Mit der Entscheidung am Freitag wurde nur das Auslieferungsverbot aufgehoben und damit einem US-Berufungsantrag stattgegeben, wie Richter Tim Holroyde sagte. Über das Auslieferungsgesuch aus den USA an sich muss die britische Justiz erneut entscheiden. Das heißt: Assanges Zukunft bleibt unklar, er muss wieder mit einer Auslieferung rechnen.
Assanges Verlobte Stella Moris kündigte nach der Entscheidung des High Court an, erneut in Berufung zu gehen. „Wir werden diese Entscheidung zum frühestmöglichen Punkt anfechten“, hieß es in einer Mitteilung am Freitag – und später in einer emotionalen Stellungnahme vor dem Gerichtsgebäude: „Wir werden kämpfen.“ Assange verkörpere „die Fundamente dessen, was es bedeutet, in einer freien Gesellschaft zu leben, und was es bedeutet, Pressefreiheit zu haben“.
Der unabhängige Berichterstatter der UNO für Folter kritisierte das Urteil scharf. „Das ist ein Armutszeugnis für die britische Justiz“, sagte Nils Melzer. „Man kann über Assange denken, was man will, aber er ist nicht in einem Zustand, in dem man ihn ausliefern kann.“ Melzer sprach von einem „politisch motivierten Urteil“.
Assange: Gericht kippt Auslieferungsverbot
Ein Berufungsgericht in Großbritannien hat das Auslieferungsverbot von Julian Assange, das ein britisches Gericht Anfang des Jahres verhängt hatte, vor dem Londoner High Court aufgehoben. Der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks muss nun damit rechnen, doch noch an die USA ausgeliefert zu werden. Über das Auslieferungsgesuch aus den USA an sich muss die britische Justiz erneut entscheiden.
Eine Art Staatsfeind Nummer eins
Begründet gewesen war das ursprüngliche Auslieferungsverbot mit Assanges schlechtem gesundheitlichem Zustand sowie den möglichen Haftbedingungen, die ihn in den USA erwarteten. Der WikiLeaks-Gründer und gebürtige Australier gilt dort wegen seiner Enthüllungen als eine Art Staatsfeind Nummer eins. Die Vereinigten Staaten fochten das Urteil an – und bekamen nun grundsätzlich recht.
Die US-Justiz will Assange wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Dem gebürtigen Australier drohen dort bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft. Vorgeworfen wird ihm, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Er habe damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht, hieß es etwa auch.
USA versicherten: Keine „Spezialmethoden“
Assanges Unterstützerinnen und Unterstützer sehen in dem 50-Jährigen keinen Spion, sondern einen investigativen Journalisten, der Kriegsverbrechen, geschehen während US-Militäreinsätzen, ans Licht brachte. Der Australier hatte seine Enthüllungsplattform 2006 gegründet.
Bei Anhörungen im Oktober hatten beide Seiten erneut ihre Argumente vor Gericht vorgebracht. Die US-Anwälte warfen der britischen Justiz vor, sich bei ihrer Einschätzung auf fehlerhafte Gutachten verlassen zu haben. Außerdem sicherten die USA zu, im Falle einer Inhaftierung nicht wie befürchtet „Spezialmethoden“ anzuwenden sowie einer Verlegung von Assange in ein australisches Gefängnis zuzustimmen.
Berichte über angebliche Attentatspläne
Assanges Verteidiger hatten auf der anderen Seite auf neue Enthüllungen über angebliche Attentatspläne, die vor einigen Monaten durch Medienberichte ans Licht gekommen waren, gesetzt. Es hieß unter Berufung auf nicht näher präzisierte Quellen, der Auslandsgeheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) habe derartige Pläne geschmiedet, während sich der WikiLeaks-Gründer in der ecuadorianischen Botschaft in London aufgehalten hatte. Die Verteidigung erwartete sich von diesen Enthüllungen, dass sie ein zusätzlicher Grund wären, Assange nicht an die US-Justiz auszuliefern.
Physisch und psychisch angeschlagen
Assanges Angehörige beschrieben seinen Gesundheitszustand seit Monaten als schlecht und besorgniserregend. An den letzten Anhörungen nahm er teilweise per Videoschaltung aus dem Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh teil, fühlte sich zeitweise aber auch nicht in der Lage, das Geschehen zu verfolgen. Er leide unter gesundheitlichen Problemen, physisch wie psychisch, hieß es mehrfach. Seine Verlobte Stella Morris hatte dazu aufgerufen, „David“ Assange gegen den „Goliath“ USA zu unterstützen.
Der Prozess gegen Assange wurde eng von Reporter ohne Grenzen (ROG), einer internationalen Organisation, die sich für Pressefreiheit und gegen Zensur einsetzt, begleitet. „Wenn die USA erfolgreich sind, wird das alarmierende Konsequenzen für die Pressefreiheit haben. Bei diesem Fall geht es nicht nur um Assange, sondern um das Recht aller Journalisten, ihre Arbeit zu tun, und um das Recht der Öffentlichkeit, sich zu informieren“, hatte die Londoner Vertreterin von ROG während des Verfahrens erklärt.
Nach dem Urteil am Freitag hieß es in einer Stellungnahme via Twitter: „Es ist ein brandgefährliches Signal an jede Journalistin, jeden Verleger und jede Quelle weltweit. #FreeAssange.“ Assange ist wegen des Verstoßes gegen Auflagen in Haft, nachdem er rund sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft verbracht hatte, um einer Auslieferung zu entgehen.