Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und Klubobmann-Stellvertreter August Wöginger (ÖVP)
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Personalien und künftige Ausrichtung

ÖVP-Spitze berät nach Kurz-Abgang

Nach dem Rückzug von Sebastian Kurz aus der Politik und Alexander Schallenbergs Verzicht auf das Amt des Bundeskanzlers berät die ÖVP am Freitag, wer die Parteispitze, aber auch das Amt des Bundeskanzlers übernehmen soll. Erwartet wird eine größere Umbildung des türkisen Regierungsteams, nachdem auch Finanzminister Gernot Blümel seinen Rücktritt erklärt hat. Man wolle rasch handeln, so der Tenor der Landeshauptleute.

Knapp zwei Monate nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler erklärte Kurz am Donnerstag, er werde seine Ämter als ÖVP-Vorsitzender und als Fraktionschef am Freitag abgeben. Sein Nachfolger Schallenberg erklärte daraufhin, er wolle ebenfalls sein Amt als Bundeskanzler zur Verfügung stellen, damit der nächste ÖVP-Chef auch zugleich wieder die Regierung führe. Er sei überzeugt, „dass beide Ämter – Regierungschef und Bundesparteiobmann der stimmenstärksten Partei Österreichs – rasch wieder in einer Hand vereint sein sollten“, sagte Schallenberg.

„Ich habe mich dazu entschieden, die Politik zu verlassen“, teilte dann auch Blümel via Facebook mit. Wie Kurz und Schallenberg äußerte sich auch Blümel nicht zu seinen Zukunftsplänen. In der Funktion als Wiener ÖVP-Chef folgt ihm zumindest interimistisch einmal der Nationalratsabgeordnete Karl Mahrer nach. Wie das neue ÖVP-Team aussehen wird, war umgehend Gegenstand medialer Spekulationen.

Kurz zieht sich aus Politik zurück

In einer Pressekonferenz bedankte sich der 35-jährige Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) für zehn lehrreiche Jahre, er gehe ohne Wehmut. Kurz begründet die Entscheidung mit der Geburt seines ersten Sohnes und mit den andauernden Korruptionsvorwürfen und Ermittlungen gegen ihn.

Nehammer als möglicher Nachfolger

Das Kanzleramt könnte unbestätigten Informationen zufolge Nehammer übernehmen. Vizekanzler Werner Kogler von den mitregierenden Grünen sagte in einer Stellungnahme am Donnerstag jedenfalls, ihn verbinde mit Nehammer eine gute Gesprächs- und Arbeitsbasis. Der „Kurier“ nannte als möglichen Nachfolger für Nehammer als Innenminister Andreas Pilsl, derzeit Landespolizeidirektor in Oberösterreich.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)
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Gerüchteweise könnte Innenminister Karl Nehammer einen Karrieresprung an die ÖVP-Spitze und ins Kanzleramt machen

Spekulationen gab es auch darüber, dass Nehammer das Amt des ÖVP-Chefs übernehmen könnte. „Nehammer wäre einer, der für Stabilität in der Regierung sorgen könnte“, sagte Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) am Donnerstagabend im „NÖ heute“-Interview. „Ich schätze Karl Nehammer sehr.“ Aber das gelte es jetzt in den Parteigremien zu beraten und zu entscheiden – mehr dazu in noe.ORF.at.

Bereits zu Mittag hatte Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) im ORF-Interview gesagt, er wolle Schallenberg zwar nicht vorgreifen, er nehme aber nicht an, dass dieser auch ÖVP-Chef werden wolle. Die Volkspartei verfüge über ein „großes personelles Reservoir“, so Stelzer auf die Frage, ob Nehammer ein etwaiger Kandidat sei: „Jetzt gilt es, rasch und gründlich zu sondieren“ – mehr dazu in ooe.ORF.at. Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler soll ebenfalls als ÖVP-Chefin im Gespräch sein.

Für den Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner gilt es jetzt, „nach vorne zu schauen. Wichtig ist jetzt, dass wir mitten in der Pandemie weiterhin eine stabile Bundesregierung haben“, sagte Wallner – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at. Es gehe jetzt um die Gesamtsicht, sagte der steirische Landeshauptmann Schützenhöfer (ÖVP). „Wer wird Parteiobmann, wer wird möglicherweise Spitzenkandidat, wer bleibt oder wird Bundeskanzler, das ist alles in Besprechung, und mehr kann ich dazu nicht sagen“ – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer sieht für eine Umbildung keine Eile. Ob es zu einer „größeren oder kleineren“ Umbildung der ÖVP-Regierungsmannschaft kommt, werde man in aller Ruhe beraten und dann zügig entscheiden, sagte Mahrer am Donnerstag.

Wackelkandidaten in Regierung

In Medienberichten wurden zudem Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck als Ablösekandidatinnen genannt. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler könnte Innenministerin werden, ihr Ressort dafür Schallenberg übernehmen, wird spekuliert. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner soll Kandidatin für Köstingers Agenden sein, für Blümels Bereich wurde – wie schon öfters – Nationalbank-Vizegouverneur Gottfried Haber genannt.

Neuwahlen so gut wie keine Option

Kurz hatte, bevor er 2017 Parteichef wurde, einem langen Defilee von wechselnden Bundesparteiobmännern ein Ende gesetzt. 2017 und 2019 führte Kurz die ÖVP bei Wahlen an die Spitze und sich selbst ins Kanzleramt. Falls es nun Neuwahlen geben würde, würde die ÖVP allerdings stark verlieren. Von einst 37,5 Prozent würde sie laut Umfragen auf um die 20 Prozent abstürzen. Neuwahlen dürften daher nicht auf dem Plan der ÖVP stehen. Ein fliegender Wechsel auf der Regierungsbank wäre allerdings unter Mitwirkung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen möglich.

Politologe Filzmaier zu Vorwürfen gegen Kurz

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier erläutert die Ermittlungen gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz.

ÖVP streut Kurz Rosen

Zuvor hatten die ÖVP-Landeshauptleute Kurz Rosen gestreut, für seinen Rückzug aus der Politik Respekt gezollt und seine Leistungen herausgestrichen – mehr dazu in oesterreich.ORF.at. ÖVP-Seniorenbund-Obfrau Ingrid Korosec sagte, sie finde es „schade“, dass das Talent Kurz der Politik verloren gehe. „Die Seniorinnen und Senioren verlieren einen echten Freund, der stets ein offenes Ohr für die Anliegen und Bedürfnisse der älteren Menschen gehabt hat.“ Für Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat Kurz als „Brückenbauer“ und durch seine Art, Politik zu leben, „Österreich besser gemacht“.

Die Junge ÖVP (JVP) dankte ihrem ehemaligen Vorsitzenden ebenfalls und lobte dessen Tätigkeit. Kurz habe immer ein Ohr für die Anliegen von Jungen gehabt. Auch der ÖVP-Arbeitnehmerbund (ÖAAB) streute Kurz Rosen: Mit ihm verliere Österreich einen Politiker mit Weitblick, so ÖAAB-Bundesobmann und stellvertretender ÖVP-Klubobmann August Wöginger. „Der ÖAAB zollt diesem großen Österreicher allen Respekt vor seiner Courage und seiner Arbeit für Österreich“, hieß es von der ÖAAB-Spitze in einer Aussendung. Der katholische Familienverband dankte Kurz in einer Aussendung für familienpolitisches Engagement. Der ÖVP-Bauernbund versteht Kurz’ Entscheidung, bedauert sie aber.