Mutter und Kind neben Coronavirus-Denkmal in Südafrika
AP/Denis Farrell
Globaler CoV-Plan fehlt

Afrika neuerlich vergessener Kontinent

Die Omikron-Variante hat schnell dazu geführt, mit dem Finger auf den Süden Afrikas zu zeigen. Doch während gar nicht klar ist, ob die neue Variante überhaupt ihren Ursprung dort hatte, wird offensichtlich, dass nach knapp zwei Jahren Pandemie noch immer eines fehlt: ein globaler Plan. Afrika liegt bei Impfungen weit hinten, seit jeher wird über Impfstoffpatente und -lieferungen diskutiert. Bewegung gibt es zu wenig – mit weltweiten Folgen.

Als Südafrika und Botsuana erstmals von der neuen Variante berichteten, reagierte man international schnell, wenn auch nicht koordiniert: Binnen kürzester Zeit machten einzelne Staaten Europas sowie die USA ihre Grenzen für Menschen aus dem Süden Afrikas praktisch dicht – noch bevor die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor individuellen Schnellschüssen warnte. Zu wenig sei aktuell noch über die neue Variante bekannt, hieß es.

Von der WHO hieß es am Dienstag, dass man die Sorgen wegen der neuen Variante verstehe. Gleichzeitig sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus: „Aber ich bin ebenso besorgt darüber, dass mehrere Mitgliedstaaten pauschale Maßnahmen einführen, die weder evidenzbasiert noch für sich genommen wirksam sind und die Ungleichheiten nur verschärfen werden.“

„Diskriminierung“ für transparentes Vorgehen?

Auch nach einer Woche sind jedenfalls immer noch viele Fragen offen – sei es zur Übertragung und der Gefahr durch Omikron, der Wirksamkeit des Impfstoffs oder eben zur Herkunft. In Südafrika verweist man vor allem darauf, dass man transparent mit der neuen Variante umgegangen sei: „Wir haben das gemacht, um unser Land und die Welt zu schützen – selbst wenn wir dafür möglicherweise enorm diskriminiert werden“, schrieb etwa der südafrikanische Forscher Tulio de Oliveira vergangene Woche auf Twitter.

„Weckruf“ für weltweite Impfstoffverteilung

Während die Politik im Süden Afrikas dementsprechend die Reisebeschränkungen scharf kritisiert, wird gleichzeitig auch auf die verheerende Ungerechtigkeit bei der Impfstoffverteilung verwiesen – und die damit verbundenen gesundheitlichen Konsequenzen. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa sagte, Omikron sei ein „Weckruf“ im Hinblick auf das Ungleichgewicht bei den Impfungen.

Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres wies auf die Ungleichheiten hin: „Die Menschen in Afrika können nicht für das unsäglich niedrige Niveau der dort verfügbaren Impfungen verantwortlich gemacht werden – und sie sollten nicht dafür bestraft werden, dass sie wichtige wissenschaftliche und gesundheitliche Informationen identifizieren und mit der Welt teilen.“

Ein Blick auf die Statistik, selbst bei möglichen Unterschieden der Datenlage, malt ein eindeutiges Bild: Afrika konnte schon bei der Delta-Variante nicht auf weitverbreiteten Impfschutz zählen – und wird auch bei Omikron wohl auf sich selbst gestellt sein. Südafrika hat mit über 20 Prozent noch eine der höheren Impfraten – laut einem „New York Times“-Artikel gebe es jedoch trotz verfügbarer Dosen Probleme bei der Verteilung. Anderen Staaten mangle es an „Kühlschränken, logistischer Infrastruktur und medizinischem Personal, um die Bevölkerung zu impfen“, so die US-Zeitung.

„Es reicht nicht aus, Impfdosen zu spenden“

Bisher sollen laut WHO weltweit mehr als 90 Millionen Impfdosen im Rahmen der Hilfsprogramme Covax und AVATT gespendet worden. Der Großteil der Spenden sei relativ spontan erfolgt. China kündigte zuletzt an, insgesamt 600 Mio. Dosen spenden zu wollen, 400 weitere Millionen sollen gemeinsam produziert werden.

Medizinische Fachkräfte in Südafrika
AP/Jerome Delay
Die Impfrate in Südafrika ist weiterhin niedrig

Während USA und China uneins sind, wer mehr Impfdosen an Afrika gespendet hat, geht das Problem aber über die reine Lieferung ganz offensichtlich hinaus. Auch der italienische Gesundheitsminister Roberto Speranza sagte am Montag: „Es reicht nicht aus, Impfdosen zu spenden, wir müssen diejenigen konkret unterstützen, die nicht über strukturierte und flächendeckende Gesundheitsversorgung wie wir verfügen.“

NGOs fordern Patentfreigabe

Und auch die längerfristige Produktion von Impfstoffen ist ein Thema. Praktisch seit der Einführung der ersten Impfstoffe wird über eine Patentfreigabe diskutiert – diese müsste von den Mitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO) auf den Weg gebracht werden, gegen die nötige Dreiviertelmehrheit legen sich aber einige Staaten, darunter auch einige EU-Staaten, quer. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) begründete Anfang November ihr Nein: „Es ist kein Problem der Produktion, es wird genügend Impfstoff produziert, es ist ein Problem der Verteilung.“

NGOs kritisieren die Blockade, auch von namhaften Medizinerinnen und Medizinern kommt der Aufruf, die Patente freizugeben. Die globalisierungskritische NGO Attac etwa zitiert den Epidemiologen Gerald Gartlehner: „Die Pandemie kann nur global besiegt werden. Es ist daher nicht nur eine moralische Pflicht, sondern auch eine Frage des Eigeninteresses, dass Impfstoffe global zur Verfügung stehen und gerecht verteilt werden.“ Und auch die südafrikanische Ärzte-ohne-Grenzen-Expertin Candice Sehom sagte im Hinblick auf die Omikron-Variante, dass diese „ein bezeichnendes Beispiel“ sei, „wie dieses Virus weiter mutiert, vor allem wenn es keinen gerechten Zugang zu den richtigen medizinischen Produkten gegen Covid-19 gibt.“

WHO pocht auf globale Lösung

Egal wie man die Impfrate in Afrika letztlich steigert: Für die Bekämpfung der Pandemie ist die Impfung wohl ein wesentlicher Faktor. Denn unabhängig davon, wo sie entstehen: Mutationen sind, das zeigt die Erfahrung der letzten zwei Jahre, normalerweise binnen kürzester Zeit weltweit vorzufinden. Auch mit schnellen Einzelaktionen, um die Grenzen zu schließen, konnten Fälle an anderer Stelle nicht verhindert werden.

Passagiere warten auf ihren Flug in Südafrika
AP/Jerome Delay
Zahlreiche Länder reagierten mit Einreisestopps aus dem südlichen Afrika, die WHO fordert aber eine andere Herangehensweise

Auch für die WHO ist nur eine globale Lösung denkbar: „Kein Land kann sich allein aus der Pandemie herausimpfen. Je länger die Ungleichheit bei den Impfstoffen anhält, desto mehr Möglichkeiten hat das Virus, sich auszubreiten und sich in einer Weise zu entwickeln, die wir weder vorhersagen noch verhindern können. Wir sind alle gemeinsam betroffen“, so WHO-Chef Tedros.

„Pandemiepakt“ noch Zukunftsmusik

Dahingehend beschlossen die 194 Mitglieder der WHO am Mittwoch, zur besseren Vorbereitung auf künftige Pandemien einen weltweiten Pakt zu schließen. Tedros sagte, damit solle geholfen werden, eine „Ich zuerst“-Mentalität vieler Länder wie in der jetzigen Pandemie zu verhindern. Ziel ist eine Vereinbarung, die rechtlich bindend ist.

Allerdings wird der Pakt wohl erst in zweieinhalb Jahren fertig sein. Eine Arbeitsgruppe soll zwar vor dem 1. März nächsten Jahres Beratungen aufnehmen. Ergebnisse sollen aber erst zur Jahresversammlung der WHO im Frühjahr 2024 präsentiert werden. Das bisherige Pandemiegeschehen hat aber auch gezeigt, dass Zeit ein wesentlicher Faktor ist – die von Tedros für den Pakt eingeforderte „Solidarität, die notwendig ist, um einer globalen Bedrohung zu begegnen“ ist damit wohl schon vor 2024 gefragt.