Lobau, Austria
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Verkehrspolitik

Gewessler stoppt Lobautunnel

Der umstrittene Lobautunnel, der als Teil der Wiener Außenring-Schnellstraße (S1) vorgesehen war, wird nicht gebaut. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) bestätigte diese Entscheidung am Mittwoch in einer Pressekonferenz. Die Projektevaluierung habe sich gegen einen Bau in dem Naturschutzgebiet ausgesprochen. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sieht „das letzte Wort noch nicht gesprochen“.

„Die Lobauautobahn mit dem Tunnel durch das Naturschutzgebiet wird nicht gebaut", sagte Gewessler bei der Pressekonferenz. Alle Planungs- und Baumaßnahmen werden eingestellt. Vor gut einem Jahr habe ihr Ministerium mit einer Überprüfung aller ASFINAG-Projekte begonnen. „Mehr Straßen bedeutet mehr Autos. Mehr Straßen führt zu mehr Verkehr“, fasste Gewessler die Meinung der Expertinnen und Experten zusammen.

Die Nordostumfahrung, also der Lückenschluss der S1, wird in der geplanten Form somit nicht kommen. Die dazugehörige Spange der S1 könne aber errichtet werden, so Gewessler. Die Stadtstraße, die von der Stadt Wien errichtet werden soll, ist von dieser Evaluierung nicht umfasst, da es sich um kein ASFINAG-Projekt handelt. Sollte die Stadt die Stadtstraße bauen wollen, so werde die ASFINAG auch die S1-Spange im Norden der Stadt errichten, hieß es – mehr dazu in wien.ORF.at.

„Erwartungen aus letztem Jahrtausend überholt“

Expertinnen und Experten des Klimaschutzministeriums, des Umweltbundesamts und der ASFINAG hätten die Projekte bewertet und einen 150-seitigen Bericht erstellt. „Die Erwartungen aus dem letzten Jahrtausend haben sich überholt und treffen heute nicht mehr zu“, so Gewessler. Auch die S34 im niederösterreichischen Traisental wird nicht in der geplanten Form umgesetzt – mehr dazu in noe.ORF.at.

Gewessler: Aus für Lobautunnel

Die Ministerin hatte im Sommer alle Neubauprojekte der ASFINAG zumindest bis zum Herbst auf Eis gelegt, um sie auf ihre Vereinbarkeit mit den Zielen des Regierungsprogramms zu überprüfen. In Wien und Niederösterreich war die S1 mit dem Lobautunnel und der Spange in die Seestadt Aspern betroffen. Umstritten war vor allem der 8,2 Kilometer lange Tunnel unter der Donau und der Lobau, gegen den vor allem Umweltschutzgruppen seit Jahren protestieren.

Ludwig: „Letztes Wort noch nicht gesprochen“

Der Wiener Bürgermeisters Ludwig sprach in einer ersten Reaktion von einem „Schlag gegen die Lebensqualität der Menschen in Wien und in der Ostregion“ und kündigte das Prüfen „juristischer Maßnahmen“ an. Denn mit dem Aus würden sich Stau und schlechtere Lebensqualität ergeben. Auch kritisierte Ludwig den über viele Jahre geführten Evaluierungsprozess, der „nicht transparent“ gewesen sei – mehr dazu in wien.ORF.at.

Auch kritisierte er, dass in dem Prozess keine Alternativen genannt worden seien. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“, so Ludwig, er sei „gespannt, wie die gesamte Bundesregierung reagieren wird“.

„Pflanzerei“

Man habe seitens der Wiener Stadtregierung ein „Interesse am Bau der Stadtstraße“. „Das bringt aber nichts, wenn diese irgendwo im Nirvana endet“, so Ludwig, der hierbei eine „Pflanzerei“ ortete. Zu retten sei nicht die Lobau, sondern die Lebensqualität in der Stadt. Aus Niederösterreich hieß es während Ludwigs Pressekonferenz, man wolle rechtliche Schritte unterstützen – mehr dazu in noe.ORF.at.

Wiener Bürgermeister Michael Ludwig
ORF
Wiens Bürgermeister kritisierte bei der Pressekonferenz mangelnde Transparenz und das Fehlen von Alternativen

Die geplante Wiener Nordostumfahrung ist Teil der Wiener S1 und damit des „Regionenrings“ um die Bundeshauptstadt. Das Konzept sah sie als vierspurige Strecke mit 19 Kilometer Länge vor, die Schwechat und Süßenbrunn verbinden soll – und das auch mittels des Tunnels unter der Donau und der Lobau. Der südöstliche Teil der S1 (vom Knoten Vösendorf nach Schwechat) ist bereits seit 2006 in Betrieb.

Die Fortsetzung Richtung Nordosten entwickelte sich hingegen zum Marathon. Die Verfahren dauerten Jahre, immer wieder kam es zu Einsprüchen. Gegner des Projekts versuchten zudem bereits 2006, Probebohrungen mittels Besetzung zu stoppen.

Urspünglich geplanter Verlauf der S1 Schwechat – Süßenbrunn und der Lobautunnel mit Anschlussstellen und Stadtstraße Seestadt

Zwei Protestcamps

Aktuell campieren Klimaaktivistinnen und -aktivisten an zwei Orten in Wien-Donaustadt, an denen Arbeiten im Zusammenhang mit dem Megabauvorhaben anstanden. Sie befürchten schwere Auswirkungen auf Flora und Fauna. Die Stadt und die ASFINAG beteuern hingegen, dass man weit unter dem Grundwasserstrom hindurchgräbt und keine Beeinträchtigung zu befürchten ist. Die Kosten für die Nordostumfahrung wurden von der ASFINAG mit 1,9 Mrd. Euro beziffert.

Wiener NEOS würdigen „richtige Entscheidung“

Während die Wiener SPÖ die Nordostumfahrung und den Lobautunnel stets als wichtige Verkehrsmaßnahme gesehen hat, zeigt sich NEOS, der aktuelle Regierungspartner der Stadt-SPÖ, erfreut über das Aus für das Projekt. Klubobfrau Bettina Emmerling sprach in einer Aussendung von einer „erwartbaren und richtigen Entscheidung“. NEOS verwies darauf, dass man das Projekt immer kritisch gesehen hätte.

„Das Wichtigste ist: Jetzt herrscht Klarheit. Wir NEOS begrüßen die Entscheidung und fordern alle Beteiligten auf, jetzt rasch zu handeln, statt nachhaltige Lösungen durch Rechtsstreitigkeiten über Jahre zu verzögern“, zeigte sich Emmerling auch skeptisch gegenüber den in den Raum gestellten Klagen.

Blümel erwartet rasch Gespräche

Der Koalitionspartner der Bundesgrünen, die ÖVP, forderte nach dem Aus für den Lobautunnel Gespräche über das weitere Vorgehen. Finanzminister Gernot Blümel – der das Projekt stets befürwortet hat – hielt in einer Stellungnahme fest, dass sich seine Haltung grundsätzlich nicht geändert habe: „Es handelt sich um ein wichtiges und wesentliches Infrastrukturprojekt, das sowohl Anrainer entlastet als auch den Standort stärkt.“

„Wie auch bei der Steuerreform gehe ich davon aus, dass man auch bei diesem Thema einen gemeinsamen Weg als Bundesregierung findet“, sagte der Minister, „zumal es für das Bauprogramm der ASFINAG auch das Einvernehmen mit dem BMF (Finanzministerium, Anm.) braucht“, fügte er hinzu. „Ich erwarte, dass die entsprechenden Gespräche auf Expertenebene umgehend aufgenommen werden, um eine Lösung zu erzielen“, hielt er fest.

Wiener ÖVP sieht „Schlag ins Gesicht“

Weniger zurückhaltend äußerte sich die Wiener ÖVP, deren Obmann Blümel ist. „Die heutige Entscheidung von Verkehrsministerin Gewessler ist völlig unverständlich, zeugt von kompletter Verantwortungslosigkeit und ist geradezu ein Schlag ins Gesicht der Wienerinnen und Wiener. Dieser Entscheidung muss entschieden entgegengetreten werden“, so Klubobmann Markus Wölbitsch und Verkehrssprecher Wolfgang Kieslich in einer Aussendung.

Auch von der oppositionellen Wiener FPÖ kam rasch herbe Kritik. Verkehrssprecher Toni Mahdalik sprach in einer Aussendung von „dumpfgrüner Weltfremdheit, ideologischer Verblendung und purem Autofahrerhass“. Die „katastrophale Fehlentscheidung auf dem Rücken der Bevölkerung muss umgehend rückgängig gemacht werden“, so Mahdalik. Der FPÖ-Parlamentsklub schrieb in einer Aussendung von einem „ökomarxistischen Amoklauf“.

NGOs: „Bahnbrechende Entscheidung“

Auch Umweltschutz-NGOs kommentierten die Entscheidung umgehend. Greenpeace sprach von einer „bahnbrechende Entscheidung“ für den Schutz von Natur und Klima. Der WWF ortet einen „Meilenstein für Klima- und Bodenschutz“, der Naturschutzbund sieht in der Entscheidung „ein wertvolles Signal, dass nicht alles so weiter gehen kann wie gehabt“. Global 2000 sprach von einem „guten Tag für den Klimaschutz“.

Kritik von Autofahrerclubs und Wirtschaft

Der ÖAMTC verwies unterdessen auf die Stausituation: „Der (…) Stopp für den S1-Lückenschluss bedeutet, dass die dringende Entlastung der Südosttangente (A23) ausbleibt. Es wird dort auch weiterhin an rund 180 Tagen im Jahr in beiden Richtungen Überlastungsstaus geben.“ Der ARBÖ bezeichnete das Aus für den Lobautunnel als „verantwortungslos“ – die Entscheidung sei „rechtlich zu hinterfragen“. Generell sprach der ARBÖ von einer „inakzeptablen Entscheidung“.

Der ÖVP-Wirtschaftsbund und der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband (SWV) ärgerten sich ebenfalls über den heute verkündeten Schritt. Der SWV verwies darauf, dass das Projekt bereits mehrere Prüfverfahren durchlaufen habe und auch von den Wiener Grünen mit auf den Weg geschickt wurde. Im Wirtschaftsbund konstatierte man „grünen Populismus“. Statt auf Zukunftstechnologie den Fokus zu legen, würden Infrastrukturprojekte „am laufenden Band für Schlagzeilen geopfert“.