoffice wird bis Ende 2022 verlängert. Es soll eine steuerliche „Superabschreibung“ für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter geben. Steuerhinterziehung soll stärker bekämpft werden.

Ein neues „Bürgergeld“ soll an die Stelle des bisherigen Hartz-IV-Systems treten. In den ersten beiden Jahren wird das Vermögen noch nicht angerechnet, es wird in diesem Zeitraum zudem nicht geprüft, ob die Wohnung angemessen ist. Zudem wird das Schonvermögen erhöht. Die Mitwirkungspflichten bleiben aber vorerst bestehen und sollen bis spätestens 2022 neu geregelt werden.

Ambitionierte Wohnpläne

Ambitioniert zeigt man sich beim Thema Wohnen: Es sollen pro Jahr 400.000 neue Wohnungen entstehen, davon 100.000 öffentlich geförderte. Geplant ist ein „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ aller wichtigen Akteure. Mieterschutzregeln werden verlängert, ebenso die Mietpreisbremse. Zudem soll in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt die Miete binnen drei Jahren nur noch bis zu elf Prozent steigen dürfen statt wie bisher bis zu 15 Prozent. Ab 2025 soll jede neue Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden, Energiestandards für Neubauten und Sanierungen verschärft werden.

Politologin Römmele zur deutschen „Ampelregierung“

In Deutschland ist die „Ampelkoalition“ aus SPD, Grünen und FDP nun beschlossen. Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele, von der Hertie School of Governance, spricht über die neuen Koalition und die ersten möglichen Pläne der neuen Regierungspartner.

Keine Pensionskürzungen

Die Koalition verzichtet auf Pensionskürzungen und ein höheres Antrittsalter. Um diese Zusage abzusichern, soll in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung eingestiegen werden. Diese solle „als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet werden und global anlegen“. Die Pensionsversicherung soll 2022 einen Kapitalstock von zehn Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln bekommen.

Mehr Geld für Pflege

Für einen neuerlichen Bonus für Pflegekräfte in Heimen und Krankenhäusern will die Koalition eine Milliarde Euro bereitstellen. Die Steuerfreiheit des Pflegebonus soll auf 3.000 Euro steigen. Der Beitrag zur Pflegeversicherung soll „moderat“ steigen, die Gehaltslücke zwischen Kranken- und Altenpflege geschlossen werden. Um die finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenkassen zu verbessern, soll der Bundeszuschuss regelmäßig steigen. Als Folge aus der Coronavirus-Krise soll der öffentliche Gesundheitsdienst gestärkt werden. Zudem drückt die „Ampel“ bei der elektronischen Patientenakte und dem E-Rezept aufs Tempo.

Das Staatsbürgerschafts- sowie das Einwanderungsrecht sollen modernisiert werden. Familiennachzug soll erleichtert, Geduldete sollen unter bestimmten Voraussetzungen eine „Aufenthaltserlaubnis auf Probe“ erhalten können. Arbeitsverbote für bereits in Deutschland lebende Menschen soll es nicht mehr geben. Dem Mangel an Fachkräften solle mit der Einführung einer „Chancenkarte“ auf Basis eines Punktesystems begegnet werden, um Arbeitskräften zur Jobsuche den gesteuerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Vage bei Außenpolitik

Eher vage bleibt man bei Außen- und Verteidigungspolitik: Die „Ampel“ bekennt sich zu einer demokratisch gefestigteren und handlungsfähigeren Europäische Union auf der Basis von Werten und Rechtsstaatlichkeit. Angestrebt wird für die Reform der EU ein verfassungsgebender Konvent. Menschenrechte sollen ein „wichtiger Kompass“ der Außenpolitik sein.

Die Bundeswehr soll „bestmöglich“ ausgestattet werden. Dazu sollen künftig auch bewaffnete Drohnen gehören, allerdings unter Auflagen. Ausbildung und Dienst an der Waffe sollen Volljährigen vorbehalten werden. Auslandseinsätze sollen regelmäßig evaluiert werden.

Nachholbedarf bei Digitalisierung

Auch bei einem der Felder mit dem größten Aufholbedarf, der Digitalisierung, bleiben die Pläne recht allgemein formuliert: Im Rahmen eines umfassenden digitalen Aufbruchs sollen auch digitale Leistungen des Staates ausgebaut werden. Dafür soll es strenge Sicherheits- und Transparenzvorgaben geben. Zu Bildung, in Deutschland Ländersache, gibt es wenig Neues. Für Junge stellt man die Senkung des Wahlalters auf Bundesebene soll auf 16 Jahre in Aussicht.

Kultur soll zum staatlichen Auftrag machen. „Wir wollen Kultur in ihrer Vielfalt als Staatsziel verankern und treten für Barrierefreiheit, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit ein“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Auch „heiße Kartoffeln“ werden angegriffen

Auch ein paar heikle Punkte will man angehen: Die kontrollierte Abgabe von Cannabis für Erwachsene soll legalisiert werden – das sorgte im Vorfeld schon für sehr viele Debatten. Auch soll das umstrittene Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche fallen. „Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen“, heißt es.

Kontrollen bei Waffenexporten und ungesunder Nahrung

Und in einigen Punkten setzt man auch an, wo bisher mächtige Wirtschaftslobbyverbände gegen Beschränkungen erfolgreich waren: Deutsche Rüstungsexporte sollen künftig mit einem eigenen Gesetz besser kontrolliert werden. Bisher gibt es nur politische Richtlinien für die Ausfuhr von Waffen und anderen Rüstungsgütern. Darin wird unter anderem der Export von Waffen in Krisengebiete untersagt. Bei der Definition von Krisen war man bisher aber eher großzügig.

Die Koalition plant auch mehrere Maßnahmen, die zu einer gesünderen Ernährung beitragen sollen. „An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben“, steht im Koalitionsvertrag. Zudem will man mehr Tierschutz in den Ställen durchsetzen und plant dafür eine gesicherte Finanzierung für die Bauern und neue Kennzeichnungen im Supermarkt.

Coronavirus drängt sich in den Vordergrund

Abgesehen von noch offenen Personalfragen und der noch nötigen Zustimmung der Parteigremien gibt es derzeit zwei Stolpersteine zur Umsetzung des Koalitionsprogramms: Wie die Reformen finanziert werden sollen, ist noch recht unklar. Das kritisieren zumindest Opposition und Experten.

Und zunächst wird sich die neue Regierung vor allem mit einem Thema beschäftigen müssen: Angesichts zunehmend steigender Coronavirus-Zahlen auch in Deutschland kündigte der künftige Kanzler Olaf Scholz (SPD) einen ständigen Coronavirus-Krisenstab im Kanzleramt an. Er sprach sich zugleich für eine Impfpflicht in bestimmten Einrichtungen mit Risikogruppen aus.
Doch angesichts der derzeitigen Entwicklung könnte auch Deutschland ein neuer Lockdown ins Haus stehen, noch bevor die Regierung angelobt ist.