Eine Impfspritze wird aufgezogen
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Debatte

„Impfpflicht“ auf EU-Ebene angekommen

Ein Drittel der Menschen in der EU ist nicht gegen das Coronavirus geimpft. Nun eröffnet EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen eine heikle Debatte: Sie schlug vor, über eine allgemeine CoV-Impfpflicht in der Europäischen Union zu reden. Das ist aber Angelegenheit der Mitgliedsstaaten.

Kaum ein Thema spaltet die Gesellschaft derzeit so stark wie eine Impfpflicht. Doch die bisherigen Wege, die Menschen zu einer Coronavirus-Impfung zu motivieren, reichen nicht aus, um die Pandemie zu beenden. Zudem breitet sich auch in Europa die Omikron-Variante aus, von der noch niemand weiß, wie sie sich auswirken wird.

Von der Leyen warnte am Mittwoch in Brüssel vor einer zu geringen Impfrate. „Wir sollten möglicherweise über eine verpflichtende Impfung in der EU nachdenken.“ Sie begründete das mit der Ausbreitung der neuen Variante und der Tatsache, dass ein Drittel der EU-Bürger bisher nicht gegen das Coronavirus geimpft ist. „Wir wissen aus unserer Erfahrung mit der Delta-Variante, dass es ein Wettlauf gegen die Zeit ist“, sagte sie.

Gemeinsamer Ansatz gewünscht

Die Wissenschaft rate dazu, alles zu tun, um das Beste aus der zur Verfügung stehenden Zeit zu machen, bis es Gewissheit über die Merkmale der Übertragbarkeit und den Schweregrad von Omikron gebe.

„Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor und hoffen Sie auf das Beste!“, fügte von der Leyen hinzu. Die Entscheidung über die Einführung einer Impfpflicht obliegt den einzelnen Mitgliedsstaaten. Die EU-Kommission spielt aber eine koordinierende Rolle und ist für die Verträge mit den Vakzinherstellern zuständig. Die Impfpflicht sei „eine Diskussion, die geführt werden muss“, sagte von der Leyen weiter. Es brauche dazu einen gemeinsamen Ansatz in den Mitgliedsstaaten.

Impfstoff für Kinder kommt früher

Von der Leyen bestätigte zudem, dass der Impfstoff für die fünf- bis elfjährigen Kinder EU-weit am 13. Dezember ausgeliefert wird – eine Woche früher als zuvor geplant. Sie begrüßte auch Fortschritte bei den Auffrischungsimpfungen in Europa. Sie betonte, die EU habe genug Impfstoff bestellt, um bis Ende März allen Europäerinnen und Europäern eine Auffrischungsimpfung zu geben.

Allgemeine Impfpflicht in der EU?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vorgeschlagen, über eine allgemeine CoV-Impfpflicht in der Europäischen Union zu sprechen. Bisher ist ein Drittel der Menschen in der EU nicht gegen das Coronavirus geimpft.

Die Verträge mit den Herstellern Biontech und Pfizer sowie Moderna sähen dafür 360 Millionen Dosen vor. Insgesamt hatte die EU im Sommer die Lieferung von 1,8 Milliarden Impfdosen mit den Pharmafirmen vereinbart.

UNO skeptisch zu Impfpflicht

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) setzt sich dafür ein, möglichst viele Menschen weltweit zu impfen. Die Impfung gesetzlich vorzuschreiben empfiehlt sie jedoch nicht. „Statt eine verpflichtende Impfung einzuführen, zielen die Empfehlungen der WHO darauf ab, den Nutzen und die Sicherheit der Impfung aufzuzeigen, um eine möglichst große Akzeptanz zu erreichen“, erläuterte WHO-Sprecherin Fadela Chaib.

Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte (UNHCHR) hält Aufklärung und Überzeugung bei der Covid-19-Impfung ebenfalls für die bessere Strategie. Besonders Randgruppen und Impfskeptiker sollten so erreicht werden.

Eine Impfpflicht müsse wie alle anderen Maßnahmen zum öffentlichen Gesundheitsschutz im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsgesetzen stehen, hob UNHCHR-Sprecherin Liz Throssell hervor. Konkret bedeute das: Eine Impfpflicht müsse gesetzlich geregelt und notwendig für die öffentliche Gesundheit sein. Vor allem aber müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gelten. Es müsse die „am wenigsten einschneidende Option“ gewählt werden, um das Ziel zu erreichen, mahnte Throssell. Zudem dürfe eine Impfpflicht nicht diskriminierend wirken.

Thema auf EU-Gipfel

Für und wider – diese Debatte dürfte es auch auf dem EU-Gipfel am 16. und 17. Dezember geben. Dort wird die Pandemie einmal mehr alle anderen Themen überschatten. Großes Interesse wird wohl an Österreichs bereits geplanter Impfpflicht aufkommen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf soll kommende Woche in Begutachtung geschickt werden, ab Februar soll die Pflicht dann gelten. Am Dienstag gab es dazu erste Gespräche von Fachleuten, Teilen der Opposition und der Regierung.

Auch in Deutschland stehen die Zeichen auf Impfpflicht. Der designierte deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Dienstag ein Gesetzgebungsverfahren für eine allgemeine Impfpflicht angekündigt. Es könnte nach seinen Worten noch in diesem Jahr eingeleitet werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Reuters/Ints Kalnins
Von der Leyen: „Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor und hoffen Sie auf das Beste!“

Mehrheit in Österreich für Impfpflicht

In Österreich befürwortet inzwischen eine Mehrheit die geplante allgemeine Impfpflicht. Laut einer Onlineumfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup stimmten 55 Prozent einer derartigen Maßnahme zu, 40 Prozent lehnten sie ab, fünf Prozent machten keine Angabe.

Teilgenommen hatten 1.000 Personen repräsentativ für die (webaktive) österreichische Bevölkerung über 16 Jahre. Laut Gallup erreichte die Zustimmung zu einer allgemeinen Impfpflicht damit erstmals eine Mehrheit. Im Juli lag dieser Wert noch bei 24 Prozent, Mitte November bei 46 Prozent, hieß es.

Ein ähnliches Bild zeigte eine OGM-Umfrage für den „Kurier“ am Sonntag. In dieser gaben 61 Prozent ihre Zustimmung für eine allgemeine Impfpflicht. 35 Prozent der 837 ebenfalls online Befragten sprachen sich dagegen aus, der Rest machte keine Angabe.