Wissenschaftler im Labor mit Proben
APA/AFP/Douglas Magno
Coronavirus

Neue Einschätzungen zu Omikron

Tagtäglich nehmen die offiziell bestätigten Omikron-Fälle weltweit zu. Noch gibt es viele offene Fragen zur neuen CoV-Variante. Erste Berichte von südafrikanischen Forscherinnen und Forschern, wonach Omikron mildere Krankheitsverläufe hervorrufen könnte als andere Varianten, sind Fachleuten zufolge mit Vorsicht zu genießen. In Großbritannien und Norwegen wird unterdessen erwartet, dass Omikron Delta bald verdrängen könnte.

Nicht nur im Süden Afrikas, auch in Europa und vielen anderen Regionen scheint die Variante inzwischen auf dem Vormarsch zu sein. Die Mutante könnte in Großbritannien innerhalb von Wochen dominant werden, sagte der Genetiker Jeffrey Barrett vom Wellcome-Sanger-Institut im BBC-Radio am Dienstag. „Ich denke, wir können jetzt sagen, dass die Variante sich im Vereinigten Königreich schneller ausbreitet als die Delta-Variante, und das war bis vor sehr kurzer Zeit nicht klar“, sagte Barrett und fügte hinzu: „Ich bin ziemlich sicher, dass sie wahrscheinlich innerhalb von Wochen dominant werden wird.“

Auch der Epidemiologe Tim Spector vom King’s College in London geht von einer rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante in Großbritannien, das etwa im Vergleich mit Südafrika eine deutlich höhere Impfquote aufweist, aus. Realistisch sei anzunehmen, dass es schon jetzt 1.000 bis 2.000 Fälle im Land gebe. „Und wir rechnen damit, dass sich das ungefähr alle zwei Tage verdoppelt im Moment“, sagte Spector der BBC. Man könne ausrechnen, dass das innerhalb von nur zehn Tagen zu ziemlich hohen Zahlen führe, fuhr Spector fort.

„Es ist wahrscheinlich, dass die Omikron-Variante eine größere Ausbreitungsfähigkeit als die Delta-Variante besitzt und spätestens im Jänner 2022 in Norwegen dominant geworden ist“, schrieb zudem das norwegische Gesundheitsinstitut FHI in einer aktualisierten Risikobewertung. Bereits jetzt steige die Krankheitslast schnell, Omikron werde diese Entwicklung im Laufe des Dezembers und Jänners voraussichtlich verstärken und eine Welle mit einer erheblichen Krankheitslast auslösen. Norwegen verschärfte deshalb nun auch seine Maßnahmen.

Milderer Verlauf?

Ob die Omikron-Variante tatsächlich, wie teilweise vermutet, mildere Krankheitsverläufe hervorrufe als Delta, könne noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, führte Genetikexperte Barrett aus. Die Häufung milder Verläufe bei Omikron-Infektionen könne damit zusammenhängen, dass die Variante in der Lage sei, eine größere Zahl von geimpften oder genesenen Menschen zu infizieren, die bereits über eine gewisse Immunität verfügten. Doch auch wenn nur eine kleine Zahl von Infizierten schwer erkranke, könne das bei einer starken Ausbreitung der Variante zum Problem werden.

Der britischen Regierung zufolge wurden bisher in dem Land 336 bestätigte Omikron-Fälle registriert. Keiner der Betroffenen müsse im Moment im Krankenhaus behandelt werden, sagte der britische Gesundheitsminister Sajid Javid am Montagabend im Parlament. Die Zahl der CoV-Infektionen in Großbritannien nahm zuletzt insgesamt wieder zu.

Krammer: „Schaut nicht gut aus“

Wenig optimistisch klingt der in den USA tätige österreichische Virologe Florian Krammer: Auch wenn nach wie vor noch nicht genug Daten vorlägen und damit die Unsicherheit groß sei, um die Situation mit Omikron abschätzen zu können, „schaut’s aber nicht gut aus“, meinte er in einer Diskussion per Livestream, den die Kunstuni Linz organisiert hatte.

Denn erste Einschätzungen, wonach Omikron im Vergleich zu Delta harmloser sei, konnte er nicht bestätigen. So gehe die „Zahl der Neuinfektionen steil bergauf“, und auch die Zahl der Einweisungen in die Spitäler steige, sagte er. „Die sichere Annahme ist, dass diese Variante genauso gefährlich ist wie alle anderen“, stellte er weiters klar.

Auch Impfschutz im Fokus

Unklarheit gebe es hingegen noch in Hinsicht auf den Impfstoff. Dass die Forschung wegen Omikron dabei „zurück an den Start“ müsse, hält er für unwahrscheinlich. Wer eine Grundimmunität gegen CoV aufweise, verfüge über Antikörper produzierende Zellen, von denen durchaus „einige auch Omikron erkennen können“. Mit einem spezifischen Booster würden diese Zellen reaktiviert, sodass sich schnell eine Schutzwirkung – in sieben bis zehn Tagen – aufbauen könne, so Krammers Annahme.

Problematisch werde es seiner Ansicht nach für die Ungeimpften. Es könne „kompliziert“ werden, wenn Omikron und Delta nebeneinander zirkulieren. Wegen einer fehlenden Grundimmunisierung gegen CoV könne nicht geboostert werden, erklärte der Virologe.

Der Impfstoff von BioNTech und Pfizer bietet offenbar nur teilweisen Schutz gegen die Omikron-Variante. Das teilte Laborleiter Alex Sigal vom Africa Health Research Institute in Südafrika auf Basis vorläufiger Ergebnisse mit. BioNTech-Chef Ugur Sahin erwartet belastbare Daten dazu am Mittwoch oder Donnerstag.

Vorsichtiger Optimismus in südafrikanischen Spitälern

Erste Berichte zu milderen Krankheitsverläufen kamen zuletzt aus Südafrika, wo sich das Virus laut Präsident Cyril Ramaphosa schneller als je zuvor ausbreitet. Dass mit Omikron Infizierte womöglich weniger schwer erkranken könnten, zeigen etwa erste Daten des Steve-Biko-Spitals in Tshwane in der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria. Diesen zufolge sind am 2. Dezember 42 Patientinnen und Patienten auf einer CoV-Station behandelt worden.

Von jenen 42 hätten nur neun Personen zusätzliche Sauerstoffzufuhr benötigt – was unter dem Schnitt früherer Wellen liege. Acht der neun Personen waren ungeimpft. Überhaupt sollen die meisten mit dem Coronavirus infizierten Personen aus anderen Gründen medizinische Behandlung benötigen.

Experte: Vieles noch unklar

Auch in anderen Spitälern in der besonders betroffenen Provinz Gauteng zeichne sich ein ähnliches Bild, heißt es in dem Bericht. Zugleich wird darin aber auch betont, dass sich der Zustand der Patientinnen und Patienten in den nächsten zwei Wochen noch deutlich verschlechtern könne, erst dann würden sich belastbarere Schlüsse ziehen lassen.

Über den Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit der Omikron-Variante gebe es bisher keine klaren Informationen, sagte am Dienstag auch der Molekularbiologe Ulrich Elling im Ö1-Mittagsjournal. Das liege auch daran, dass „die Welle so steil ist und die schweren Erkrankungen oft erst nach einiger Zeit eintreten“.

Noch sind ihm zufolge zu wenige Personen und zu kurz an der Variante erkrankt, um Schlüsse ziehen zu können. Was sich „andeutet, was Ärzte aus Südafrika berichten, ist, dass die Erkrankung deutlich milder verläuft, dass wesentlich weniger Leute beatmet werden müssen und dass es sich eher um die oberen Atemwege handelt“, so der Experte.

Doch auch da gebe es einige Unbekannte, die es zu beachten gilt. „Wir wissen aber nicht, ob das daran liegt, dass das Alter der Infizierten in Südafrika momentan deutlich niedriger ist als in den vorhergegangenen Wellen, oder ob das daran liegt, dass diese Personen schon genesen sind, oder – und darauf hoffen wir – dass die Omikron-Variante selbst aufgrund ihrer Mutationen einen milderen Verlauf macht.“ Der Experte sieht im Jänner oder Februar eine fünfte Welle auf Österreich zukommen – mehr dazu in science.ORF.at .

Fauci optimistischer als Drosten

Nach Einschätzung des US-Experten Anthony Fauci ist Omikron offenbar nicht schlimmer als andere Varianten des Erregers. „Es ist nahezu sicher, dass sie nicht schlimmer ist als Delta“, sagte der oberste medizinische Berater von US-Präsident Joe Biden. Es gebe einige Hinweise darauf, dass Omikron sogar weniger schwerwiegend sein könnte. Vollständig gesicherte Erkenntnisse hierzu seien aber erst in einigen Wochen zu erwarten.

Der deutsche Virologe Christian Drosten erwartet hingegen wegen der Omikron-Variante bis zum nächsten Sommer Probleme mit dem Coronavirus. „Das Delta-Virus ist unser Problem bis in den Jänner rein, das Omikron-Virus ist unser Problem bis Sommer“, sagte Drosten am Dienstag in der NDR-Sendung „Das Coronavirus-Update“.

Drosten zeigte sich insbesondere durch die hohe Verbreitungsgeschwindigkeit von Omikron besorgt. Er warnte zugleich vor Euphorie angesichts Meldungen aus Südafrika über einen milden Krankheitsverlauf. In Südafrika handle es sich um Wiederansteckungen von Menschen, die schon einmal oder sogar zweimal das Coronavirus hatten. Deshalb sei die Situation mit Deutschland nicht zu vergleichen, und deshalb spreche er eine Warnung für die Ungeimpften aus.

Omikron-Unterart schwieriger zu identifizieren

Zusätzliche Probleme könnte eine weitere Mutation der Omikron-Variante machen: Diese werde von PCR-Tests zwar als Infektion erkannt – nicht aber als Omikron identifiziert, wie das bisher möglich war. Diese Mutation kann erst über eine aufwendigere Gensequenzierung eindeutig erkannt werden, berichtete der „Guardian“. Diese „getarnte“ Variante sei genetisch anders und verhalte sich daher möglicherweise auch anders, meinte etwa Francois Balloux, Direktor des Genetikinstituts vom University College London. Die neue Variante wurde bisher in Südafrika, Australien und Kanada entdeckt. Möglicherweise könne sie auch zur neuen Variante mit eigener Bezeichnung werden – dafür sei aber weitere Forschung notwendig.

WHO: Kampf gegen Delta nützt auch gegen Omikron

Insgesamt 432 bestätigte Infektionen mit der Omikron-Variante gab es laut dem Regionaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Europa, Hans Kluge, bis Montag in insgesamt 21 Mitgliedsstaaten der Region, darunter auch in Österreich. „Omikron ist in Sicht und auf dem Vormarsch, und wir sind zu Recht besorgt und vorsichtig“, sagte der Belgier. Das jetzige Problem sei jedoch die weiterhin dominierende Delta-Variante. „Wie wir heute gegen Delta erfolgreich sind, ist ein Sieg über Omikron morgen“, sagte Kluge.