Johanna Mikl-Leitner, Markus Wallner, Karl Nehammer und Wilfried Haslauer
APA/Herbert Neubauer
Länder-Comeback

„Gegenreformation“ in der ÖVP

Noch am selben Tag, als Sebastian Kurz die politische Bühne verlassen hat, haben in der ÖVP wieder die Länder die Zügel in die Hand genommen: Nicht nur der Parteichef, sondern auch der Bundeskanzler wird ausgetauscht. Gemeinsam mit dem neuen Kanzler Karl Nehammer wurden auch gleich weitreichende Personalveränderungen im ÖVP-Regierungsteam vorgenommen. Abgeschlossen ist die „Gegenreformation“ in der ÖVP aber vielleicht noch nicht.

Kurz hatte die Partei 2017 übernommen, umgebaut und umgefärbt. Bünde und Landesorganisationen ordneten sich ihm und seinem Erfolg unter, wobei bei der Koalition mit den Grünen die Personalwünsche schon wieder deutlicher zu sehen waren als in Kurz’ erster Regierung mit der FPÖ. Da hatte persönliche Verbundenheit mit dem Kanzler für potenzielle Ministerinnen und Minister deutliche Priorität.

Doch vieles davon ist jetzt schon überraschend schnell wieder Geschichte: Nicht nur Kurz ging am Donnerstag, mit Finanzminister Gernot Blümel verließ einer der engsten Weggefährten die Regierung und die Politik. Spekulationen über weitere Abgänge machten die Runde – gleichzeitig verdichteten sich die Informationen, dass Nehammer zum Parteichef und Kanzler aufsteigt. Leer ging Verfassungsministerin Karoline Edtstadler aus, die zwar in der Regierung bleibt, der aber eigentlich gute Chancen auf einen Aufstieg zugeschrieben wurden.

Politologin zur ÖVP-Entwicklung

Sebastian Kurz hatte Parteifarbe und Parteinamen geändert. Mit einem neuen Parteistatut ließ er sich auch Vollmachten bei Personalentscheidungen zusichern. Was sich jetzt geändert hat und was sich in der ÖVP ändern wird, analysiert Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle in der ZIB2.

Starkes Niederösterreich

Für Nehammer sprachen wohl vor allem zwei Dinge: So nah er mit Kanzler Kurz auch war – zum innersten türkisen Zirkel gehörte er nicht. Und: Wiewohl in Wien beheimatet, gilt er als fest in der ÖVP Niederösterreich verankert. Und diese scheint in Person von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wesentlich zu den Entscheidungen der vergangenen Tage beigetragen zu haben.

An Niederösterreich geht auch – fast schon traditionell – das Innenministerium. Gerhard Karner wird neuer Minister, und er kennt seinen neuen Arbeitsplatz von früher: Unter Innenminister Ernst Strasser war er Pressesprecher. Mit Verteidigungsministerin Klaudia Tanner bleibt eine weitere Niederösterreicherin in der Regierung, obwohl auch hier Ablösegerüchte die Runde gemacht hatten.

Auch Steiermark wieder vertreten

Die stärksten Indizien, dass die Länder die Sache wieder in die Hand nehmen, liefern wohl die Neubesetzungen in der Regierung: Für Vorarlberg steigt Magnus Brunner vom Staatssekretär zum Finanzminister auf. Und die steirische ÖVP, seit dem Abgang von Arbeitsministerin Christine Aschbacher im Jänner nicht in der Regierung vertreten, hat mit dem designierten Bildungsminister Martin Polaschek wieder Sitz und Stimme auf der Regierungsbank – auch wenn der bisherige Rektor der Uni Graz offiziell als parteilos gilt. Mit dem Abgang von Heinz Faßmann war eigentlich nicht gerechnet worden, ob er wie kolportiert freiwillig ging, wurde in einigen Medien bezweifelt.

Analyse der Neubesetzung der ÖVP-Ämter

ZIB-Innenpolitik-Redakteurin Claudia Dannhauser und Politikwissenschaftler Peter Filzmaier analysieren die bevorstehenden Personalrochaden innerhalb der ÖVP.

Nicht alle Gerüchte bestätigt

Die ÖVP in Oberösterreich darf sich freuen, mit Claudia Plakolm eine Staatssekretärin für Jugend ins Bundeskanzleramt zu schicken. Dazu bleibt Susanne Raab als Ministerin für Frauen, Familie und Integration ebenfalls im Amt. Glaubt man den innenpolitischen Buschtrommeln, dann wären Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck auch fast abgelöst worden.

Allerdings wäre dann die Kärntner und die Tiroler ÖVP gar nicht mehr vertreten gewesen. In beiden Fällen kursierten auch keine Namen möglicher Nachfolgerinnen oder Nachfolger. Und der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter gab auch unumwunden zu, dass er sich für den Verbleib Schramböcks eingesetzt habe.

Rückkehr der alten ÖVP

Anders als unter Sebastian Kurz haben die schwarz regierten Bundesländer in den vergangenen zwei Tagen sehr deutlich gemacht, dass ihre Stimme Gewicht haben. Ist die ÖVP also wieder dort, wo sie vor Kurz war?

Nicht ganz ausgeschlossen scheint es dennoch, dass auch noch der eine oder andere Ministerposten neu besetzt wird – freilich nur, wenn dieser offiziell aus „persönlichen Gründen“ und „freiwillig“ geräumt wird.

Wenig überraschend zeigten sich die ÖVP-Bundesländer durchwegs erfreut über die Personalentscheidungen, die sie maßgeblich selbst beeinflusst hatten – mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Analyse zur Regierungsumbildung

Claudia Dannhauser aus der ZIB-Innenpolitikredaktion analysiert die Umbildung innerhalb des ÖVP-Regierungsteams.

Was wird aus „Türkis“ und dem inneren Kreis?

Wie weit und wie schnell die „Gegenreformation“ in der ÖVP geht, bleibt abzuwarten: Nehammer sprach in seine Rede am Freitag zwar mehrmals von der „neuen Volkspartei“, zeigte jedoch keine Ambitionen, die von Kurz geänderten Statuten der Partei, die dem Chef weitgehende Kompetenzen geben, wieder rückgängig zu machen. Auf die Frage, ob Türkis Parteifarbe bleibe oder es auch symbolträchtig zurück Richtung Schwarz gehe, sagte Nehammer, derzeit sei nicht die richtige Zeit, sich über Marketingfragen den Kopf zu zerbrechen.

Nehammer wird ÖVP-Parteichef und Kanzler

Der bisherige Innenminister Karl Nehammer soll ÖVP-Parteichef und Bundeskanzler werden. Das gab Nehammer nach einem Parteivorstand am Freitag bekannt. Zudem sind in der Regierung einige weitere personelle Änderungen geplant.

Und nicht ganz unwesentlich wird wohl auch die Frage sein, was mit jenen Personen passiert, die im engsten Zirkel von Kurz arbeiteten, ohne ein öffentliches Amt zu bekleiden. Sein Kabinettschef Bernhard Bonelli wird Nehammers Team nicht angehören, sagte der designierte Kanzler. Ex-Medienbeauftragter Gerald Fleischmann war zuletzt im ÖVP-Klub gelandet, Berater Stefan Steiner arbeitete in der ÖVP-Zentrale.