Viele Menschen in einer Berliner U-Bahn-Station
AP/Markus Schreiber
Scholz will Gesetz

Auch Deutschland vor Impfpflicht

In Deutschland haben am Dienstag die Bundesländer mit der geschäftsführenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem designierten Nachfolger Olaf Scholz (SPD) über die CoV-Lage beraten. Im Anschluss kündigte Scholz ein Gesetzgebungsverfahren für eine allgemeine Impfpflicht an, das noch in diesem Jahr eingeleitet werden könnte. Mit den Landeschefs sollen unterdessen noch diese Woche weitere Maßnahmen fixiert werden.

Über eine allgemeine Impfpflicht sollten die Abgeordneten frei nach ihrem Gewissen – also ohne Fraktionszwang – abstimmen können, sagte Scholz am Dienstag in Bild TV. Er begründete das Vorhaben mit dem notwendigen Schutz der Bevölkerung. Bereits zuvor solle es eine einrichtungsbezogene Impfpflicht für Alten- und Pflegeheime geben. Schon im Vorfeld wurde in den Medien über Scholz’ Vorstoß berichtet.

Weiters sagte Scholz, sein Vorschlag für die allgemeine Impfpflicht ziele auf „Ende Februar oder Anfang März“. Diese dürfte dann bei Verstößen auch mit einer Strafandrohung verbunden sein. Konkrete Festlegungen gebe es hierzu aber noch nicht. Der SPD-Politiker begründete das Vorgehen mit der angespannten Situation. „Hätten wir eine höhere Impfquote, dann hätten wir eine andere Lage“, so Scholz.

Unterstützung bekam er dabei auch von Grünen-Chef Robert Habeck, der forderte, sofort mit den Vorbereitungen für eine allgemeine Impfpflicht zu beginnen. „Natürlich wäre eine Impfpflicht ein weitgehender Eingriff in die Freiheit des Einzelnen. Aber sie schützt eben Leben und letztlich auch die Freiheit der Gesellschaft“, sagte Habeck am Dienstag der dpa. Auch die von Union und Grünen geführten Länder forderten eine allgemeine Impfpflicht.

Neue Maßnahmen auf dem Weg

In der Videoschaltung berieten die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten mit Scholz und der geschäftsführenden Kanzlerin Merkel über die nächsten Schritte. Laut Medienberichten kam es zu keinem Beschluss, „Bild“ und „Spiegel“ berichteten über mögliche Ziele: Bis Weihnachten will man etwa 30 Millionen Impfungen verabreichen, um die Welle zu brechen. Dazu will man etwa auch Apothekerinnen und Apotheker sowie Zahnärztinnen und -ärzte zur Unterstützung heranziehen.

Olaf Scholz (SPD)
APA/AFP/Tobias Schwarz
Der voraussichtliche Kanzler Scholz sprach sich für eine allgemeine Impfpflicht aus

Und: Scholz kündigte Maßnahmen für Ungeimpfte an. „Es wird jetzt auf alle Fälle für Ungeimpfte Kontaktbeschränkungen geben“, so der SPD-Politiker in Bild TV. Zuvor berichteten Medien über eine 2-G-Regel für den Handel und Veranstaltungen. Scholz kündigte in dem Sender auch an, dass Impfnachweise künftig kürzer gelten könnten. In der Diskussion ist hier eine Verkürzung auf sechs Monate. Grund sei, dass sich herausgestellt habe, dass der Impfschutz nicht so lange anhalte wie zunächst angenommen.

Details sollen bis Donnerstag folgen

Details sollen bis Donnerstag ausgearbeitet werden, um dann zu gemeinsamen Beschlüssen zu kommen, wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Dienstag mitteilte. Eine eigentlich erst für 9. Dezember geplante Konferenz der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder wird dafür vorgezogen.

Scholz hatte sich bereits in der Vergangenheit für eine CoV-Impfpflicht in bestimmten Einrichtungen mit Risikogruppen ausgesprochen. „Impfen ist der Ausweg aus dieser Pandemie“, hatte er bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags gesagt. Eine Ausweitung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht bleibe zu prüfen.

Abstimmung ohne Fraktionszwang

Eine Abstimmung ohne Fraktionszwang, wie nun anvisiert, kommt bei ethisch heiklen Fragen in Betracht. Parlamentsabgeordnete sind zwar grundsätzlich nur ihrem Gewissen verpflichtet, aber in der Regel wird von ihnen erwartet, dass sie sich bei Abstimmungen an der Mehrheit ihrer Fraktion orientieren. Ausnahmen werden gemacht, wenn ethisch besonders sensible Entscheidungen anstehen.

Bundeswehr-General wird Chef des Krisenstabs

Der designierte Kanzler stellte in der Videokonferenz auch Generalmajor Carsten Breuer als Leiter des geplanten Krisenstabs zur CoV-Bekämpfung vor. Der neue Krisenstab soll vor allem die Booster- und weiteren CoV-Impfungen in Deutschland beschleunigen. Nach Informationen der dpa argumentierten mehrere Länder in der anschließenden Diskussion, das sei nicht das eigentliche Thema der Beratungen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sieht den Kampf gegen die Pandemie nach dem Bund-Länder-Gespräch auf dem richtigen Weg. „Man kann sagen: Die Richtung stimmt“, sagte Söder anschließend in München. Söder dankte dabei ausdrücklich Scholz: „Es ist besser gelaufen, als ich gedacht habe. Es ist eine Menge vorangekommen. Und ich sage das jetzt auch so persönlich: Daran hat auch heute Olaf Scholz seinen Anteil.“

Bundesverfassungsgericht bestätigte „Notbremse“

Schon am Vormittag hatte das Bundesverfassungsgericht zentrale Entscheidungen zu Lockdown-Maßnahmen vom Frühjahr bekanntgegeben. Demzufolge sind die Maßnahmen der CoV-„Notbremse“ des Bundes aus der dritten Pandemiewelle verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht wies mehrere Klagen ab, die sich gegen die im Frühjahr angeordneten Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sowie Schulschließungen richteten. Die Grundrechtseingriffe seien durch „überragend wichtige Gemeinwohlbelange“ gerechtfertigt gewesen, heißt es vom Gericht.

Der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sah nach dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts Klarheit für weitere Krisenmaßnahmen. „Die Bundesnotbremse war verhältnismäßig, weil der Staat Leben und Gesundheit seiner Bürger schützen musste“, sagte der CDU-Politiker in Berlin mit Blick auf die Gerichtsbeschlüsse. „Das sollte jetzt auch den Parteien Orientierung bieten, die wegen verfassungsrechtlicher Bedenken schärfere Maßnahmen bisher ausgeschlossen haben.“

Spahn betonte, der Richterspruch sei jedoch auch kein Freibrief für willkürliche Eingriffe in Grundrechte. Bundesweite Einschränkungen des öffentlichen Lebens müssten zeitlich befristet sein, regional ausdifferenziert werden und sich am Pandemiegeschehen orientieren. „Das sollte jetzt wieder so sein. Wir brauchen entschlossenes staatliches Handeln, um die vierte Welle zu brechen.“