US-Präsident Joe Biden und Präsident Russlands, Wladimir Putin
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Ukraine-Gespräch

Kräftemessen zwischen Putin und Biden

Inmitten wachsender Spannung im Ukraine-Konflikt reden Russlands Staatschef Wladimir Putin und US-Präsident Joe Biden am Dienstag miteinander. Die Welt blickt gespannt auf den Ausgang des Onlinegipfels. Die EU hat sich indes schon entschieden und sicherte der Ukraine ihre Unterstützung zu. „Die Ukraine ist gewiss eine Partnerin, eine Verbündete. Also stehen wir an ihrer Seite“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow rief dagegen Deutschland und Frankreich auf, mehr Einfluss auf die Ukraine zu nehmen. Die Erwartungen an den Gipfel von Putin und Biden sind groß, auch wenn die Präsidenten nicht direkt zusammentreffen werden – anders als noch im Juni in Genf. Beide Seiten haben bereits erklärt, dass die angespannte Lage im Ukraine-Konflikt auf die Tagesordnung kommt.

Biden wolle dabei die „Sorgen“ der USA angesichts von Russlands Militäraktivitäten entlang der ukrainischen Grenze unterstreichen, sagte seine Sprecherin Jen Psaki. Er werde die Unterstützung der USA für die Ukraine betonen. Biden erklärte laut dem Sender CNN: „Was ich jetzt tue, ist, das nach meinem Dafürhalten umfassendste und bedeutsamste Bündel an Initiativen zusammenzustellen, um es Herrn Putin sehr, sehr schwer zu machen, weiter voranzuschreiten.“ Biden will sich auch vor dem Gipfel mit seinen europäischen Verbündeten abstimmen. Danach will er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski informieren.

Am Montag kamen aus Moskau einmal mehr kritische Töne. Die aktuellen Beziehungen beider Länder seien beklagenswert, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Russland marschiert an Grenze auf

Die ohnehin gespannte Lage zwischen der Ukraine und Russland hat sich nach Berichten über einen massiven russischen Truppenaufmarsch nahe der ukrainischen Grenze zuletzt verschärft. Laut NATO sind mehr als 90.000 Soldatinnen und Soldaten an Ort und Stelle. Der Kreml wiederum wirft der Ukraine vor, mehr als 120.000 Soldaten und Soldatinnen an die Linie zu den prorussischen Separatistenregionen Donezk und Luhansk verlegt zu haben.

Ukrainischer Soldat in der Region Donezk, Ukraine
AP/Andriy Dubchak
Die Ukraine fürchtet, dass Russland bald einmarschieren könnte, und will ihre Gebiete verteidigen

Die beiden Länder beschuldigen sich gegenseitig, ein militärisches Einschreiten vorzubereiten. Am Wochenende gab es mehrere Medienberichte über angebliche Pläne Russlands. Die „Offensive“ könne schon Anfang nächsten Jahres beginnen, berichteten die „Washington Post“ und die „New York Times“ unter Berufung auf Dokumente der US-Geheimdienste und Vertreter der Regierung. An der Grenze zur Ukraine könnten bis zu 175.000 Soldaten und Soldatinnen aufmarschieren.

Kreml erinnert an Russlands „rote Linien“

Nur wenige Stunden vor Beginn des Videogipfels warnte der Kreml den Westen erneut vor einem Überschreiten „roter Linien“ im Ukraine-Konflikt. „Russland hat nicht vor, irgendjemanden anzugreifen, aber wir haben unsere Befürchtungen und unsere roten Linien“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag der Agentur Interfax zufolge. In der vergangenen Woche hatte Putin gesagt, dass etwa die Verlegung von militärischer NATO-Infrastruktur in die Ukraine aus russischer Sicht eine solche „rote Linie“ darstellen könnte.

Russlands Außenminister Lawrow erklärte, eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts sei nur durch einen Dialog zwischen Kiew und den ostukrainischen Gebieten möglich. Putin werde im Gespräch mit Biden klarmachen, dass sich die Ukraine an ihre Verpflichtungen aus dem 2015 ausgehandelten Minsker Friedensabkommen halten müsse, sagte Lawrow. Moskau fordert von Kiew zudem eine Garantie, den Donbass nicht anzugreifen.

Moskau: USA führen „Sonderoperation“ durch

Bereits zuletzt warf das russische Außenministerium den USA vor, eine „Sonderoperation“ durchzuführen, „um die Lage in der Ukraine zu verschärfen und gleichzeitig die Verantwortung auf Russland abzuwälzen“, wie Sprecherin Maria Sacharowa sagte. Mit Blick auf den seit gut sieben Jahren schwelenden Ukraine-Konflikt meinte Außenminister Lawrow im Staatsfernsehen, Kiew werde aus freien Stücken die Vereinbarungen des Friedensplans von 2015 nicht umsetzen. Berlin und Paris als Vermittler hätten sich bisher vor ihren Verpflichtungen gedrückt.

USA warnen Putin vor Eskalation

Die USA drohen Russland im Fall einer militärischen Eskalation im Ukraine-Konflikt mit schwerwiegenden Konsequenzen. Am Dienstag soll es auf einem Videogipfel zum Austausch zwischen Joe Biden und Wladimir Putin kommen. Die Lage für die Bevölkerung hat sich inzwischen weiter verschlechtert, seit die Waffenstillstandslinie zwischen den ukrainischen Truppen und den Seperatisten aufgrund der Pandemie so gut wie geschlossen wurde.

Seit 2014 kämpfen in der Ostukraine Regierungstruppen in den Gebieten Luhansk und Donezk gegen prorussische Separatisten. UNO-Schätzungen zufolge wurden seither mehr als 13.000 Menschen getötet. 2014 hatte sich Russland zudem die ukrainische Halbinsel Krim einverleibt. Der Friedensplan liegt trotz internationaler Appelle auf Eis.

Warnung vor Zwischenfällen im Luftraum

In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Spannungen. Zuletzt forderte Putin von der NATO ein Ende der Ostererweiterung. Sein Land brauche vom westlichen Bündnis „starke, verlässliche und langfristige Sicherheitsgarantien“, hatte er vor wenigen Tagen gesagt. Russland sieht sich in seiner Sicherheit bedroht, sollten etwa die früheren Sowjetrepubliken Georgien und Ukraine – wie in der Vergangenheit zum Beispiel die baltischen Staaten – in die NATO aufgenommen werden.

Moskau warnte am Wochenende zudem vor Zwischenfällen im Luftraum. Eine Passagiermaschine der staatlichen Fluggesellschaft Aeroflot habe auf dem Weg von Tel Aviv nach Moskau über dem Schwarzen Meer ihre Flughöhe wegen eines Aufklärungsflugzeugs der NATO ändern müssen, teilte die russische Luftfahrtbehörde der Nachrichtenagentur Interfax zufolge mit. Die Maschine mit 142 Menschen an Bord sei 1.800 Meter nach unten gegangen, um eine Kollision zu verhindern.

Sprechen wollen Putin und Biden einmal mehr auch über die seit Monaten laufenden Verhandlungen über eine neue nukleare Abrüstungsinitiative der beiden größten Atommächte. Gespräche sind nach zahlreichen Hackerangriffen außerdem über die Cybersicherheit beider Länder geplant sowie über das iranische Atomprogramm und weitere internationale Konflikte.

Scholz: Unverletzbarkeit der Grenzen beachten

Unmittelbar vor Beginn des Gesprächs zwischen Biden und Putin brachte der designierte deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz seine Sorgen über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine zum Ausdruck.

Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa setzten Prinzipien voraus, die in der Entspannungspolitik ausgehandelt worden seien und bis heute fortwirkten, mahnte Scholz am Dienstag in Berlin. „Dazu gehört die Unverletzlichkeit und Unverletzbarkeit der Grenzen. Es ist ganz, ganz wichtig, dass niemand in den Geschichtsbüchern wälzt, um Grenzen neu ziehen zu können“, sagte Scholz.

Aus Deutschland, Europa und den USA werde mit großer Sorge auf die Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze geschaut, sagte Scholz. „Deshalb muss ganz, ganz klar sein, dass das eine inakzeptable Situation wäre, wenn da eine Bedrohung entstünde für die Ukraine“, sagte er.