Menschen auf einer Einkaufsstraße in Wien
Reuters/Lisi Niesner
Studie

Pandemie offenbart Stärken der Demokratien

Eine neue Untersuchung der deutschen Bertelsmann-Stiftung hat sich der Krisenfestigkeit von Staaten in der Pandemie gewidmet. Dabei kommt heraus, dass Länder, in denen demokratische Werte schon zuvor gefährdet waren, große Rückschritte machten. Gut organisierte Demokratien kommen hingegen besser durch. Österreich macht im Vergleich gute Figur, allerdings zeigten sich auch einige Defizite.

Ob ein Staat eine Krise überwinden kann, zeigt sich vor allem daran, wie gut Demokratie, Staat und Verwaltung, Wirtschaft und soziale Absicherung funktionieren. Die Bertelsmann-Stiftung präsentierte am Freitag eine Sondererhebung, für die 29 Staaten aus der EU und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) anhand von 94 Indikatoren bewertet und verglichen wurden.

Die Beurteilung erfolgte durch mehr als 70 internationale Fachleute. Dabei wurden drei Themenbereiche analysiert: die Robustheit zentraler demokratischer Institutionen sowie die Krisenvorsorge, -reaktion und Rechenschaftslegung von Politik und Behörden. Zum Dritten wurde die Krisenanfälligkeit der Wirtschafts- und Sozialpolitik untersucht.

Polen, Ungarn und Türkei mit demokratischen Defiziten

Schweden, Neuseeland und Deutschland schneiden in der Studie insgesamt am besten ab, so die Stiftung. Griechenland sei der überraschende Aufsteiger. Die schlechtesten Noten erhielten Polen, Ungarn und Mexiko.

„Eine robuste Demokratie und ein gut organisierter Staat kristallisieren sich zu den entscheidenden Erfolgsfaktoren bei der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie und ihrer Folgen heraus“, sagte Studienautor Christof Schiller.

Die Länder profitierten von einer vorausschauenden und teilhabeorientierten politischen Steuerung. Staaten, in denen demokratische Werte wie die Medienfreiheit, Bürgerrechte und die Unabhängigkeit der Justiz schon vor der Krise gefährdet waren, verzeichneten dagegen weitere besorgniserregende Rückschritte. Diese Staaten offenbarten auch mit Blick auf ihre Krisenreaktion die größten Defizite.

Im Teilbereich der demokratischen Robustheit erhielten Polen, Ungarn und die Türkei die schlechtesten Noten. „Dort nutzen Regierungen die Pandemie, um Bürgerrechte auf Dauer einzuschränken“, hieß es.

Nur Südkorea war vorbereitet

Bei der Resilienz der Wirtschaft liegt Österreich knapp unter dem Durchschnitt, bei der Krisenfestigkeit des Sozialstaats über dem Durchschnitt. Die Widerstandsfähigkeit der Demokratie wird in Österreich gut bewertet, hier liegt das Land auf Platz zwölf und damit vor Ländern wie den Niederlanden und Dänemark.

Grafik zeigt Krisenfestigkeit verschiedener Länder
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Bertelsmann Stiftung

Auch der Organisation des Krisenmanagements selbst komme eine besondere Bedeutung zu, hieß es weiter. Hier liegt Österreich auf Platz elf. Einzig Südkoreas Krisenmanagementarchitektur sei gut auf den pandemischen Ernstfall vorbereitet gewesen. Dem Land sei die Erfahrungen aus der MERS-Pandemie zugute gekommen. Schnell aufgeholt habe Neuseeland, das dank seines „go hard and go early“-Politikansatzes und seines vierstufigen CoV-Alarmsystems das Ranking anführt.

Österreich hat „nicht schlecht abgeschnitten“

Gehakt habe es „zumeist wegen eines Kompetenzgerangels“ – nicht nur bei föderalen Staaten wie Deutschland (Platz fünf) und Österreich. Als besonders schlecht wird die Aufstellung des Krisenmanagements in Mexiko, Ungarn und Polen bewertet, knapp davor landen Israel und die USA. „Wer Krisenvorsorge, Krisenreaktion und Rechenschaftslegung gut organisiert, kommt besser durch die Pandemie. Die Krisenarchitektur muss regelmäßig angepasst werden, um besser auf kommende Krisen vorbereitet zu sein“, sagte Schiller.

„Im Vergleich zu anderen Ländern, insbesondere zu anderen EU-Mitgliedsstaaten, hat Österreich während der Coronavirus-Krise nicht schlecht abgeschnitten“, heißt es im Österreich-Teil der Studie. In Bezug auf medizinische Indikatoren wie Infektions- und Todesraten sowie wirtschaftliche Indikatoren wie etwa die Arbeitslosigkeit liege Österreich im EU-Durchschnitt. Allerdings wurde ein Versäumnis der Regierung geortet, sich auf die zweite Infektionswelle im Herbst 2020 vorzubereiten.

Der Erhebungszeitraum der Bertelsmann-Studie war Mitte November 2019 bis Mitte Jänner 2021.

Die Pandemie habe auch die föderale Aufteilung der Zuständigkeiten als strukturelle Schwäche der Regierungsführung offenbart. Obwohl es sich um ein vergleichsweise kleines Land handle, seien die epidemiologischen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern aufgeteilt, hieß es.

Die Regierung reagierte

Das österreichische Gesundheitssystem liege während der Coronavirus-Pandemie im Durchschnitt der EU-Mitgliedsstaaten. Zu den Problemen bei der Bewältigung der CoV-Pandemie in Österreich zählten die Studienautoren die Beschaffung von Testkits zum Zeitpunkt des Ausbruchs, unzureichende Laborkapazitäten für die DNA-Sequenzierung, einen Rückstand bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens, einen mangelnden Datenaustausch innerhalb der Forschungsgemeinschaft sowie Probleme bei der Rückverfolgung von Kontakten und Quarantäne.

Das Geld sei vor allem für wirtschaftliche Maßnahmen wie Kurzarbeit und Unternehmenshilfen ausgegeben worden. Österreichs wichtige Tourismusbranche sei von der Pandemie besonders hart getroffen worden. „Die Reaktion der Regierung auf die Krise war eher reaktiv (auf die unmittelbaren Entwicklungen) als proaktiv und vorausschauend.“