Journalist, Autor und Filmemacher Georg Stefan Troller im Jahr 1974
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Interviewkünstler

Georg Stefan Troller ist 100

Er ist Journalist, Autor und Filmemacher – und wird am Freitag 100 Jahre alt: Georg Stefan Troller. Der in Wien geborene Wahl-Pariser prägte in den 1960er und 1970er Jahren das deutschsprachige Fernsehen. Sein ungewöhnlicher Interviewstil wurde zum Markenzeichen von über tausend TV-Porträts und Dokumentarfilmen, die Troller über bekannte – von Romy Schneider über Woody Allen bis John Malkovich – und weniger bekannte Menschen gestaltete.

Ein Auszug aus der Liste jener, die Georg Stefan Troller Rede und Antwort standen, liest sich wie das „Who is who“ der westlichen Kultur- und Intellektuellenszene des 20. Jahrhunderts: Josephine Baker, William Somerset Maugham, Marlon Brando, Coco Chanel, Salvador Dali, Edith Piaf, Marlene Dietrich, Juliette Greco, Audrey Hepburn, Pablo Picasso, Anais Nin, Jean-Paul Sartre, Leonard Cohen, Catherine Deneuve, Henri Cartier-Bresson, Charles Bukowski, Isabella Rossellini, Kirk Douglas und über eintausend mehr.

Mit dem Fernsehmagazin „Pariser Journal“ der ARD wurde der vielfach ausgezeichnete Journalist in den 1970er Jahren bekannt. Danach reiste er für die ZDF-Reihe „Personenbeschreibungen“ um die Welt und berichtete über Menschen und ihre Schicksale. Sein Ansatz war dabei ein betont subjektiver, der nicht unumstritten war: Aus dem Off stellte Troller nicht nur seine oft sehr direkten Fragen an die Protagonisten und Protagonistinnen – er brachte immer auch seine ganz persönliche Sicht der Dinge ein.

„Wie lebt man richtig?“

Seine Porträts haben mit Äußerlichkeiten begonnen und seien dann immer näher an den Kern der Sache gegangen, erzählt der 99-jährige Troller im Dokumentarfilm „Auslegung der Wirklichkeit“ von Regisseurin Ruth Rieser. Und dieser Kern der Sache sei immer die Frage „Wie lebt man richtig?" gewesen. In dem zweistündigen Film, der im November in Wien Premiere feierte, wird Troller, der in seinen 170 Dokumentarfilmen nie selbst im Bild auftaucht – „mit Ausnahme meiner unbedarften Anfängerzeit“ – plötzlich selbst zum Protagonisten.

Rieser führte für „Auslegung der Wirklichkeit“ lange Interviews mit dem „Meister der Interviewführung“. Sie besuchte ihn in seiner Wahlheimat Paris und begleitete ihn zu den Wohnorten seiner Kindheit in Wien und zum ehemaligen Konzentrationslager Dachau, bei dessen Befreiung Troller 1945 als US-Soldat beteiligt war.

TV-Hinweis

Der Film „Auslegung der Wirklichkeit“ von Ruth Rieser über Georg Stefan Troller ist noch bis Sonntag in tvthek.ORF.at zu sehen.

Wie weit dürfe man als Filmemacherin gehen, fragt Rieser in einer Szene. „Bis dahin, wo die Selbsteinschätzung eines Menschen infrage gestellt wird. Da, wo du das Selbstverständnis eines Menschen erschüttern kannst, da musst du stoppen“, antwortet Troller. Von Drehbüchern im Dokumentarfilm hält der Journalist nichts: „Ein Drehbuch, nach dem alles verlaufen soll, kann den Film nur kaputtmachen.“

„Faible fürs Fabulieren“

Sein „herausragender, individueller Stil“ mache Troller zu einem der wichtigsten Vertreter des Fernsehdokumentarismus seit den 1970er Jahren, schreibt Christian Hißnauer vom Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität Berlin in „Personen beschreiben, Leben erzählen“, einem Buch über Trollers Arbeitsweise. Er nutze die gestalterischen Möglichkeiten des Fernsehens voll aus und spiele mit ihnen. Mit seinem Kommentar aus dem Off vermittle er „seine Charakterisierungen und psychologisierende Interpretationen“. Trollers Beschreibung und Kommentierung und seine Übersetzung des Interviews fließen dabei oft ineinander.

Troller breche mit seinen Filmen zudem eine Lanze für das beschreibende und interpretierende Wort – „für Sprache im Dokumentarischen“. Den Off-Kommentar habe Troller natürlich nicht erfunden, den habe es schon zuvor gegeben, hält Hißnauer fest. Es sei vielmehr das „Erzählen im Off“, mit Betonung auf dem Wort „Erzählen“, das sein Werk kennzeichne. Noch heute erkenne man Trollers Werke „sofort an dessen markanter Stimme und seinem Faible fürs Fabulieren“.

Trollers Hauptinteresse gelte „den Künstlern, Literaten, Exzentrikern und Außenseitern“. Doch auch wenn Kunst und Literatur wichtige Aspekte seiner Filme sind, so seien sie nicht das eigentliche Thema: „Auf subtile Weise spiegeln sich in den Porträts Trollers Erfahrungen als Heimatloser, als Heimatsuchender“ – als „Emigrant auf Lebenszeit“, wie sich Troller selbst einmal bezeichnete. Die Folgen der erzwungenen Emigration seien „der Subtext des Trollerschen Werks“.

1938 aus Wien geflüchtet

Vor 100 Jahren, am 10. Dezember 1921, wurde der Filmemacher in Wien in eine jüdische Familie geboren. Mit sechzehn Jahren flüchtete er vor den Nazis – erst in die Tschechoslowakei, dann weiter nach Frankreich. 1941 erhielt Troller ein Visum für die USA, wo er zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Am 29. April 1945 war er als US-Soldat an der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau beteiligt.

Journalist, Autor und Filmemacher Georg Stefan Troller bei einer Lesung im Jahr 2021
APA/Georg Hochmuth
Troller Anfang November bei einer Lesung im Rahmen der Filmpremiere von „Auslegung der Wirklichkeit“ im Metro-Kino Wien

Nach dem Krieg studierte Troller Literatur- und Theaterwissenschaft in den USA und ließ sich 1949 in Paris nieder. Im November in einem APA-Interview darauf angesprochen, ob er Friede mit seiner Heimatstadt Wien gemacht habe, aus der er im Zweiten Weltkrieg vertrieben wurde, entgegnete Troller: „Meine Beziehung zu Österreich ist die eines langjährig Heimatsüchtigen, der diese Sucht nun zu einer sentimentalen, alten Liebesbeziehung umgemodelt hat. Man denkt an die alte Heimat, wie man an vergangene Lieben denkt – mit Sentimentalität, mit Freude, mit Wärme, aber ohne Begierde.“

Vor einigen Monaten sei ihm die österreichische Staatsbürgerschaft wieder angeboten worden. „Es wäre schön gewesen, wenn man auf diese Idee vor einigen Jahrzehnten gekommen wäre, wo ich auch noch die Vorstellung hatte, ich möchte wieder in Österreich leben.“

Über Kindheitsträume und Herzensgaben

Neben 170 Dokumentarfilmen zählen auch 20 Bücher zu Trollers Werk. Sein bisher letztes erschien erst dieses Jahr im Verlag Edition Memoria – der Titel: „Meine ersten hundert Jahre“. Es ist ein bunter und kurzweiliger Mix aus Interviewausschnitten und aus Erkenntnissen und Erzählungen eines langen Lebens. Darunter sind auch Ausschnitte aus den Gesprächen mit Regisseurin Rieser. „Man soll nie seine Kinderträume verachten“, sagt Troller da etwa. Das, was ich mir damals zusammengedichtet habe, daraus wurden später meine 170 Filme und meine 20 Bücher. Das alles entstand aus dieser kindlichen Idee, dass ich dazu berufen wäre, Leben in Kunst zu verwandeln.“

„Du lässt so ein großes Werk zurück – was nimmst du mit?“, fragt Rieser. „Gar nichts“, antwortet Troller. Diese Sache interessiere „da oben“ niemanden. Das Einzige, das interessiert, sei: Was hast du mit deinem Herzen gemacht? Und was hast du aus den Herzensgaben, die du mitbekommen hast, gemacht? „Es ist schon einfacher, Filme zusammenzustellen, als solche Fragen zu beantworten.“