Eindrücke von der Renovierung des Parlamentsgebäudes
ORF.at/Roland Winkler
Erster Rundgang

So barrierefrei wird das neue Parlament

Ende kommenden Jahres soll das sanierte Parlament wieder seine Tore öffnen. Und es will nicht nur das Haus für die Abgeordneten sein, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger des Landes. Deshalb ist der Abbau der physischen Barrieren ein großes Ziel im neuen Parlament, wie ein Rundgang anlässlich des Tages der Menschen mit Behinderung zeigte. Platz müssen aber auch alle finden, denen man ihre Behinderung nicht sofort anmerke, fordern Expertinnen und Experten.

„Früher waren Menschen mit Behinderung immer die Backbencher.“ So fasst Franz-Joseph Huainigg seine Erinnerungen als ÖVP-Parlamentarier im Rollstuhl im alten Plenarsaal zusammen, der nach den Bombentreffern im Zweiten Weltkrieg von den Architekten Max Fellerer und Eugen Wörle zwar „sachlich, vornehm und zweckmäßig“ gestaltet worden war – aber doch einen sehr steilen Sitzungssaal aufwies, der vor allem für Abgeordnete mit Rollstuhl eine große Hürde darstellte. Denn auch nachträgliche Rampeneinbauten ließen nicht zu, dass Menschen im Rollstuhl den Plenarsaal selbstständig benutzen und befahren konnten.

Sobotka: „Es geht nicht nur um physische Barrieren“

Der neue Sitzungssaal sei eindeutig demokratischer, weiträumiger und vor allem flacher, erinnerte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Donnerstag bei einer Besichtigung des Hohen Hauses mit Vertretern von Behindertenorganisationen und Vertreterinnen der ORF-Lehrredaktion, die nun gemeinsam mit der APA im zweiten Jahr Nachrichten in einfacher Sprache präsentieren. „Es geht nicht nur um physische Barrierefreiheit im Parlament“, so Sobotka, der weiter sagte, dass ihm das Thema aus ganz persönlichen Erfahrungen ein großes Anliegen sei. Alle Formen von Barrieren müssten im neuen Parlament abgebaut werden, damit es ein Haus für alle Bürgerinnen und Bürger werde, also auch jene, denen man ihre Behinderung nicht gleich anmerke.

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Ex-Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg (M.), dahinter Wolfgang Sobotka. Links Robert Öllinger, rechts die ORF-Lehrredaktion.
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„Früher waren Abgeordnete mit Behinderung die Backbencher.“
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Besichtigung des neuen Plenarsaales am Donnerstag
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Flacher Weg zum Rednerpult – auch aus den hinteren Reihen
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Blick vom Rednerpult in den neuen Plenarsaal
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Die neue Architektur ist auch für Vierbeiner mit Führungsaufgabe geeignet
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Wiederhergestellt wird auch das Orginalsetting der 50er Jahre. Darauf besteht der Denkmalschutz.
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Die neuen Tische von oben. Rechts mit ausfahrbarem Monitor. Links mit eigenem Anschluss und Steckdosen. Früher musste um die Steckdosen gestritten werden.
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Rednerpult und Regierungsbank
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Hier könnten die Klubobleute sitzen – mit flachem Weg nach vorn
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Blick aus der Demokratiewerkstatt nach unten. Man darf weiter diskutieren, was unten besprochen wird. Barrierefrei.
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Das große Obergeschoß – vorne die gläserne Kuppe und der Blick hinunter in den Saal
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Die neue Glaskuppel von unten
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Fast fertig, sehr modern: die neuen Stiegenhäuser im Parlament

Übersetzungen der Parlamentsarbeit in einfacher Sprache seien dabei ebenso zentral wie das Aufgreifen von Erfahrungen der Behindertenverbände in der Umsetzung von Maßnahmen, um den unterschiedlichsten Gruppen die Teilnahme am parlamentarischen Geschehen zu ermöglichen. Von der obersten Glasgalerie, wo die Demokratiewerkstatt untergebracht sein wird, könnten ab der Wiedereröffnung alle Besucher das Geschehen im Parlament mitverfolgen, diskutieren und sich über parlamentarische Vorgänge weiterbilden.

Barriereabbau und Denkmalschutz

Tatjana Novakovic, die für das Bau- und Gebäudemanagement im Haus und die Barrierefreiheit zuständig ist, zeigte an den verschiedenen Geschoßen des Hauses, dass alle eine zentrale und einfache barrierefreie Zugänglichkeit hätten. Die Grundelemente, auch die Verkleidung des Hauses, alte Türschnallen und Handläufe müssen ja durch den Denkmalschutz erhalten bleiben – was auch letztlich den Charme des neuen Plenarsaales und seiner direkten Umgebung ausmacht. Allerdings sieht man durch das aufgebaute Obergeschoß und die Glaskuppel, dass nun das Parlament ein tatsächlich heller, offener und einladender Ort werden wird.

„Die meisten Formen von Behinderung sind unsichtbar“, erinnerte der DisAbility-Consultant Robert Öllinger beim Besuch im Parlament erneut. Wichtig für ihn sei, dass die Schulungen für den Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigung von den Behinderten selber kommen – und diese Expertise sei beim Parlamentsumbau deutlich gehört worden, so Öllinger.

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Flacher und demokratischer will der neue Plenarsaal wirken

„Qualität für alle wird besser“

„Wenn man ein Gebäude oder einen Saal auf die Bedürfnisse für Menschen mit Behinderungen abstimmt, dann wird insgesamt die Atmosphäre für alle besser“, zeigte sich Sobotka beim Rundgang überzeugt. Die neuere, luftigere Anordnung der Tische, aber vor allem der flachere Anstieg vermitteln tatsächlich eher einen verstärkten Eindruck von Gemeinsamkeit als hierarchische Schichtung, auch innerhalb der jeweiligen Parlamentsclubs. Durch die flachere Architektur des Saales habe man auch einen neuen großen Sitzungssaal unter dem Parlament gewonnen, zeigte sich der Parlamentspräsident erfreut.

Über Nacht wurde das Parlament wie viele andere öffentliche und private Gebäude bzw. Bürotürme der Stadt lila angestrahlt – als Ausdruck der weltweiten Kampagne „Purple Light Up“, die auf die Rechte und Anliegen von Betroffenen aufmerksam machen will und sich für eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen einsetzt.

Neben mehreren Ministerien – darunter das Außen- und das Verteidigungsministerium – und Museen beteiligen sich auch knapp 30 Unternehmen und Organisationen wie die Österreichische Post AG, Ikea, die Wirtschaftskammer Wien und die UniCredit Bank Austria an der Aktion und rufen dazu auf, mehr inklusive Maßnahmen zu setzen.

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Offenheit ist nicht nur eine Frage des Oberlichts

AK-Präsidentin für Offensive in Schule und bei Ausbildung

AK-Präsidentin Renate Anderl verlangte zum Tag der Menschen mit Behinderung weitere Schritte in Richtung gleichberechtigter Teilhabe von Betroffenen in der Gesellschaft. „Schon seit vielen Jahren wissen wir, dass es noch besonderer Anstrengungen bedarf, um ein inklusives Bildungssystem für unsere Kinder und Jugendlichen sowie einen inklusiven Arbeitsmarkt für alle Menschen – gleich mit oder ohne Behinderung – zu schaffen“, so Anderl.

„Gute, inklusive Bildung ist der Schlüssel für die Teilhabe am Arbeitsleben“, sagte die AK-Präsidentin, die umfassende Verbesserungen für die Beschäftigten in den Werkstätten, einheitliche Regelungen zur persönlichen Assistenz und bedarfsgerechte Finanzierung für Betroffene fordert. Abgebaut, so Anderl, müssten auch Barrieren in den Köpfen werden.

Teschl-Hofmeister fordert national einheitliche Lösungen

Dass man auch auf Länderebene für Menschen mit Behinderung in die Offensive gehen könne, daran erinnerte die Sozial-Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister. Im Bereich der persönlichen Assistenz brauche es dringende Verbesserungen, so Teschl-Hofmeister ähnlich wie Anderl, die „dringend eine bundesweite Regelung, die österreichweit einheitlich gestaltet ist“ fordert. Das Land Niederösterreich bringe sich auch aktiv in die Mitarbeit beim Nationalen Aktionsplan Behinderung (NAP) ein.

Hilfe auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit

ÖVP-Außenminister Michael Linhart will Menschen mit Behinderung „encouragieren“, weswegen Österreich auch die internationale Entwicklungszusammenarbeit forciere. Es sei wichtig, Menschen mit Behinderung „Werkzeuge in die Hand zu geben, um auf eigenen Beinen zu stehen und ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu sein“, so Linhart.

In Amman in Jordanien etwa unterstützt die Austrian Development Agency (ADA) Menschen mit Behinderungen durch Rehabilitation und psychosoziale Maßnahmen und medizinische Behelfe sowie berufsbildende Kurse. Dadurch haben sie gleiche Chancen auf Ausbildung und einen verbesserten Zugang zum Arbeitsmarkt. Ein Fokus wird auf Frauen mit Behinderungen und weibliche Pflegekräfte gesetzt. Insgesamt wurden laut Außenministerium 1.475 Menschen aus der syrischen Flüchtlings- und der jordanischen Gastgebergemeinschaft erreicht. Das Projekt lief bis Mitte 2021 und war mit 500.000 Euro dotiert.