Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)
Reuters/Lisi Niesner
ÖVP-Chef und Kanzler

Zeichen stehen auf Nehammer

Die ÖVP hat bei ihren Beratungen im Parteivorstand nach dem Rückzug von Sebastian Kurz als ÖVP-Chef und den folgenden Rücktritten von Kanzler Alexander Schallenberg und Finanzminister Gernot Blümel offenbar Entscheidungen getroffen. Bereits vor Beginn der angesetzen Pressekonferenz bestätigte der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer im ORF-Interview Nehammer als ÖVP-Chef.

Schützenhöfer bestätigte auch die Ablöse von Bildungsminister Heinz Faßmann durch Uni-Graz-Rektor Martin Polaschek. Nehammer sei sehr gut geeignet, hatte es am Freitag im Vorfeld der Sitzung wie bereits am Vortag vom oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer geheißen. „Karl Nehammer ist sicher bestens geeignet, hat große Regierungserfahrung und kann gut auf Leute zugehen und kennt auch die ÖVP bestens. Er ist sicher ein sehr gut geeigneter Kandidat“, sagte Stelzer am Freitag im Ö1-Morgenjournal. Es werde der Parteivorstand entscheiden. Er glaube, man werde eine rasche und klare Entscheidung treffen.

Auch die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner streute Nehammer bereits Rosen. „Nehammer wäre einer, der für Stabilität in der Regierung sorgen könnte“, so Mikl-Leitner am Donnerstagabend im „NÖ heute“-Interview. „Ich schätze Karl Nehammer sehr.“ Aber jetzt gelte es in den Parteigremien zu beraten und zu entscheiden – mehr dazu in noe.ORF.at.

Auch der Koalitionspartner kann sich offenbar eine Fortsetzung der Regierungszusammenarbeit mit Nehammer als Kanzler vorstellen: Vizekanzler Werner Kogler von den mitregierenden Grünen sagte in einer Stellungnahme am Donnerstag jedenfalls, ihn verbinde mit Nehammer eine gute Gesprächs- und Arbeitsbasis.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Georg Hochmuth
Innenminister Karl Nehammer könnte einen Karrieresprung an die ÖVP-Spitze und ins Kanzleramt machen

Komplettes Personalpaket soll präsentiert werden

Nach APA-Informationen stimmten sich die ÖVP-Landeshauptleute bereits am Donnerstagabend über die Vorgangsweise ab. Es könnte ein komplettes Personalpaket präsentiert werden. Der „Kurier“ nannte als möglichen Nachfolger für Nehammer als Innenminister bereits Andreas Pilsl, derzeit Landespolizeidirektor in Oberösterreich. Auch der Zweite Landtagspräsident Niederösterreichs, Gerhard Karner, wird laut „Kurier“ als Innenminister gehandelt.

Personalwechsel in der ÖVP

In der ÖVP sind Personalwechsel angesagt: Nach dem Rücktritt von ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist auch Finanzminister Gernot Blümel zurückgetreten. Kanzler Alexander Schallenberg stellte ebenfalls sein Amt zur Verfügung.

Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler könnte Innenministerin werden, ihr Ressort dafür Schallenberg übernehmen, wurde spekuliert. In Medienberichten wurden zudem Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck als Ablösekandidatinnen genannt. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner soll Kandidatin für Köstingers Agenden sein. Nach APA-Informationen dürften aber Köstinger und auch Integrationsministerin Susanne Raab in der Regierung bleiben, die Zukunft Schramböcks ist auch laut APA-Informationen dagegen unklar.

TV-Hinweis

Eine ZIB Spezial beschäftigt sich derzeit in ORF2 mit den Wechseln in der ÖVP.

Brunner könnte Blümel nachfolgen

Für Blümels Bereich wurde – wie schon öfters – Nationalbank-Vizegouverneur Gottfried Haber genannt. Laut „Kurier“ wird aber auch der bisherige Staatssekretär Magnus Brunner als Finanzminister gehandelt.

ORF-Reporter Dittlbacher vom Bundesparteivorstand

Der ÖVP-Bundesparteivorstand berät über Personalentscheidungen. ORF-Reporter Fritz Dittlbacher analysiert an Ort und Stelle.

Außenminister Michael Linhart geht dagegen „jetzt einmal“ davon aus, dass er Außenminister bleibt. „Ich bin gekommen, um Außenminister zu sein und für Österreich zu arbeiten“, sagte Linhart am Freitag am Rande der OSZE-Außenministertagung in Stockholm gegenüber dem Ö1-Morgenjournal.

Tag der Rückzüge

Erwartet wird eine größere Umbildung des türkisfarbenen Regierungsteams. Knapp zwei Monate nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler erklärte Kurz am Donnerstag, er werde seine Ämter als ÖVP-Vorsitzender und als Fraktionschef am Freitag abgeben. Sein Nachfolger Schallenberg erklärte daraufhin, er wolle ebenfalls sein Amt als Bundeskanzler zur Verfügung stellen, damit der nächste ÖVP-Chef zugleich wieder die Regierung führe. Er sei überzeugt, „dass beide Ämter – Regierungschef und Bundesparteiobmann der stimmenstärksten Partei Österreichs – rasch wieder in einer Hand vereint sein sollten“, sagte Schallenberg.

Kurz zieht sich aus Politik zurück

In einer Pressekonferenz bedankte sich der 35-jährige Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) für zehn lehrreiche Jahre, er gehe ohne Wehmut. Kurz begründet die Entscheidung mit der Geburt seines ersten Sohnes und mit den andauernden Korruptionsvorwürfen und Ermittlungen gegen ihn.

„Ich habe mich dazu entschieden, die Politik zu verlassen“, teilte dann auch Blümel via Facebook mit. Wie Kurz und Schallenberg äußerte sich auch Blümel nicht zu seinen Zukunftsplänen. In der Funktion als Wiener ÖVP-Chef folgt ihm zumindest interimistisch der Nationalratsabgeordnete Karl Mahrer nach. Wie das neue ÖVP-Team aussehen wird, war umgehend Gegenstand medialer Spekulationen.

Politologe Filzmaier zu Vorwürfen gegen Kurz

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier erläutert die Ermittlungen gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz.

Neuwahlen für ÖVP so gut wie keine Option

Kurz hatte, bevor er 2017 Parteichef wurde, einem langen Defilee von wechselnden Bundesparteiobmännern ein Ende gesetzt. 2017 und 2019 führte er die ÖVP bei Wahlen an die Spitze und sich selbst ins Kanzleramt. Falls es nun Neuwahlen geben würde, würde die ÖVP allerdings stark verlieren. Von einst 37,5 Prozent würde sie laut Umfragen auf um die 20 Prozent abstürzen.

Im September lag die ÖVP noch stabil bei 34, 35 Prozent und gut zehn Punkte vor der zweitplatzierten SPÖ. Seit der Affäre und Kurz’ Rücktritt als Kanzler am 9. Oktober liegt die ÖVP nur noch gleichauf mit oder sogar hinter der SPÖ, wie Umfragen zeigen. Damit wäre mit Rot-Grün-Pink erstmals seit Langem wieder eine Regierungsmehrheit ohne die ÖVP möglich. Neuwahlen dürften daher nicht auf dem Plan der ÖVP stehen. Ein fliegender Wechsel auf der Regierungsbank wäre allerdings unter Mitwirkung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen möglich.