Bundespräsident Alexander Van der Bellen
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Angelobungen, Krisen, Mahnungen

Van der Bellen ging der „Schmäh“ nicht aus

„Kommt jeder so weit mit? Kennt sich noch jede und jeder aus?“ Diese Fragen richtete Bundespräsident Alexander Van der Bellen an die Bevölkerung rund um die verzögerte Aktenlieferung aus dem Finanzministerium an den „Ibiza“-U-Ausschuss. Sinngemäß könnte diese Frage für viele Momente zwischen Pandemie und Regierungskrisen stehen, die Van der Bellen auch 2021 kein ruhiges Jahr beschert haben.

Im Ranking des Magazins „Politico“ schaffte er es sogar unter die 28 einflussreichsten Politiker in Europa – auf Platz neun. Der als „Professor“ bezeichnete Van der Bellen wird als „Macher eingeordnet“. „Alexander Van der Bellen steht zwischen Österreich und dem Abgrund“, schrieb das Magazin. In Van der Bellens Amtszeit hat es schon einige Male dringenden Handlungsbedarf seinerseits gegeben – mit einigen Premieren.

So war er etwa der erste Präsident der Zweiten Republik, der eine Regierung nach einem Misstrauensvotum ihres Amtes enthoben hat. Das war im Mai 2019. Zwei Jahre später, im Frühling dieses Jahres, gab es erstmals den Fall, dass der von der Opposition angerufene Verfassungsgerichtshof (VfGH) eine Exekution beim Bundespräsidenten beantragte. Denn der damalige Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) war der Aufforderung, Daten an den U-Ausschuss zu liefern, nicht nachgekommen.

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Bundespräsident Alexander Van der Bellen während der Angelobung von Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP)
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Van der Bellen startete seine diesjährigen Angelobungen bereits im Jänner mit ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher
Bundespräsident Alexander Van der Bellen während der erneuten Angelobung von Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP)
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Drei Wochen später wurde Kocher erneut angelobt – mit einem kleineren Portfolio
Bundespräsident Alexander Van der Bellen während der Angelobung von Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne)
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Nach dem Rücktritt von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) trat sein Parteikollege Wolfgang Mückstein im April in der Hofburg vor den Bundespräsidenten
Bundespräsident Alexander Van der Bellen während der Angelobung von Alexander Schallenberg als Bundeskanzler und Michael Linhart als Außenminister (beide ÖVP)
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Sebastian Kurz’ „Schritt zur Seite“ brachte Alexander Schallenberg (M.) zur Angelobung als Kurzzeitkanzler, Michael Linhart übernahm vorübergehend das Amt des Außenministers. Bei Van der Bellen machte sich Angelobungsroutine bemerkbar.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen während der Angelobung von Thomas Stelzer als Landeshauptmann von Oberösterreich
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Die Angelobung fand ebenfalls in den „bescheidenen imperialen Amtsräumlichkeiten“ (Van der Bellen) Ende Oktober statt
Bundespräsident Van der Bellen während der Angelobung von Bundeskanzler Nehammer, Außenminister Schallenberg, Bildungsminister Polaschek, Innenminister Karner, Finanzminister Brunner und Staatssekretärin Plakolm (alle ÖVP)
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Am Nikolotag wurde es wieder voll in der Hofburg. Denn die ÖVP nutzte den endgültigen Abtritt von Kurz für eine große Regierungsumbildung. Angelobt wurden Bundeskanzler Karl Nehammer (Mitte), gefolgt von Außenminister Schallenberg, Bildungsminister Martin Polaschek, Innenminister Gerhard Karner, Finanzminister Magnus Brunner und Staatssekretärin Claudia Plakolm

Es sei „etwas eingetreten, was es in dieser Form in unserem Land noch nicht gegeben hat“, ließ Van der Bellen unverzüglich die Bevölkerung wissen. „Überraschend“ sei diese Situation, aber handhabbar dank der Verfassung. Van der Bellen begleitete den Prozess und involvierte letztlich auch das Straflandesgericht Wien zur „Durchsetzung“ des VfGH-Erkenntnisses. Aber er weigerte sich, die Situation zu dramatisieren: „Bleiben wir ein bisserl am Teppich.“ Etwas Ärger gegenüber Blümel blieb aber zurück: „Ich verstehe nicht ganz, warum ich gezwungen war, über den Umweg des Auftrags des VfGH eine Exekution durchzuführen.“

Routine bei Angelobungen blieb

Wiederholt äußerte der Bundespräsident seine Sorge wegen fehlenden politischen Anstands und Respektlosigkeit. Er appellierte an die Politik – mit besonderem Blick auf die ÖVP –, dass Institutionen ernst genommen werden müssten. Auch die Justiz müsse in Ruhe arbeiten können. Die Institutionen seien das „Immunsystem unseres Staates, und wir dürfen nicht dulden, dass dieses geschwächt wird“.

Auch im Jahr 2021 bemühte sich Van der Bellen um eine amtsfähige Regierung. Damit konnte er seine Routine bei Angelobungen aufrechterhalten – auch wenn er mit insgesamt 65 Angelobungen zwar im oberen Feld, aber nicht an der Spitze steht. Die meisten Angelobungen – 75 – führte Thomas Klestil in seiner ersten Amtsperiode als Bundespräsident durch. „Ich gelobe“, wurde 2021 insgesamt zwölfmal durch Regierungsmitglieder gesprochen. Von manchen davon auch gleich mehrmals.

ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher, der den Posten nach dem im Zuge einer Plagiatsaffäre zurückgetretenen Christine Aschbacher Anfang des Jahres übernahm, wurde zweimal angelobt. Beim zweiten Mal gingen die Agenden für Jugend und Familie an Kanzleramtsministerin Susanne Raab (ÖVP) über. Auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) wurde mehrmals in der Hofburg vorstellig. Im Oktober wurde er nach dem „Schritt zur Seite“ von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zum Kanzler angelobt, acht Wochen später legte er bei Van der Bellen erneut einen Eid ab, diesmal wieder für das Amt des Außenministers.

„Was ist denn jetzt schon wieder passiert?“

Vor allem die ÖVP und die Ermittlungen gegen Kurz und sein Umfeld forderten Van der Bellens Aufmerksamkeit und Intervention. Immer wieder ließ er mit indirekter, aber deutlicher Kritik an der ÖVP aufhorchen. Nach der ungewöhnlichen Exekutionsaufforderung im Frühjahr durch den VfGH war der Bundespräsident Anfang Oktober, als die türkis-grüne Koalition auf der Kippe stand, erneut die Schlüsselperson in Österreichs Innenpolitik. Die Grünen hatten die Handlungsfähigkeit von Ex-Kanzler Kurz infrage gestellt, nachdem Ermittlungen wegen Inseratenkorruption gegen ihn und ihm nahe Stehende bekanntgeworden waren.

Bundespräsident im innenpolitischen Geschehen

Auch 2021 ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen mehrfach als Schlüsselperson in das innenpolitische Geschehen involviert gewesen. Der Verfassungsgerichtshof beantragte etwa bei ihm eine Exekution, da Ex-Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) der Aufforderung des „Ibiza“-U-Ausschusses nicht nachgekommen war, alle relevanten Akten vorzulegen. Mehrfach kritisierte Van der Bellen indirekt die ÖVP und forderte Respekt vor den Institutionen und dem Rechtsstaat ein. Mit dem schrittweisen Rücktritt von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) stand Van der Bellen wieder für zahlreiche Angelobungen bereit und er sorgte dafür, dass aus der Regierungskrise „keine Staatskrise“ wurde.

Van der Bellen führte Gespräche mit Regierungs- und Oppositionsvertretern und wandte sich auch hier wieder direkt an die Bevölkerung. „Sie fragen sich in diesen Stunden vielleicht: ‚Was ist denn jetzt schon wieder passiert?‘“ Van der Bellen versprach, dass „sicher nicht passieren“ werde, „dass diese Republik aus dem Gleichgewicht kommt“. Mit seinem „Schritt zur Seite“, wie Kurz es nannte, ermöglichte der Ex-Kanzler die Fortsetzung der Koalition. „Ist deswegen alles in Ordnung?“, fragte Van der Bellen am Tag danach. „Nein. Ist es nicht!“ Es liege nun an allen, die politische Verantwortung tragen, dieses Vertrauen wiederherzustellen.

Mit „Schmäh“

Diese Regierungsmannschaft hatte dafür nur knapp zwei Monate Zeit. Denn Anfang Dezember zog sich Kurz endgültig aus der Politik zurück, was eine umfassende Regierungsumbildung aufseiten der ÖVP zur Folge hatte. Wieder musste Van der Bellen wenige Tage später zu Angelobungen antreten – diesmal insgesamt sechsmal.

Den Humor hat sich Van der Bellen aber erhalten: „Ich habe mich heute schon amüsiert! Über aktuelle Satiren und Karikaturen: Etwa die Tapetentür als Drehtür für Minister oder ein Drive-in für die vielen Angelobungen. Irgendwie schon schön, dass uns trotz allem der Schmäh nicht ausgeht“, sagte er angesichts der neuerlichen Regierungsumbildung. Er warnte aber auch davor, dass „nur auf Macht- und Einflusssphären geschaut“ werde.

„Wir alle sind doch Österreich“

Mehrfach zu Wort meldete sich Van der Bellen auch rund um die Bewältigung der Pandemie. Er benannte zum ersten Jahrestag des Virus in Österreich „Ernüchterung, Grant und Unlust“, die wir „in uns fühlen“. Nie fehlten aber Zuversicht und Hoffnung in seinen Reden und Erklärungen: „Am Anfang war noch ein starker Geist zu spüren, dass wir das hinkriegen werden. Und das werden wir auch. Die Krise wird vorbeigehen.“

Van der Bellen zur Pandemie

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich im vergangenen Jahr mehrmals zur Pandemie und zum Umgang mit ihr geäußert. Er zeigte Verständnis für „Grant und Unlust“ nach so langer Zeit mit dem Coronavirus. Er rief aber dennoch mehrfach zu Solidarität und Gemeinschaft auf. Im Herbst unterstützte er die von der Regierung auf den Weg gebrachte Impfpflicht ab Februar. Das sei eine unserer Pflichten, die Gemeinschaft am Leben zu erhalten.

Mitte November mischte er sich aufgrund hoher Infektionszahlen und starker Belastung der Spitäler sogar mit einem dringenden Appell an die Regierung und Länder ein, doch rasch zu handeln und auf den Rat von Experten und Expertinnen zu hören. Wenige Tage später wurde dann tatsächlich ein österreichweiter Lockdown beschlossen. Anlässlich dessen warnte Van der Bellen angesichts der fortschreitenden Spaltung der Bevölkerung vor noch tieferen Gräben. Das dürfe man nicht zulassen: „Wir gehören zusammen. Wir brauchen einander. Wir bedingen einander. Wir alle sind doch Österreich.“