Karl Nehammer
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Neues Regierungsteam

ÖVP macht Nehammer zum Kanzler

Im ÖVP-Regierungsteam bleibt kein Stein auf dem anderen: Der bisherige Innenminister Karl Nehammer soll Parteichef und Kanzler werden. Das gab Nehammer nach einem Parteivorstand am Freitag bekannt. Gehen muss auch Bildungsminister Heinz Faßmann – und es gibt gleich einige neue Gesichter. Bei den Neubesetzungen zeigt sich eine deutliche Handschrift der starken Länderorganisationen.

Innenminister soll der Niederösterreicher Gerhard Karner werden. Er ist Zweiter Landtagspräsident in Niederösterreich und war früher Pressesprecher des damaligen ÖVP-Innenministers Ernst Strasser – mehr dazu in noe.ORF.at. Einen Aufstieg gibt es für den Vorarlberger Magnus Brunner, bisher Staatssekretär im Klimaschutzministerium. Er soll Finanzminister werden – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at..

Bildungsminister Faßmann macht für Martin Polaschek, bisher Rektor der Universität Graz, Platz. Ob Faßmann freiwillig geht, darüber gibt es unterschiedliche Erzählungen. Mit Polaschek ist auch die steirische ÖVP wieder im Regierungsteam vertreten – mehr dazu in steiermark.ORF.at. Auch ein junges Gesicht bringt die ÖVP neu in die Regierung: Die Abgeordnete Claudia Plakolm ist als Staatssekretärin im Bundeskanzleramt vorgesehen und soll die Jugendagenden betreuen – mehr dazu in ooe.ORF.at.. Kurzzeit-Kanzler Alexander Schallenberg kehrt ins Außenministerium zurück.

Bildcombo mit Gerhard Karner, Martin Polaschek, Claudia Plakolm und Magnus Brunner
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Karner, Polaschek, Plakolm und Brunner (v. l. n. r.)

Wer bleibt?

Im Amt bleiben damit Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (Salzburg), Susanne Raab (Oberösterreich) als Ministerin für Frauen, Familie und Integration, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (Niederösterreich, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (Tirol) und Landwirtschafts- und Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (Kärnten). Dabei hatten über die letzteren drei auch Ablösegerüchte die Runde gemacht. Auch Arbeitsminister Martin Kocher bleibt.

Dank an Kurz

Es sei eine große Ehre, mit diesem Vertrauensvotum ausgestattet worden zu sein, sagte Nehammer in seinem Statement. Es sei ein Privileg für ihn, „diese neue Volkspartei anzuführen“. Er habe großen Respekt für die Entscheidung von Ex-Kanzler Sebastian Kurz, der für ihn den Weg frei gemacht habe.

Er streute Kurz weiter Rosen: Er habe Menschen angesprochen, die die Partei davor nicht mehr erreicht habe. Vor allem die Sozialpolitik seines Vorgängers lobte er ebenso wie die Sicherheits- und Migrationspolitik. Nehammer nannte Verantwortung, Solidarität und Freiheit als Grundsäulen seiner Politik – und mahnte diese Werte auch bei der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie ein.

Nehammer wird ÖVP-Parteichef und Kanzler

Der bisherige Innenminister Karl Nehammer soll ÖVP-Parteichef und Bundeskanzler werden. Das gab Nehammer nach einem Parteivorstand am Freitag bekannt. Zudem sind in der Regierung einige weitere personelle Änderungen geplant.

Neuer Kabinettschef vorgesehen

Auf die Frage, ob es bei der Parteifarbe Türkis bleibe, sagte Nehammer, in einer Pandemie sei es nicht die richtige Zeit, sich über Marketingfragen den Kopf zu zerbrechen. Das neue Team habe er gemeinsam mit den Ländern ausgesucht. Statutenänderungen in der ÖVP solle es nicht geben, sagte Nehammer in Hinblick auf das Durchgriffsrecht, das sich sein Vorgänger Kurz hatte geben lassen.

ÖVP-Generalsekretär soll Axel Melchior bleiben, so Nehammer: Veränderungen versprach er aber für sein Kabinett. Bernhard Bonelli, der als engster Vertrauter von Kurz dessen Kabinettschef war und diese Funktion auch unter Kanzler Schallenberg innehatte, wird unter Nehammer diese Funktion nicht mehr bekleiden. Pressesprecher Nehammers wird Daniel Kosak, der bisher im Dienste Köstingers stand. Das gab Kosak auf Twitter bekannt.

Kogler zufrieden

Durchaus zufrieden mit der ÖVP-Neuaufstellung äußerte sich Freitag Vizekanzler Werner Kogler im Ö1-Mittagsjournal. Er bekräftigte, dass er und andere Grüne eine „sehr gute Gesprächsbasis“ zu Nehammer hätten – wenngleich man in Migrationsfragen bekanntermaßen „unterschiedliche Auffassungen“ vertrete. Kogler sieht keinen Grund, jetzt das Regierungsprogramm neu zu verhandeln. Die Grünen stünden „zur Verantwortung und für Stabilität in der Regierung“.

Es gebe einen aufrechten, „sehr guten“ Koalitionsvertrag mit „großer grüner Handschrift“. Da „brauchen wir nicht viel rumtun“, meinte Kogler, sondern die anstehenden wichtigen Punkte nur „weiter umsetzen“, etwa im Klimaschutz und der Modernisierung der Wirtschaft, „um uns aus der Pandemie rauszukämpfen“. Die Frage, was die Grünen für ihre Zustimmung zum großen ÖVP-Umbau bekommen hätten, wies er zurück: Es sei jetzt „nicht die Zeit, sich wechselseitig Forderungen zu stellen“. Nötig sei – auch mit Blick auf die Coronavirus-Pandemie – dass es „in Verantwortung und Stabilität weitergeht“. Mit Nehammer habe er Donnerstag und Freitag telefoniert, ein längeres Gespräch sei vereinbart.

FPÖ fordert Neuwahl, SPÖ bereit dazu

FPÖ-Chef Herbert Kickl drängte neuerlich auf Neuwahlen. Daran führe „kein Weg mehr vorbei“, sagte Kickl. Auch die SPÖ stehe für eine Neuwahl bereit, wie SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried in einer Aussendung betonte.

„Wenn diese Regierung nicht weiter zusammenarbeiten kann und eine Regierungspartei die Koalition beendet, dann ist die SPÖ jedenfalls bereit für Neuwahlen“, so Leichtfried, wiewohl er dieses Szenario als „wenig wahrscheinlich“ bezeichnete. Die ÖVP mache alles, um an der Macht zu bleiben, so Leichtfried: „Und auch die Grünen haben in den vergangenen zwei Jahren oftmals gezeigt, dass sie politisch viel schlucken, um in der Regierung zu bleiben.“

Analyse der Neubesetzung der ÖVP-Ämter

ZIB-Innenpolitik-Redakteurin Claudia Dannhauser und Politikwissenschaftler Peter Filzmaier analysieren die bevorstehenden Personalrochaden innerhalb der ÖVP.

„Zusammenbruch des türkisen Systems“

Kickl sieht die anderen Oppositionsparteien SPÖ und NEOS sowie den Regierungspartner, die Grünen, in der Pflicht, den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Die ÖVP dürfe mit ihrer „breit angelegten Kindesweglegung“ nicht durchkommen. Die ÖVP versuche nun „in einer Art Notoperation, alle türkisen Zellen aus der Volkspartei zu entfernen“, und tue so, als ob sie damit nichts mehr zu tun habe.

Das Wahlergebnis von 2019 spiegle aber in keiner Weise die aktuelle Gemütslage innerhalb der Bevölkerung wider, so Kickl. Das mittlerweile aufgeflogene „ÖVP-Korruptionssystem“ sowie das „skandalöse Verhalten der ÖVP in der Corona-Politik“ seien Grund genug für Neuwahlen.

Auch Leichtfried ortet einen „Zusammenbruch des türkisen Systems“. Die ÖVP mache am Höhepunkt der Coronavirus-Pandemie, mitten in einem Lockdown, ihre interne Krise zu einer Regierungs- und zu einer Staatskrise. Anstatt die Pandemie mit aller Kraft zu bekämpfen, seien die Türkisen mit internen Machtspielen und Postenbesetzungen beschäftigt.

NEOS: Neuwahl im nächsten Jahr

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger meinte, es wäre besser, den Souverän zu befragen. Zwar nicht im Lockdown, aber nach Bewältigung der Coronavirus-Krise im nächsten Jahr sollte der Weg für Neuwahlen frei gemacht werden, sagte die NEOS-Chefin in einer Pressekonferenz. Sie geht davon aus, dass eine handlungsfähige Regierung leichter über Neuwahlen zu erreichen sei. Diese Regierung ist für Meinl-Reisinger keine stabile, und sie glaubt auch nicht, dass diese in der Lage ist, aktiv die Zukunft zu gestalten.

Die NEOS-Vorsitzende bezweifelte, dass es verantwortungsvoll sei, in dieser Situation eine Regierungsumbildung vorzunehmen. Es tue ihr „im Herzen weh“, dass die ÖVP die höchsten Ämter als „parteipolitische Verschubmasse“ behandle. Ihrer Ansicht nach steht die Regierung „vor dem Scherbenhaufen im Pandemiemanagement“.