Lobau
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Aus für Lobautunnel

Jurist ortet „heikles Terrain“

Nach dem Nein zum Bau des Lobautunnels wartet nun eine schwierige Aufgabe auf Klimaschutz- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne). Die Stadt Wien und das Land Niederösterreich prüfen rechtliche Schritte und machten auch am Donnerstag gegen die Entscheidung mobil. Gewessler sieht die Kompetenz für die Entscheidung klar bei sich, Verwaltungsrechtsexperte Peter Bußjäger ortet die Ministerin auf „heiklem Terrain“, wenn etwa keine Alternativen genannt werden.

Der Innsbrucker Verwaltungsrechtsexperte Bußjäger verwies im Ö1-Morgenjournal auf das Bundesstraßengesetz, und zwar auf den Umstand, dass nach derzeitigem Stand ein „gesetzlicher Auftrag“ für den Bau der Straße bestehe – das Vorhaben „einfach so absagen“ könne Gewessler nicht. Es handle sich um eine „verbindliche Festlegung im Gesetz“. Bußjäger sieht Gewessler auf „heiklem Terrain“: „Wenn sie den Bau gänzlich absagt, ohne Alternativen in den Raum zu stellen, ist das eine sehr heikle Geschichte“, meinte der Verwaltungsrechtler.

Bundesstraßengesetz ändern?

Tatsächlich ist der Bau einer Schnellstraße zwischen Schwechat und Süßenbrunn über den Knoten Raasdorf ausdrücklich im Bundesstraßengesetz festgeschrieben. Möglich, so Bußjäger, wäre auch eine Änderung des Bundesstraßengesetzes – mittels einer parlamentarischen Mehrheit. Ansonsten werde „ein Auftrag des Gesetzgebers nicht ausgeführt“. Der Experte ergänzte, dass für die genaue Ausgestaltung einer solchen Straße für die ASFINAG „ein großer Spielraum“ bestehe.

Auf die Frage, welche rechtlichen Schritte aus Wien und Niederösterreich jetzt kommen könnten, um das Projekt juristisch noch zu retten, antwortete Bußjäger: „Man kann natürlich an Amtshaftung aus dem Grunde eines rechtswidrigen Verhaltens der Bundesministerin prinzipiell denken, aber dann muss man unter anderem auch einen entstandenen Schaden nachweisen im Vermögen der beiden Länder. Also hier wird es wahrscheinlich nicht ganz einfach sein, das durchzusetzen.“

Gewessler: „Bundesstraßengesetz gibt Rahmen vor“

Gewessler selbst antwortete am Rande eines EU-Rats auf die Frage, ob sie mit ihrer Entscheidung wissentlich gegen Gesetze verstoßen würde, dass das „selbstverständlich nicht“ der Fall sei. „Das Bundesstraßengesetz gibt einen Rahmen vor“, sagte die Ressortchefin. „Aber die konkrete Umsetzung und die konkrete Entscheidung, was gebaut wird, findet im ASFINAG-Bauprogramm statt. Dafür zeichne ich als Ministerin verantwortlich, und da muss mit mir das Einvernehmen hergestellt werden“, so Gewessler.

Mitziehen der ÖVP mehr als fraglich

Dass der Koalitionspartner ÖVP bei einer Änderung des Bundesstraßengesetzes mitziehen würde, ist freilich mehr als fraglich. Gewessler begründete ihr Vorgehen am Mittwoch gegenüber der ZIB2 damit, dass sie aus dem Regierungsprogramm den Auftrag habe, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Die ASFINAG müsse aufgrund des entsprechenden Ermächtigungsgesetzes konkrete Bauprojekte planen und entwickeln. Was umgesetzt werde, werde aber jährlich mit dem Ministerium abgestimmt, pochte Gewessler auf die konkrete Kompetenz bei der Entscheidung, was gebaut wird.

Auch die Unabhängigkeit und Weisungsungebundenheit des ASFINAG-Aufsichtsrats ist in den Augen Gewesslers für ihre Entscheidung keine Hürde. Denn der Aufsichtsrat müsse das Einvernehmen mit der Ministerin als Eigentümervertreterin der Republik herstellen.

Ministerin Gewessler zum Lobautunnel-Baustopp

Der Baustopp des Lobautunnels sei angesichts der Klimakrise ein „wichtiger und notwendiger Schritt“, sagte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). Im Interview nimmt sie zu ihrer Entscheidung Stellung.

Suche nach „Variante C“

Gewessler räumte zugleich ein, dass die betroffene Region – das Stadtentwicklungsgebiet ist mit 200.000 Einwohnerinnen und Einwohnern etwa so groß wie ganz Linz und das am schnellsten wachsende – eine starke Verkehrsanbindung braucht. Neben dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs werden auch Straßen gebaut werden. Die Stadt Wien kündigte ja bereits an, die Stadtstraße – den Zubringer zur Umfahrung S1 – trotzdem zu bauen. Und Gewessler betonte erneut, dass die ASFINAG dann „natürlich“ die Anbindung bauen werde. Auf den Einwand, dass diese dann de facto im Nichts ende, wollte Gewessler nicht eingehen.

Ursprünglich geplanter Verlauf der S1 Schwechat – Süßenbrunn und der Lobautunnel mit Anschlussstellen und Stadtstraße Seestadt

Die Klima- und Verkehrsministerin betonte, ab morgen arbeite man gemeinsam mit den Bundesländern an einer „Variante C“. Es gehe ihr darum, Klimaschutz und günstigen Wohnbau unter einen Hut zu bringen.

„Empörung“ und „Allianz der Vernunft“

Das zuvor von Gewessler in einer Pressekonferenz verkündete Aus für den Lobautunnel rief emotionale Reaktionen hervor. Druck kam am Donnerstag einmal mehr aus Wien und Niederösterreich bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von Wiens Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) und dem niederösterreichischen Mobilitätslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP). Die beiden Seiten eine die „Empörung nach der Entscheidung“, so Sima, Schleritzko sprach von einer „Allianz der Vernunft“. Die Stadtstraße soll jedenfalls gebaut werden.

Das Tunnelprojekt nach zwanzig Jahren Planung einfach abzusagen, ohne Alternative bzw. Plan, die Verkehrslast anders zu bewältigen, sei „inakzeptabel“, so Sima. Schleritzko sagte, Gewessler stellte sich selbst über das Bundesstraßengesetz. Die Betroffenen im Marchfeld und im Weinviertel seien nicht angehört worden, man habe „Chancen auf dem grünen Altar der Parteipolitik geopfert“. Laut Schleritzko hätten erste rechtliche Prüfungen ergeben, dass die Ministerin die Projekte nicht ohne weiteres streichen könne – da sie im Bundesstraßengesetz verankert seien.

„Letztes Wort nicht gesprochen“

Tags zuvor hatte bereits Wiens Bürgermeister Ludwig seinerseits eine Pressekonferenz abgehalten und Gewesslers Entscheidung scharf kritisiert: Er sprach von einem „Schlag gegen die Lebensqualität der Menschen in Wien und in der Ostregion“ und kündigte das Prüfen „juristischer Maßnahmen“ an. Denn mit dem Aus würden sich Stau und schlechtere Lebensqualität ergeben. Auch kritisierte Ludwig den über viele Jahre geführten Evaluierungsprozess, der „nicht transparent“ gewesen sei – mehr dazu in wien.ORF.at.

Auch schoss er sich auf den Umstand ein, dass in dem Prozess zur Evaluierung keine Alternativen zu der nun abgesagten Variante genannt worden seien. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“, so Ludwig. Er sah in den von Gewessler vorgestellten Plänen, vor allem zur Umgestaltung der Wiener Stadtstraße, „eine gewisse Pflanzerei“.

Wiens Bürgermeister Ludwig zum Aus für Lobautunnel

Für Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ist mit der Absage des Lobautunnels durch Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) „das letzte Wort noch nicht gesprochen“.

Mikl-Leitner ortet „grüne Parteitaktik“

Unterstützung erhielt Ludwig von seiner Kollegin, der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Sie ortet „grüne Parteitaktik“, was die Absage des Lobautunnels und des S1-Teilstücks mit dem Anschluss zur S8 betrifft – mehr dazu in noe.ORF.at. „Entscheidungen im Elfenbeinturm im Verkehrsministerium werden leicht getroffen, ich rate aber diesen Damen und Herren, in diese Region zu fahren“, so Mikl-Leitner bei einem gemeinsamen Auftritt mit Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP). „Nur Nein zu sagen ist in der Politik nicht ausreichend, man muss auch Alternativen aufzeigen“, sagte Schallenberg.

Blümel: „Wichtiges Projekt“ wird kommen

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) zeigte sich unterdessen unbeeindruckt von der am Vortag erfolgten Absage des Lobautunnels. „Ich bin überzeugt, dass man einen Weg finden wird, dass das wichtige Projekt doch noch zustande kommt“, sagte der Ressortchef am Donnerstagvormittag bei einer Pressekonferenz. Unterschiedliche Auffassungen in der Koalition seien nichts Neues, man habe es aber immer geschafft, bei schwierigen Themen eine gemeinsame Vorgangsweise zu finden.

Kritik am Aus kam von Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer, das Projekt sei eine infrastrukturelle Notwendigkeit. „Wir halten das bis zu einem gewissen Grad auch für eine politische Geisterfahrt. Die Verkehrsströme gehören entzerrt. Es ist vollkommen absurd anzunehmen, dass wir in Zukunft ein geringeres Güteraufkommen haben werden“, sagte Mahrer. Der Lobautunnel sei ein „gutes, wohldurchdachtes Projekt“.

Ministerium verweist auf Gutachten und Rechtsmeinung

Das Verkehrsministerium verwies am Donnerstag auf ein Gutachten zur rechtlichen Grundlage des ASFINAG-Bauprogramms. Die Autorin, Dragana Damjanovic von der TU Wien, hält darin fest: „Mit der Festlegung der Straßen im Verzeichnis erklärt der Bundesgesetzgeber die Straßen zu Bundesstraßen und legt damit die Zuständigkeit des Bundes fest. Es handelt sich insofern um eine Ermächtigungsnorm, aus der keine Verpflichtung abzuleiten ist – jedenfalls nicht, dass die angeführten Straßen innerhalb einer bestimmten Frist zu realisieren sind.“

Das Ministerium übermittelte auch eine Einschätzung von Konrad Lachmayer von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Sigmund-Freud-Privatuniversität. Das Bundesstraßengesetz lege demnach die Grundlage für den Bau von Autobahnen und Schnellstraßen fest, bringt aber gleichzeitig zum Ausdruck, dass die konkretere zeitliche und inhaltliche Ausgestaltung bei der Ministerin liege. „Eine Verpflichtung zum Bau von Straßen zu einem bestimmten Zeitpunkt und mit bestimmter technischer Ausgestaltung besteht auf diese Weise nicht“, so Lachmayer.

„Erwartungen aus letztem Jahrtausend überholt“

Gewessler hatte bei ihrer Pressekonferenz davor auf die detaillierte Bewertung der Straßenbauprojekte und die Erstellung eines 150-seitigen Berichts verwiesen. „Die Erwartungen aus dem letzten Jahrtausend haben sich überholt und treffen heute nicht mehr zu“, so Gewessler. Entsprechend hab es Absagen auch für weitere Projekte: So wird etwa die S34 im niederösterreichischen Traisental nicht in der geplanten Form umgesetzt – mehr dazu in noe.ORF.at. Auch weitere Projekte standen auf dem Prüfstand – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.