Szene aus dem Film „And Just Like That …“
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„And Just Like That“

Sex ohne Samantha

Die legendäre TV-Serie „Sex and the City“ erfährt ab Donnerstag eine Neuauflage: „And Just Like That“ begleitet drei der vier New Yorkerinnen in zehn Folgen über die Fallstricke und Hürden ihrer besten Jahre. Ohne die verlässlich sexpositive Samantha, die das Quartett erst so richtig interessant machte, fehlt der Serie aber eine wichtige Perspektive.

„Wie war das noch, als wir zwei Meter Abstand halten mussten? Mir fehlt das.“ Die Neuauflage von „Sex and the City“ spielt in einem Post-Pandemie-New-York, in dem sich nur wenig verändert hat: Kolumnistin Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker) denkt immer noch laut über Beziehungen nach, Charlotte York (Kristin Davis) ist ausgelastet als leicht überemotionale Glucke zweier Töchter und Anwältin Miranda Hobbes (Cynthia Nixon) will umsatteln auf das Thema Menschenrechte.

Immer noch diskutieren die drei ohne Unterschiede und Hemmungen über Sex, Mode, Freundschaft und berufliche Probleme, obwohl Miranda ihre Haare ergrauen hat lassen, Charlottes Tochter Lily zur begabten Nachwuchspianistin herangewachsen ist und Carrie eine fast zu idyllische Ehe mit ihrem Mr. Big lebt. Nur eine fehlt, und sie fehlt sehr: Samantha (Kim Cattrall) „ist nach Großbritannien gezogen, berufsbedingt“, wie Carrie in der ersten Folge der Nachfolgeserie „And Just Like That“ einer Bekannten erzählt.

Cosmopolitans, teure High Heels, exquisite Outfits von Kostümdesignerin Patricia Field, vor allem aber Debatten über Vibratorenmodelle, multiple Orgasmen, Bisexualität und Penisgrößen, über die eine große Liebe und mehrere kleinere, über Treue und ihre Unerreichbarkeit – und immer wieder über Mode. Was die Fernsehserie „Sex and the City“ nach dem gleichnamigen Buch von Candace Bushnell ab 1998 sechs Staffeln lang anriss, hinterließ in den 23 Jahren danach popkulturell ebenso wie gesellschaftlich unübersehbare Spuren.

Märchen mit Intimfrisur

Revolutionär an der Serie waren vor allem zwei Dinge. Zum einen, dass Männer in den meisten Fällen nur Gesprächsanlass oder optischer Aufputz waren, im Zentrum stand immer das Freundinnenquartett. Und zum anderen war neu, dass hier respektlos und in Champagnerlaune über Sex und seine Begleiterscheinungen diskutiert wurde. Ein Besuch beim Psychotherapeuten wurde da genauso witzig und hip geschildert wie ein Termin beim brasilianischen Intimcoiffeur.

„Sex and the City“ war damals zwar nicht die einzige Fernsehserie, in der Frauen in ihren Dreißigern über Sex sprachen, da gab es etwa auch die neurotische Bostoner Anwältin „Ally McBeal“ und ihre Kolleginnen. Doch nur in New York waren die Diskussionen wirklich explizit und deckten ein sehr breites Spektrum an Themen und Praktiken ab. Genau das machte die Serie so einflussreich. Carrie und die anderen standen damit prägend am Beginn eines goldenen Zeitalters für Fernsehserien, das bis heute andauert und in dem die einst strenge Trennung zwischen Filmen und Serien längst verschwommen ist.

Vier Modelle von Weiblichkeit

Dass Erotik erst jenseits des dreißigsten Geburtstags einer Frau so wirklich aufregend wird, stellte hier niemand infrage, da die älteste der vier, Samantha, auch jene mit dem bewegtesten Intimleben war. Die vier verkörperten sehr unterschiedliche Modelle von Weiblichkeit, von der konservativen, zielstrebigen Charlotte über die romantische, konsumorientierte Carrie, die oft zynische Miranda bis zur sexuell emanzipierten Samantha, die mit großem Pragmatismus ihre Karriere ebenso wie ihre Affären pflegte.

Zugleich war es immer eine Fantasiewelt, die vor allem anfangs von einer fröhlichen Unschuld geprägt war, nicht nur weil Ende der 90er Jahre das finanzielle Überleben einer Journalistin in Manhattan völlig anders ausgesehen hätte. Das Märchenhafte bewahrte die vier Freundinnen vor allem, was zu viel Welt- oder Tagespolitik war. Man entschied sich etwa dagegen, 9/11 zu thematisieren, im Gegensatz zu vielen anderen New-York-Serien. Lediglich die Twin Towers wurden damals aus dem Vorspann heraus retouchiert.

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Echt New York. Miranda (Cynthia Nixon) benimmt sich ihrer Uniprofessorin gegenüber unmöglich.

Dass in der Nachfolgeserie nun andauernd Anspielungen auf die überstandene Pandemie vorkommen, macht mitten in der vierten Welle wehmütig. Noch mehr Wehmut verursacht aber, wie unbeweglich die drei verbliebenen Freundinnen wirken. Im Zentrum der ersten Folge steht im Grunde das Unbehagen von Frauen über 50 mit der Beschaffenheit der Gegenwart, etwa bei Carrie, die mit Podcast-Host Che Diaz (Sara Ramírez) ein queeres, nicht binäres Gegenüber hat, oder bei Miranda, die sich gegenüber ihrer schwarzen Uniprofessorin unmöglich benimmt.

Die Wirklichkeit ist komplex

War das immer so unangenehm? Waren es nicht früher eher die „Sex and the City“-Freundinnen, entlang deren Abenteuern und Erzählungen diese Gegenwart greifbar wurde? Vermutlich sind diese Peinlichkeiten der Versuch, die inzwischen ebenfalls älter gewordenen Fans der Serie an der Hand zu nehmen und ihnen die Scheu vor der komplexen Wirklichkeit zu nehmen, aber so wirklich gelingt das nicht. Die Dramatik, die sich sehr rasch entwickelt, schiebt dann allerdings ohnehin alle Peinlichkeiten zur Seite.

Natürlich war die Serie auch Kind ihrer Zeit. Vieles von dem, was im Fernsehen der späten 90er Jahre als akzeptabel galt, wäre heute nicht mehr tragbar. Dem versucht auch die Neuauflage Rechnung zu tragen – teilweise mit Erfolg. Dass die vier etwa für ihre Rollen immer irreal schlank bleiben mussten, war damals selbstverständlich. „Heute gibt es da viel weniger Druck“, sagte Miranda-Darstellerin Nixon noch 2016 in einem Interview und nannte als positiven Gegenentwurf Lena Dunhams Serie „Girls“. In „And Just Like That“ sind die drei allerdings trainiert wie eh und je.

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Schlank wie eh und je: Drei der vier Freundinnen sind wieder zurück vor der Kamera.

Die blütenweiße Besetzung der Hauptrollen, die einer New Yorker Realität nicht einmal im Ansatz entspricht, wurde schon damals kritisiert. Das erste Kino-Spin-off 2008 versuchte, das notdürftig zu reparieren, indem das Frauenquartett um Carries Assistentin Louise (Jennifer Hudson) ergänzt wurde. Obwohl zahmer als die Serie, war der von Parker koproduzierte Film sensationell erfolgreich. Zwei Jahre später kam eine Fortsetzung ins Kino, die Begeisterung für Materielles wirkte unmittelbar nach der Weltwirtschaftskrise aber seltsam anachronistisch.

Die Nachfolgerinnen sind längst da

Einen dritten Kinofilm, den sich vor allem Parker gewünscht hatte, verhinderte ein teils über die Medien ausgetragener Konflikt zwischen Parker und Cattrall, die sich von den anderen ausgeschlossen fühlte. Cattrall lehnte eine weitere Zusammenarbeit mit den Kolleginnen kategorisch ab, und vielleicht hätten auch die es gut sein lassen sollen. Die Nachfolge der Serie haben ohnehin längst andere angetreten, zuletzt etwa „Emily in Paris“ auf Netflix um eine junge Amerikanerin, die für ein Praktikum bei einer Modeagentur nach Paris geht – ausgestattet ebenfalls von der oscarnominierten Kostümdesignerin Field.

Dieser reale Konflikt spiegelt sich in „And Just Like That“ wider, auch hier gab es offenbar einen nicht näher auserzählten Streit zwischen Carrie und Samantha. Die suggerierte Verwechslung zwischen Realität und Serienfiktion wirkt allerdings unangenehm, zumal der Standpunkt von Cattrall in der Serie ja fehlt. Natürlich ist das Liebesleben von New Yorkerinnen jenseits der Fünfzig unbedingt erzählenswert, doch dass die Freundinnen ohne Samantha zurückkehren, ist bitter.

Gar nicht so feministisch

Samantha hatte als sexpositive Heldin nicht nur für die unerhörtesten Szenen, sondern oft auch für die zwischenmenschlich klügsten Beobachtungen gesorgt. Dass die Figur der Carrie, die über ihre Kolumne durch die Serie führte, neben ihren Eskapaden verblasst war, dürfte einer der Gründe für das Zerwürfnis gewesen sein. Nun dürfte es aber eine neue Vierte im Bunde geben, die in der ersten Folge eingeführte Figur der Lisa Todd Wexley (Nicole Ari Parker), mit der alle Freundinnen auf Anhieb gut können.

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Sich einem Mann komplett anzuvertrauen kann für Frauen gefährlich werden, sagte Candace Bushnell, Erfinderin von Carrie Bradshaw

Bushnell, die Autorin der Vorlage, hat mit der neuen Serie inhaltlich übrigens nichts mehr zu tun. „Ich hab keine Ahnung, wovon sie handelt“, sagte sie in einem Interview mit der „New York Post“, „aber ich werde sie mir natürlich anschauen“. Bushnell tritt seit dieser Woche allabendlich mit ihrer autobiografischen Ein-Frau-Show „Is There Still Sex And The City“ Off-Broadway auf. Sie hat nicht nur Gutes über die Serie zu sagen: „Die Wahrheit ist, einen Mann zu finden, ist langfristig nicht die vernünftigste wirtschaftliche Entscheidung“, so Bushnell.

„Wir reden nie darüber, aber das ist etwas, worüber Frauen nachdenken müssen: Wenn du dich auf einen Mann verlassen musst, kannst du viel weniger tun.“ Am Ende der Serie „Sex and the City“ heiratete Carrie ihren ewigen Geliebten Mr. Big, mit dem ist sie am Beginn der neuen Serie immer noch sehr glücklich. Doch diese Botschaft sei nicht sehr feministisch gewesen, so Bushnell. „Aber das ist eben Fernsehen, das ist die Show.“