Vermehrt Rufe nach Freigabe von Impfstoffpatenten

Vor dem Hintergrund von Berichten über eine neue Virusmutation im südlichen Afrika steigt der Druck auf Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP), einer weltweiten Freigabe von Impfstoffpatenten zuzustimmen.

Bei der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) stehe kommende Woche „eine entscheidende Weichenstellung“ bevor, sagte Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen (MSF) heute in einem Onlinepressegespräch.

Über parteipolitische Grenzen hinweg

Nachdem sich in der Vorwoche bereits Schramböcks Regierungskollege Wolfgang Mückstein (Grüne) entsprechend positioniert hatte, deklarierten sich nun auch zwei seiner Vorgänger und eine Vorgängerin – Rudolf Anschober (Grüne), Alois Stöger (SPÖ) und Maria Rauch-Kallat (ÖVP) – öffentlich für die Patentfreigabe.

Ein von der globalisierungskritischen Organisation ATTAC verbreiteter Brief wurde von 29 Ex-Politikern, NGO-Vertretern, Experten und Wissenschaftlern unterzeichnet, darunter auch der Ex-Vizekanzler Clemens Jabloner, Epidemiologe Gerald Gartlehner sowie die Patientenanwälte Sigrid Pilz (Wien) und Gerald Bachinger (Niederösterreich).

Warnung vor neuen Mutationen

Bachmann sagte, dass von der WTO-Ministerkonferenz in der kommenden Woche abhänge, ob die Pandemie verlängert oder verkürzt werde. Mit dem Nein zu einer Patentfreigabe gebe man dem Coronavirus „einen Vorsprung“.

„Wir können, wenn wir das Infektionsgeschehen weltweit auf einem so hohen Level weiterlaufen lassen, es nur als eine Frage der Zeit betrachten, bis sich eine neue Variante durchsetzen wird, weil sie ansteckender, (…), weil sie tödlicher ist“, mahnte der MSF-Experte.

„Schramböck muss sich der Tragweite dieser Entscheidungen bewusst sein und sie muss auch dafür Rechenschaft leisten“, sagte Bachmann. Er argumentierte nicht nur mit dem menschlichen Leid. Die gesamtwirtschaftlichen Schäden durch die Pandemie würden die Gewinne der Pharmaindustrie „um ein Vielfaches“ übersteigen, so Bachmann.

Antrag achtmal vertagt

Die von Südafrika bereits vor über einem Jahr beantragte Patentaufhebung („TRIPS-Waiver“) soll die Produktion von Impfstoffen, Medikamenten und auch Ausrüstung erleichtern. Laut Bachmann wurde die Entscheidung bereits achtmal vertagt, während es weiterhin eine „Produktionslücke“ bei den Impfstoffen gebe.

Zugleich sei der Bedarf an Impfstoffen in den entwickelten Staaten jüngst „explosionsartig gestiegen“, weil die Intervalle für Boosterimpfungen verkürzt und auch Kinderimpfungen erlaubt worden seien.

Schramböck und Pharmaindustrie verteidigen Patente

Schramböck hatte ihr Nein Mitte November vor einem Treffen mit ihren EU-Amtskollegen folgendermaßen argumentiert: „Es ist kein Problem der Produktion, es wird genügend Impfstoff produziert, es ist ein Problem der Verteilung.“

Deckungsgleich mit der Ministerin argumentierte heute auch die Pharmaindustrie. Der Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) verwies in einer E-Mail an die APA darauf, „dass die Aufhebung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe nicht die Lösung für das Verteilungsproblem sein kann, da bereits in ausreichendem Maße Impfstoffe hergestellt werden/wurden“.

In einer Aussendung vom 8. November hatte FCIO-Geschäftsführerin Sylvia Hofinger bereits gemeint, der entscheidende Faktor sei die Impfstoffverteilung und Akzeptanz der Bevölkerung in allen Ländern.