Flugreisende auf einem Flughafen
AP/Alberto Pezzali
Neue CoV-Variante aus südlichem Afrika

WHO berät über Einstufung

Angesichts der Ausbreitung der von Experten als möglicherweise gefährlicher eingeschätzten neuen CoV-Variante B.1.1.529 will die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Freitagnachmittag eine Stellungnahme dazu abgeben. Mittlerweile wurde in Belgien der erste Fall der neuen Variante in Europa bestätigt. Viele Länder, darunter auch Österreich, verhängten am Freitag Einreisestopps für mehrere Staaten im südlichen Afrika. Die WHO rät von Reisebeschränkungen allerdings noch ab.

Die WHO empfehle den Ländern, „weiterhin eine risikobasierte und wissenschaftliche Herangehensweise bei der Verhängung von Reisebeschränkungen anzuwenden“, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier am Freitag in Genf. „Vor der Verhängung von Reisebeschränkungen wird gewarnt“, fügte er hinzu. Lindmeier betonte, bekannte Mittel wie Masken, Handhygiene, Frischluft und das Vermeiden von Menschenmengen seien auch gegen B.1.1.529 wirksam.

Ein Expertengremium der WHO berät am Freitag über die Einstufung von B.1.1.529. Es gehe dabei unter anderem um die Frage, ob die Mutante als „besorgniserregende Variante“ („Variant of Concern“) oder als „Variante von Interesse“ („Variant of Interest“) klassifiziert werden soll, hieß es von der Behörde. Aktuell ist sie als „Variant Under Monitoring“ eingestuft, steht also unter Beobachtung. Nach den Beratungen sollen Medien und Regierungen über das Ergebnis und mögliche Maßnahmen informiert werden.

Verhalten von Variante noch nicht klar

Ob B.1.1.529 ansteckender oder aggressiver ist als bisherige Varianten, wird sich laut WHO erst in einigen Wochen herausstellen. Die im südlichen Afrika aufgetretene Variante sei bisher weniger als hundertmal genetisch sequenziert worden. Laut der Definition der WHO sind „besorgniserregende Varianten“ leichter übertragbar oder führen zu schwereren Verläufen. Außerdem können sie die Wirksamkeit von Impfstoffen, Medikamenten, Virustests und Maßnahmen herabsetzen.

Der Covid-19-Beauftragte der WHO, David Nabarro, sagte am Freitag gegenüber der BBC, dass es seiner Meinung nach wirklich angebracht sei, sich Sorgen zu machen. „Ich erkläre ihnen, warum: Das Virus sieht aus, als hätte es mehr Kapazitäten, sich unseren Abwehrkräften zu widersetzen, die wir mit der Impfung aufgebaut haben.“

Österreich verhängt Einreisestopp

Schon vor der nun geplanten WHO-Einstufung gaben etliche Länder Sicherheitsvorkehrungen bekannt. Für Österreich gilt ab Mitternacht ein Einreisestopp. Die Einreiseverordnung werde entsprechend angepasst und die Länder Südafrika, Lesotho, Botsuana, Simbabwe, Mosambik, Namibia und Eswatini als Virusvariantengebiete eingestuft, hieß es am Freitag aus dem Gesundheitsministerium. Einreisen aus diesen Ländern sind daher grundsätzlich untersagt, hieß es in einer Aussendung.

Österreichische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen sind zur Einreise berechtigt, haben aber besonders strenge Quarantäneregeln (zehntägige Quarantäne, PCR-Test bei der Einreise, Registrierung) einzuhalten, so das Ministerium weiter. Zusätzlich wird ein Landeverbot für Flüge aus diesen sieben afrikanischen Ländern verhängt. Die Verordnung tritt bereits um Mitternacht in Kraft, so das Ministerium.

Grafik zu den neuen Virusvariantengebieten im südlichen Afrika
Grafik: APA/ORF.at

Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) sagte, die neue Variante gebe Anlass zur Sorge: „Wir reagieren rasch und konsequent.“ Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sagte, Österreich reagiere unmittelbar auf die aktuellen Entwicklungen. Auf Twitter erklärte Mückstein, dass bisher bei keiner der österreichischen Monitoringstellen – auch nicht bei der Abwasserüberwachung – Hinweise auf die neue Variante aufgetaucht seien.

EU-Kommission will Flugverkehr kappen

Als Vorsichtsmaßnahme will die Europäische Union den Flugverkehr aus dem südlichen Afrika generell kappen. „Die Kommission wird in enger Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten vorschlagen, die Notbremse zu aktivieren, um den Flugverkehr aus dem südlichen Afrika aufgrund der besorgniserregenden Variante B.1.1.529 einzustellen“, twitterte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Auch die deutsche und die italienische Regierung gaben am Freitagvormittag bekannt, den Reiseverkehr aus Südafrika einzuschränken, Malta, Tschechien und Frankreich schlossen sich an. Der geschäftsführende Gesundheitsminister Deutschlands, Jens Spahn (CDU), forderte zudem Rückkehrende aus Südafrika auf, sich freiwillig in Quarantäne zu begeben und einen PCR-Test zu machen. Er könne die bereits eingereisten Menschen nur zu diesem Schritt auffordern, eine rechtliche Handhabe gebe es nicht, so Spahn.

Die japanische Regierung beschloss ebenfalls am Freitag eine Verschärfung der Grenzkontrollen für Einreisende aus Südafrika und fünf weiteren afrikanischen Ländern, wie die Nachrichtenagentur Jiji meldet. In Indien sollen ebenfalls Reisende aus Südafrika und anderen Ländern konsequent getestet und geprüft werden, teilte das indische Gesundheitsministerium mit.

Reisebeschränkungen in Israel und Großbritannien

Die britische Regierung beschränkte am Donnerstag den Flugverkehr aus mehreren Ländern der Region. Zudem gilt für Ankommende eine strenge Pflicht zur Hotelquarantäne. Betroffen von der neuen Regel seien Südafrika, Namibia, Lesotho, Botsuana, Eswatini und Simbabwe, teilte der britische Gesundheitsminister Sajid Javid mit.

Auch Israel verhängte sofortige Reisebeschränkungen für mehrere afrikanische Länder. Südafrika, Lesotho, Botsuana, Simbabwe, Mosambik, Namibia und Eswatini seien nach einer Sonderberatung als „rote Länder“ eingestuft worden, teilte das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett mit. In Israel wurde nach offiziellen Angaben von Freitag eine Person identifiziert, die sich mit der neuen Variante des Coronavirus infiziert hat. Zwei weitere Personen seien Verdachtsfälle, die noch auf ihre Testergebnisse warteten, teilte das Gesundheitsministerium am Freitag mit. Sie befänden sich in Quarantäne.

Erster Fall in Europa

Auch Belgien bestätigte am Freitagnachmittag den ersten Fall der neuen Variante. Der belgische Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke gab bekannt, dass B.1.1.529 bei einer Sequenzierung registriert wurde. Es sei Vorsicht erforderlich, aber keine Panik, sagte Vandenbroucke. Der belgische Premierminister Alexander De Croo kündigte zudem Reisebeschränkungen für Einreisende aus Ländern im südlichen Afrika an .

Der belgische Sender RTBF berichtete, dass die Variante bei einer jungen Frau entdeckt worden war. Sie habe laut Universität Leuven elf Tage nach ihrer Rückkehr aus Ägypten über die Türkei Symptome entwickelt und sich nicht in den nun als Virusvariantengebiete eingestuften Ländern im Süden Afrikas aufgehalten.

Teststraße in Südafrika
Reuters/Siphiwe Sibeko
Die neue Variante wurde in Südafrika erstmals festgestellt

Fälle zuvor in Südafrika, Botsuana, Hongkong und Israel

Zuvor wurden Fälle der neuen Variante in Südafrika, Botsuana und Hongkong festgestellt. Die Zahl der täglich gemeldeten Infektionen in Südafrika stieg in dieser Woche auf mehr als 1.200. Anfang des Monats waren es noch rund 100 Neuansteckungen. Laut Experten breitet sich die neue Variante vor allem unter jungen Menschen aus. Nach Angaben des südafrikanischen Instituts für Infektionskrankheiten (NICD) stieg die Zahl der Fälle, bei denen die Variante nachgewiesen wurde, in drei Provinzen des Landes besonders stark an – darunter Gauteng, wo sich die Städte Johannesburg und Pretoria befinden. An einer Hochschule in Pretoria sei kürzlich ein Cluster festgestellt worden.

CoV-Variante „vielleicht ansteckender“

Eine im südlichen Afrika aufgetretene neue Variante des Coronavirus sorgt international für Beunruhigung. Experten vermuten, dass die Variante „vielleicht ansteckender“ sein könnte.

Südafrikas Gesundheitsminister Joe Phaahla sagte, die neue Variante bestätige die „Tatsache, dass dieser unsichtbare Feind sehr unvorhersehbar ist“. Er rief die Südafrikaner auf, Masken zu tragen, Abstand zu halten und sich insbesondere impfen zu lassen. „Wir haben auch das zusätzliche Mittel der Impfungen, das uns helfen wird, schwere Erkrankungen zu vermeiden, einschließlich der Gefahr, dass wir in Klinik enden oder sogar dem Virus zum Opfer fallen“, sagte er.

Passagiere am Ben Gurion Flugahfen in Israel
APA/AFP/Jack Guez
Menschen müssen sich bei Einreise aus den südafrikanischen Ländern nach Österreich registrieren und zehn Tage in Quarantäne

Krammer: „Nicht gut“, aber „zu früh, da etwas zu sagen“

Mit etwas Sorge, aber ohne Panik schaut der an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York tätige österreichische Forscher Florian Krammer auf die neue Variante. Derart viele Mutationen im Spike-Protein seien „nicht gut“. Es könnte sich hier um eine Variante handeln, die erstmals eine Anpassung von Impfstoffen notwendig mache. Zur Einschätzung brauche es aber noch mehr Daten: „Es ist zu früh, da etwas zu sagen.“

Noch wisse man zu wenig darüber, ob der derart gestaltete Abkömmling des SARS-CoV-2-Erregers ähnlich infektiös oder sogar infektiöser ist als die aktuell dominante Delta-Variante, so Krammer zur APA. Allerdings sehe es danach aus, als hätte sie das Zeug dazu, einer aufgebauten Immunabwehr besser zu entkommen.

Britische Experten fürchten um Wirkung der Impfung

Nach Ansicht des britischen Experten James Naismith, Professor für Strukturbiologie an der Universität Oxford, sind die Impfungen „fast sicher“ weniger effektiv gegen die neue Variante. Ob sie auch leichter übertragbar sei, könne anhand der vorliegenden Daten noch nicht mit Sicherheit gesagt werden. „Wir vermuten das, und es gibt einige frühe Daten“, fuhr Naismith fort.

Die Wissenschaftlerin Susan Hopkins vom Imperial College in London bezeichnete die neue Variante als „die besorgniserregendste, die wir je gesehen haben“. Die in Südafrika bisher festgestellte Übertragungsrate (R-Zahl) liege bei 2. Das ähnle den Werten zu Beginn der Pandemie, so Hopkins im BBC-Radio. Noch seien mehr Daten notwendig, um zu einer abschließenden Bewertung zu kommen.

Auch aus Sicht des südafrikanischen Virologen Shabir Madhi schützen herkömmliche Impfstoffe gegen die neue Variante B.1.1.529 nur bedingt. Dem TV-Sender eNCA in Johannesburg sagte er am Freitag: „Wir gehen davon aus, dass es noch einiges an Schutz gibt.“ Es sei aber wahrscheinlich, dass bisherige Impfstoffe weniger wirksam sein dürften.

Biontech prüft Wirksamkeit

Der Impfstoffhersteller Biontech prüft bereits, ob sein Vakzin auch gegen die neue Variante wirkt. „Spätestens in zwei Wochen erwarten wir weiterführende Daten aus den Labortests“, teilte Biontech am Freitag mit. Diese Daten würden Aufschluss darüber geben, ob eine Anpassung des Impfstoffs erforderlich sei. Biontech und sein US-Partner Pfizer hätten schon vor Monaten Vorbereitungen getroffen, um im Fall einer resistenten Variante den mRNA-Impfstoff innerhalb von sechs Wochen anzupassen und erste Chargen innerhalb von 100 Tagen auszuliefern.