Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Roland Schlager
Regierungserklärung

Nehammer und Kogler mit Appell zu Dialog

Drei Tage nach der Angelobung hat sich die neu aufgestellte Regierung am Donnerstag in einer Sondersitzung dem Nationalrat gestellt. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) gaben einen Ausblick auf die geplanten Schwerpunkte – sowohl im Bereich der Pandemiebekämpfung als auch darüber hinaus. Beide betonten mehrfach den Stellenwert des Dialogs und der Gesprächsbereitschaft.

Erst im Oktober hatte sich Alexander Schallenberg nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz (beide ÖVP) als Kanzler präsentiert – nun wechselte er zurück in sein vorheriges Amt als Außenminister. Neu auf der Regierungsbank sitzt Gerhard Karner (ÖVP) als Innenminister. Martin Polaschek ist erstmals als ÖVP-Bildungsminister im Nationalrat, Magnus Brunner tritt nun nicht mehr als Staatssekretär, sondern als Finanzminister auf. Dazu wechselt Claudia Plakolm als Jugendstaatssekretärin von der ÖVP-Abgeordneten- auf die Regierungsbank.

Nehammer dankte Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der den Übergang rasch möglich gemacht hatte. Er sei dankbar, dass „diese Situation“, also die Regierungsumbildung nach dem überraschendem Rückzug von Ex-Kanzler Sebastian Kurz, sehr schnell geordnet bewältigt werden konnte.

Dank an Kurz „für alles, was er für das Land getan hat“

Nehammer bedankte sich auch bei Kurz für alles, was er als Bundeskanzler für das Land getan habe. Kurz habe in der Pandemie „schnell und entschlossen entschieden“ – die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie seien daher nicht so dramatisch gewesen, „wie sie hätten sein können“. Er dankte weiters allen neuen sowie den zurückgetretenen Regierungsmitgliedern sowie Vizekanzler Kogler „für das vertrauensvolle Verhältnis“ des Koalitionspartners.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)

Der neue Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zeigte sich in seiner ersten Rede nach dem Amtsantritt im Parlament betont verbindlich. Er betonte dabei die zentrale Rolle des politischen Dialogs und wendete sich an jene Menschen, die sich bisher nicht gegen das Coronavirus impfen lassen haben.

Nehammer betonte auch den guten Austausch mit SPÖ und NEOS. Dass er auch ein Gespräch mit FPÖ-Chef Herbert Kickl geführt habe, zeige, „dass Dialog nie eine Einbahnstraße“ sei und „eine wichtige Grundlage für demokratisches Handeln“. Er werde „die Kultur des Miteinanders“ weiter pflegen. Es sei ihm ein Anliegen gewesen, rasch ins Gespräch mit Landeshauptleuten, Expertinnen und Experten zu gehen.

Die Entscheidung, den allgemeinen Lockdown mit 12. Dezember zu beenden, nannte Nehammer das „Einlösen eines Versprechens der Landeshauptleute“. Die Bundesvorgabe sei dabei ein Mindestmaß an Schutzmaßnahmen. Dass die Bundesländer unterschiedliche Öffnungsschritte setzen, sei selbstverständlich, da Österreich vielfältig sei und regional unterschiedliche Bedürfnisse bestünden. Dass die Ausgestaltung der Öffnung abschätzig als „Fleckerlteppich“ bezeichnet würde, sei aus seiner Sicht daher nicht richtig.

„Misstrauen Sie auch Telegram- und Facebook-Gruppen“

Einmal mehr wandte sich Nehammer mit einem Appell an alle Ungeimpften: „Wenn Sie uns als Politikern misstrauen, dann misstrauen Sie auch Telegram und Facebook-Gruppen,“ die zum Teil mit lebensbedrohlichen Inhalten gefüllt seien. „Suchen Sie das Gespräch mit einem Arzt, der Sie kennt und begleitet, der schon immer wichtig war in Ihrem Leben. Konfrontieren Sie den Arzt mit Ihren Fragen und Ängsten, er ist dafür ausgebildet.“

Nehammer schnitt auch jene Themenbereiche an, die abseits der aktuellen Pandemiebekämpfung nun auf dem Programm der Regierung stünden, darunter die Stärkung des Wirtschaftsstandorts und die Entlastung der Menschen sowie Investitionen in Bildung und Pflege.

Kogler gegen „Missbrauch und Spaltung“

Auch Kogler zollte den zurückgetretenen Ministern „Respekt und Anerkennung“ für ihre Arbeit. Es habe während des Regierungsumbaus in keiner Minute eine Situation gegeben, in der „das Staatsganze gefährdet oder ungelenkt war“. Das sei vor allem dem Bundespräsidenten zu verdanken sowie der guten Kommunikation in der Krisensituation.

Auch Kogler betonte den Stellenwert des Dialogs. Bei allem Verständnis für das Gemeinsame dürfe man aber die Augen nicht davor verschließen, dass „berechtigte Sorgen und Ängste“ missbraucht würden. Es gehe „nicht nur um harmlose Falschmeldungen“, so Kogler, es gehe um die Spaltung der Gesellschaft „als Agitationsprinzip und als Aktionsprinzip“ von Politikern.

„Vielleicht fühlt sich ja jemand angesprochen“, sagte Kogler. Man müsse Stellung beziehen, „wenn Staatsverweigerer, Neofaschisten und Neonazis durch unsere Städte spazieren“, so der Vizekanzler, der dafür wütende Reaktionen von FPÖ-Abgeordneten erntete.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)

Es gehe auch darum, zuzuhören und sich auszutauschen, wenn man nicht einer Meinung sei, so Vizekanzler Werner Kogler (Grüne).

Rendi-Wagner: „Zuschauen ist nicht regieren“

Für die Opposition erinnerte SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner daran, dass die letzte Regierungserklärung gerade einmal 59 Tage zurückliege. Seitdem habe es Regierungsstreit auf offener Bühne und mutloses Zaudern und Zögern gegenüber der „Corona-Explosion“ gegeben. „Zuschauen ist nicht regieren“, meinte sie. Es brauche eine handlungsfähige und stabile Bundesregierung, die das Vertrauen der Österreicher genieße. Türkis-Grün werde das nicht leisten können, zeigte sie sich überzeugt.

Vier Ordnungsrufe für Kickl

Einen Provokationsrundumschlag gegen die Koalition lieferte dann FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl, was ihm gleich vier Ordnungsrufe von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) einbrachte. Er brachte das zustande, indem er „dieses politische Laufhaus namens Bundesregierung“ anprangerte, die ÖVP als „Partei der Korruption und des Machtmissbrauchs“ bezeichnete, von einem „schwarz-grünen Volkssturm“ sprach (und damit einen Vergleich mit dem letzten militärischen Aufgebot des Nazi-Regimes bemühte) und „moralische Verwahrlosung“ konstatierte. Unbeanstandet bleib der Vorwurf „fortgesetzter Entmenschlichung“ durch den Lockdown für Ungeimpfte.

Meinl-Reisinger mit scharfer Kritik an FPÖ

Während FPÖ-Mandatar Erwin Angerer kritisierte, dass immer nur die Worte der Freiheitlichen auf die Goldwaage gelegt würden, wertete NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger das als Anregung, das bei Kickl genau nicht zu tun und seine Äußerungen nicht ernst zu nehmen. „Ich glaube, das ist der einzige Weg, der uns übrig bleibt.“ „Sie reden von Freiheit und meinen eine Freiheit, die fast schon kindisch ist“, sagte sie in Richtung der Freiheitlichen: „Sie reden von Demokratie und verachten die schweigende Mehrheit, die es einfach satt hat, dass es hier einen Geist gibt, der stets verneint.“ Dabei befinde sich Österreich in einer sehr heiklen Situation, denn mit dem Chaos der Regierungskrise gehe ein unglaublicher Vertrauensverlust einher.

Seitens der Regierungsfraktionen appellierte Klubchef August Wöginger an die FPÖ, die Propaganda gegen das Impfen einzustellen, seien doch in deren eigenen Reihen so viele geimpft. Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer rief dazu auf, im Gespräch zu bleiben, und formulierte – auch in Hinblick auf die Bundesregierung – den Wunsch, auf kurzfristige Populismen zu verzichten: „Es ist auch Aufgabe von Politik, Entscheidungen zu treffen, die nicht populär sind.“

Karner verspricht 100 Prozent Einsatz

Dass er wohl selten 100 Prozent Zustimmung bekommen wird, war auch dem neuen Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bei seiner Antrittsrede klar. Er werde sich aber mit 100 Prozent für die Sicherheit der Österreicher einsetzen und bat die Abgeordneten, der Polizei gemeinsam den Rücken zu stärken.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP)

Gerhard Karner (ÖVP) hat am Montag das Amt des Innenministers übernommen. Er folgt damit dem jetzigen Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach.

Dafür versprach er eine Einbindung des Parlaments bei der Kriminaldienstreform sowie beim Krisensicherungsgesetz. Friedliche Kundgebungsteilnehmer ersuchte Karner: „Lassen Sie sich nicht missbrauchen von Randgruppen, die diese Demonstrationen missbrauchen.“

Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP)

Offene Schulen „oberstes Ziel“

Der neue ÖVP-Bildungsminister Polaschek sprach von einer entscheidenden Phase in der Pandemiebekämpfung, die aber trotzdem einen Schulbetrieb möglich machen sollte. Das Offenhalten sei „oberstes Ziel“. Daher habe er sich in Absprache mit den zuständigen Landesräten entschieden, die bisherigen Maßnahmen zu verlängern.

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP)

Von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) Brunner wurde schon in die Zeit nach der Pandemie geblickt. Nach der Krise werde es wieder eine geordnete Budgetpolitik brauchen, und es werde Schuldenabbau betrieben werden müssen.

Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP)

Die neue Staatssekretärin Plakolm beklagte mit „Samma si ehrlich“, dass es die Jugend derzeit nicht leicht habe. Gerade deshalb wolle sie sich deren Themen annehmen. Ziel sei es, jungen Menschen Hoffnung zu geben, Mut zu machen und ihnen Chancen zu eröffnen.

Neuer U-Ausschuss eingesetzt

Der Nationalrat setzte zum Abschluss seiner Sondersitzung angesichts der Regierungserklärung den Untersuchungsausschuss zu angeblichen Korruptionsaffären im Umfeld der ÖVP ein. Zu arbeiten beginnt der Ausschuss sofort. Die Konstituierung fand noch am Donnerstagabend statt.