Logos von Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft auf einem Smartphone, im Hintergrund die EU-Flagge
APA/AFP/Justin Tallis
Gesetz über digitale Märkte

„Meilenstein“ im Kampf gegen Onlineriesen

Das EU-Parlament hat am Mittwoch in Straßburg über das Gesetz über digitale Märkte abgestimmt. Der Digital Markets Act (DMA) wurde zuvor in der Debatte als „Meilenstein“ im Kampf gegen Onlineriesen bezeichnet. Sein Ziel ist kein geringeres, als die Marktmacht von großen Tech-Unternehmen wie Facebook, Google und Co. aufzubrechen. Mit ganz konkreten Folgen für die Nutzerinnen und Nutzer.

Leere Ränge in den Tribünen, kaum Abgeordnete an den Tischen, nicht einmal zufällige Besucher und Besucherinnen – hätte jemand am Mittwochvormittag einen Blick in den großen Plenarsaal des EU-Parlaments geworfen, dem fiele es wohl schwer, das wahre Ausmaß des neuen Gesetzesvorschlags zu erkennen.

Im krassen Gegensatz dazu stand der Inhalt der Reden der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Sie bezeichneten den DMA als „Meilenstein in der Regulierung großer Tech-Konzerne“ und als „eine der größten Neuordnungen“ in der Onlinewelt. Durch diesen könne Europa digitale Souveränität zurückerlangen und als Vorreiterin einen Schritt in Richtung eines digitalen Wandels setzen, so der Tenor.

EU-Parlamentarier Andreas Schwab
picturedesk.com/Zuma/Dwi Anoraganingrum
In Zukunft soll die EU als Gesetzgeber die Wettbewerbsregeln diktieren und nicht die AGB großer Digitalunternehmen, so Schwab

Mehr Pflichten für Konzerne, mehr Rechte für Nutzer

Mehr als zwanzig Jahre ist es her, dass die EU zuletzt umfassende Spielregeln für digitale Dienste und Onlineplattformen aufgestellt hat. Spielregeln, die aufgrund der Entwicklung sozialer Netzwerke und des Aufstiegs großer Plattformen längst nicht mehr zeitgemäß sind. Der DMA will die großen Tech-Konzerne nun stärker in die Pflicht nehmen und dadurch die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer stärken.

Big Tech

Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft (GAFAM) sind die „Big Five“ – die fünf größten IT-Unternehmen der Welt. Alle stammen aus den USA.

„Das Europaparlament stellt sich gegen unfaire Geschäftspraktiken der größten Digitalunternehmen. Wir werden dafür sorgen, dass die digitalen Märkte offen und fair sind. Das ist gut für Verbraucher, gut für Unternehmen und gut für digitale Innovation in Europa“, so der federführend zuständige EU-Abgeordnete Andreas Schwab (CDU).

„Game Over!“

Statt der AGB der Unternehmen sollten in Zukunft die Regeln der EU gelten – und diese sollten auch größere Chancen für kleinere Digitalunternehmen in Europa bieten: „Wir sagen an die Adresse der ganz Großen ‚Game Over‘!“, so Schwab.

Denn das Gesetz zielt vor allem auf die größten Internetkonzerne („Gatekeeper“) wie Facebook, Google, Amazon, Microsoft und Apple ab. Also Unternehmen mit mindestens 45 Millionen aktiven monatlichen Nutzern in der EU oder 10.000 jährlichen Geschäftskunden. Beim Jahresumsatz liegt die Schwelle bei 6,5 Milliarden Euro. Wie viele Unternehmen davon tatsächlich betroffen sein könnten, ist noch unklar. Für die Kritiker sind es allerdings zu wenige.

Interoperabilität: „Menschen Alternativen bieten“

Doch worum geht es konkret? Einer der zentralen Punkte des DMA ist: In Zukunft sollen die Gatekeeper zur Interoperabilität ihrer Kerndienste gezwungen werden. Netzpolitik-Journalist Alexander Fanta erklärt gegenüber ORF.at: „Das bedeutet etwa, dass WhatsApp-Nutzer Nachrichten mit den Nutzern anderer Dienste wie etwa Telegram oder Signal austauschen können.“

Social Media Apps auf einem Apple-iPhone
ORF.at/Lukas Krummholz
Inhalte sollen künftig zwischen Facebook, Twitter und Instagram, aber auch WhatsApp, Signal und Co. leichter auszutauschen sein

Neben Messenger-Diensten sollen von der Interoperabilität auch andere Zusatzprodukte von Social Media betroffen sein – etwa Timelines und Newsfeeds. Als Vergleich wird oft die Zusammenführung von SMS und E-Mails auf dem Handy genannt. Auch dafür habe sich einst eine praktische technische Lösung gefunden.

Die Interoperabilität würde die Marktmacht von Facebook aufbrechen und es erlauben, neue Dienste mit besseren Standards und weniger politischen Altlasten zu etablieren, so Fanta. Schließlich gehe es darum, „den Menschen Alternativen zu diesen großen Plattformen zu geben“. Sowohl die Fachwelt als auch die Politik ist sich aber einig, dass hierbei besonders Wert auf die Datensicherheit der Nutzerinnen und Nutzer gelegt werden müsse.

Personalisierte Werbung als Streitpunkt

Zudem sieht der Vorschlag vor, dass es Gatekeeper ermöglichen müssten, vorinstallierte Apps auf den eigenen Geräten deinstallieren zu können. Auch dürfen die Konzerne eigene Produkte und Angebote nicht mehr bevorzugt gegenüber jenen der Konkurrenz behandeln. Das würde etwa Amazon treffen.

Luftaufnahme vom Silicon Valley
Getty Images/Steve Proehl
Die Marktmacht dürfe nicht mehr in den Händen der CEOs von Silicon Valley liegen, so das Argument

Lob aus Österreich

Seitens der österreichischen EU-Abgeordneten kam durchaus viel Zustimmung für den DMA. NEOS-EU-Abgeordnete Claudia Gamon meinte in der Debatte: „Endlich ist ein Politikupdate für die digitale Welt da.“ Sie gehe davon aus, dass wohl viele Länder nachziehen werden, „weil es klar ist, dass es eine solche Antwort für den digitalen Raum braucht“.

Auch SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder zeigte sich gegenüber ORF.at zufrieden – es sei ein guter erster Schritt, wenngleich es in der Zukunft wohl noch Nachschärfungen bedürfe. Auch Thomas Waitz von den Grünen spricht von einem „Schritt in die richtige Richtung“ und betonte, dass eine solche Regulierung „dringend angebracht“ sei.

ÖVP-EU-Abgeordneter Lukas Mandl meint gegenüber ORF.at: „Freiheit verlangt ordnungspolitische Orientierung.“ In der digitalen Welt herrsche noch viel Unordnung durch regulatorische Lücken. Der DMA müsse dazu beitragen, diese Lücken zu schließen. Die FPÖ äußerte sich nicht dazu.

Großes Digitalpaket, aber frühestens 2023

Erstmals vorgeschlagen wurde das große Digitalpaket, in dem neben dem DMA auch noch das Gesetz über digitale Dienste (DSA) enthalten ist, vergangenes Jahr im Dezember. Während sich der DMA mit wettbewerbsrechtlichen Aspekten beschäftigt, stehen beim DSA vor allem gesellschaftliche Fragen im Mittelpunkt – etwa jene, wie mit illegalen Inhalten im Netz umgegangen werden, soll zum Beispiel mit Hassrede.

Dadurch sollen die Grundrechte der Nutzerinnen und Nutzer besser geschützt werden. Die Grundsatzregel dabei: Alles, was offline verboten ist, soll auch online verboten sein. In der ersten Jahreshälfte 2022 sollen die Trilogverhandlungen zumindest zum DMA abgeschlossen werden. Die EU hofft auf ein Inkrafttreten der verschärften Regeln Anfang 2023.

Amazon Verteilerzentrum bei Berlin
Reuters/Tobias Schwarz
Auch Amazon wäre von der Umsetzung des Digitalpakets stark betroffen – im Vorfeld sollen die großen Techkonzerne Milliarden in Lobbyarbeit investiert haben

„Enorme Auswirkungen – weltweit“

Asha Allen vom Brüsseler Zentrum für Demokratie und Technologie (CDT) zeigt sich gegenüber ORF.at überzeugt, dass diese beiden Gesetze „enorme Auswirkungen“ haben werden – und das weltweit. Es betreffe Grundrechte wie Redefreiheit sowie das Diskriminierungsverbot und schaffe einen diverseren, inklusiven und sicheren Onlineraum. Doch auch für Allen handelt es sich bei dem Paket lediglich um einen guten Anfang, der allerdings noch viel weiter gehen müsse.

Milliarden für Lobbyarbeit

Wie sehr sich der DMA und der DSA tatsächlich auf die großen Digitalkonzerne auswirken könnte, muss sich erst zeigen. Wie aus Medienberichten, aber auch aus den Reden der Abgeordneten und Hintergrundgesprächen mit Politikern hervorging, stehe eines aber schon jetzt fest: Selten zuvor wurde so stark gegen Gesetzesvorschläge lobbyiert.

Auch „Politico“ schreibt: Beide Vorhaben zusammen stünden im Begriff, die „am stärksten lobbyierten EU-Gesetze“ zu werden. Onlinekonzerne wie Facebook und Google hätten im Vorfeld Milliarden für Lobbyarbeit ausgegeben.