Nauka-Modul dockt an der International Space Station (ISS) an
Reuters/Roscosmos
„New Space“

ESA-Chef fordert Verkehrsregeln fürs All

Mit dem Wechsel vom Wissenschafts- zum Wirtschaftsraum ist im Weltall eine neue Ära angebrochen. Immer mehr Akteure drängen in den „New Space“ und liefern sich einen Wettlauf ins All. Europa dürfe dabei nicht zurückfallen, zudem brauche es neue Verkehrsregeln, fordern der Direktor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), der Österreicher Josef Aschbacher, und der deutsche Astronaut Alexander Gerst im Gespräch mit ORF.at.

Diese Woche fand in Brüssel die 14. Weltraumkonferenz statt. Auf großen Bildschirmen spulten sich in Dauerschleife Imagewerbefilme ab. Gezeigt wurden spektakuläre Raketenstarts, riesige Raumstationen, Satelliten, die durchs Universum rasen und natürlich die aufgehende Sonne hinter dem Erdtrabanten. Alles unterlegt mit pathetischer Musik.

Nicht weniger pathetisch waren die Statements all jener, die die Bühne betraten. Ob EU-Kommissar, Ministerin, Direktor, CEO, General, Kommandant, Wissenschaftlerin oder Astronaut – sie alle hatten die gleiche Botschaft: Man wolle Europa als „Space Power“ voranbringen und neue Spielregeln festlegen – auch für die großen Player USA, Russland und China.

ESA-Plakate
ORF.at/Tamara Sill
„Europäische Raumfahrtkompetenzen schützen“ – ein Appell, der wohl nicht nur Erinnerung, sondern auch Mahnung sein soll

Weltraum als Milliardengeschäft

Doch in den Reden fiel auch immer wieder der Name Elon Musk. Musk steht mit seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX paradigmatisch für das, was mit „New Space“ gemeint ist: Die rasante Kommerzialisierung des Weltraums. Das Unternehmen betreibt rund 2.000 der insgesamt etwa 5.000 Satelliten, die sich derzeit im Erdorbit befinden.

Musk will damit einen Großteil der Welt mit Internet aus dem All versorgen. In den kommenden Jahren könnte es mehrere Zehntausende Satelliten in der Erdumlaufbahn geben – so viele, dass sogar die Sterne wohl kaum mehr zu sehen sein werden.

Ein Großteil der Satelliten dient kommerziellen Zwecken privater Investoren. Anstelle der Wissenschaft rückt die Wirtschaft stärker in den Vordergrund: Geschätzt wird, dass die globale Weltraumindustrie im Jahr 2040 einen Umsatz von einer Billion US-Dollar oder mehr erwirtschaften wird. Zum Vergleich: 2020 waren es noch 350 Milliarden US-Dollar.

Astronaut Alexander Gerst und ESA-Chef Josef Aschbacher
ORF.at/Tamara Sill
Gerst und Aschbacher plädieren für ein neues „Space Traffic Management System“ – Europa könne hier eine Pionierrolle einnehmen

„Müssen schneller und risikobereiter sein“

Vom Weltall als Wirtschaftsraum spricht auch Aschbacher: „Der nächste Wirtschaftsraum wird der Mond sein, die Raumstationen und irgendwann der Mars. Mein Plädoyer ist, dass Europa da mitmachen muss.“ Doch noch sei Europa, was die Kommerzialisierung des Weltraums betreffe, relativ klein. „Da hat Europa aufzuholen.“

„Wir sind Entdecker, Eroberer, seit Generationen, seit Jahrhunderten. Europa hat den neuen Kontinent entdeckt und dadurch eine Weltmachtstellung aufgebaut“, so Aschbacher. Nun könne man nicht als „Auto- oder Raketenstopper“ mit anderen mitfliegen, sondern müsse eigene Kapazitäten aufbauen, plädiert der österreichische ESA-Chef, der eine Debatte über die Entwicklung eigener europäischer Raumschiffe anstoßen möchte.

Europa habe fantastische Experten und sehr gute Ideen, aber weniger finanzielle Mittel zur Verfügung. Und: Europa ist langsamer. Zwar sei man auf einem guten Pfad, doch „wir müssen schneller sein, wir müssen entscheidungsfreudiger und risikobereiter sein – und einfach tun“, appelliert Aschbacher.

Neuer Space, neue Chancen

Ähnlich sieht das auch der deutsche Astronaut und frühere ISS-Kommandant Gerst, der mit seiner blauen Uniform aus der Masse der schwarzen Anzugträger sofort hervorsticht. „Wenn wir jetzt nicht agieren, wenn wir jetzt nicht mitziehen mit den internationalen Akteuren, dann werden wir unsere Rolle auf Augenhöhe verlieren, werden nach hinten zurückfallen und wahrscheinlich nie mehr aufholen.“ Man müsse eine Vision und den Mut haben, nach vorne zu ziehen – so wie es auch die Pioniere in den Dekaden davor gemacht haben.

Im „New Space“ sieht Gerst auch neue Chancen, etwa die Öffnung des Weltraums für nicht staatliche Akteure und Akteurinnen. Durch diese breitere Aufstellung würden sich neue Möglichkeiten für die europäische, aber auch die weltweite Industrie ergeben.

SpaceX-Start beim Kennedy Space Center
Reuters/Nasa/Ben Smegelsky
Das Budget der ESA für die Erkundung des Weltalls betrug im vergangenen Jahr 735 Millionen Euro – ungefähr also sieben Prozent der Summe, die die NASA zur Verfügung hat

Digitaler Zwilling der Erde

Denn ging es beim „Old Space“ primär darum, eine wissenschaftliche Infrastruktur aufzubauen, mit Satelliten für Navigation und Erdbeobachtung, können im Zeitalter des „New Space“ nun die Früchte dieser Systeme geerntet werden – in Form von Daten.

Europäische Weltraumprogramme

Während Galileo genaue Positions- und Zeitangaben liefert, stellt Copernicus Erdbeobachtungsdaten zur Verfügung.

Viele dieser Daten sind längst in den Alltag integriert – etwa bei Navigationssystemen, Smart-Watches oder Fitnesstrackern. Vor allem im IT-Bereich bieten offene Daten Start-ups eine Vielzahl an Möglichkeiten für neue Businessmodelle.

Die Daten kommen aber auch in großen Bereichen wie Energie, Finanz und Landwirtschaft zum Einsatz. So wird derzeit etwa unter dem Namen „Destination Earth“ gerade an einem digitalen Zwilling der Erde gearbeitet, mit dem etwa Klimaveränderungen besser simuliert und vorausgesagt werden können.

Regelwerk für Ende des „Wilden Westens“ gefordert

Mit dem „New Space“ gehen neben Chancen aber auch Risiken einher. Denn mehr Teilnehmer bedeutet freilich auch mehr Objekte im Weltall. Es gibt zwar ein internationales Regelwerk, dieses stammt jedoch aus dem Jahr 1967 und entspricht in keinster Form mehr den neuen Gegebenheiten im All.

So ist der Weltraum in den vergangenen Jahren zunehmend zum „Wilden Westen“ geworden, wo alle mehr oder weniger tun und lassen können, was sie wollen – und in dem es noch dazu immer enger wird: „Der Weltraum wird sehr schnell von Satelliten aufgefüllt, hier muss man aufpassen, dass es zu keinen Kollisionen kommt“, meint Aschbacher. Er fordert, wie viele andere Fachleute auch, ein neues Weltraumverkehrsmanagement.

Bei der Erarbeitung neuer rechtlichen Rahmenbedingungen könnte Europa eine „sehr gute“ und „vermittelnde“ Pionierrolle spielen, „weil wir wirklich neutral sind und mit allen Weltraumorganisationen zusammenarbeiten“ – egal ob in Russland, China, Indien oder Australien.

Startplatz der Ariane 6 Rakete im ESA-Center in Französisch-Guyana
APA/AFP/jody amiet
Mit der Ariane 6 hat Europa eine neue Generation an Raketen – ob bald auch europäische Raumschiffe ins Weltall fliegen, bleibt aber noch offen

Weltraumschrott „wesentlich schlimmer geworden“

„Wir wollen Weltraum so betreiben, dass es nachhaltig ist. Dass es den Menschen, der Bevölkerung, aber auch unserem Planeten hilft“, so Aschbacher. Denn klar ist: Je mehr Satelliten es gibt, desto mehr Weltraumschrott wird in die Erdumlaufbahn gebracht. Gerst konnte das mit eigenen Augen beobachten: „Ja, das bekommt man mit. Wenn man auf der Raumstation ist, sieht man, wenn man aus dem Fenster schaut, zu vielen Zeiten Satelliten vorbeiziehen.“

Die meisten zwar aus weiter Entfernung, doch einmal habe sogar die ganze ISS ausweichen müssen, wie Gerst erzählt: „Da mussten wir die Triebwerke aktivieren, um einen möglichen Zusammenstoß mit einem Stück Weltraummüll zu vermeiden.“

Und weiter: „Das ist eine Gefahr, mit der man sich beschäftigen muss. Und das ist wesentlich schlimmer geworden, weil wir natürlich viel mehr Satelliten im Orbit haben.“ Das zeige Gerst zufolge einmal mehr, dass es ein neues Regelwerk brauche.

Entnahme von Proteinen aus dem Fluids Integrated Rack an Bord der ISS
ESA/NASA-A.Gerst
Gleich zweimal war Gerst auf der ISS und arbeitete an Experimenten, die das Leben auf der Erde besser machen sollten

„Man bekommt eine andere Perspektive“

362 Tage war Gerst insgesamt im Weltraum. In dieser Zeit habe er gemeinsam mit seiner Crew über 600 Experimente durchgeführt, bei denen es darum ging, „das Leben auf der Erde besser zu machen“.

Doch das „Wichtigste“, was man als Astronaut, der in den Weltraum fliegt, habe, sei der Perspektivenwechsel, den man erhalte, wenn man die Erde das erste Mal vor sich sehe. Dadurch bekomme man eine andere Sicht, „auf sich selbst, auf die Menschheit und die Erde“. Aufgabe der Astronauten und Astronautinnen sei es, diese Perspektive an die Menschen auf der Erde weiterzugeben.

„Man realisiert, wie klein die Erde eigentlich ist. Und dann auch noch die dünne Atmosphäre, die sich da drum legt. Das sieht so aus, wie ein Hauch, den man in einem Atemzug wegpusten könnte. Das führt dazu, dass man sich ein bisschen Sorgen um den Planeten macht“, erzählt Gerst, der sich seitdem auch aktiv für den Klimaschutz einsetzt – zuletzt etwa im Dokumentationsfilm „Wer wir waren“.