Frauen beim Yoga
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Verwestlichung

Wie Yoga weiß und weiblich wurde

Zunächst für Frauen verboten, dann ein Muss für die gesunde Hausfrau und schließlich Allroundmittel gegen den Alltagsstress der westlichen Frau: Yoga. Geeta Iyengar und Indra Devi gehörten zu jenen Pionierinnen, die Yoga im Laufe des 20. Jahrhunderts für Frauen zugänglich machten. Doch die Geschichte der weiblichen Yogapraxis ist kontrovers – und wurde vor allem von Männern geschrieben.

„Yoga? So etwas Exotisches machen wir hier nicht.“ Das bekam Ursula Lyon im Jahr 1968 als Antwort, als sie beginnen wollte, an einer deutschen Volkshochschule Yoga zu unterrichten. Unter dem Begriff „Entspannungsgymnastik“ durfte sie es an einer anderen Volkshochschule dann doch versuchen und ihre Praxis wenig später auch als „Yoga“ bezeichnen. Die heute 93-Jährige gehört damit zu den Yogapionierinnen Deutschlands und spricht auch ein Publikum an, das den Fokus beim Yoga nicht auf körperliche Leistung legen will oder kann. Seit den 80er Jahren lebt und lehrt sie in Österreich.

Yoga hat sich in der westlichen Welt mittlerweile nicht nur als Alltagspraxis von Millionen Menschen etabliert, sondern auch als Milliardengeschäft mit guten Wachstumsprognosen. Sucht man im Internet nach „Yoga“, erhält man ein eher einheitliches Bild von Yogapraktizierenden: mehrheitlich weiblich, weiß, jung, normschön, sportlich, ohne körperliche Einschränkungen – wie es auch die reichweitenstärksten Yogalehrenden auf Instagram und YouTube sind.

Die Yogapionierin

Sie ist auch als „Yoga-Oma“ bekannt: Ursula Lyon war eine der ersten Frauen, die in Deutschland – trotz anfänglicher Widerstände – Yoga unterrichtete: Die heute 93-Jährige lebt mittlerweile in Österreich und spricht ein diverses Publikum an.

Yogaverbot für Frauen

Eine Studie des Berufsverbands der Yogalehrenden in Deutschland zeigt: Vier Millionen Menschen praktizierten 2018 in Deutschland Yoga, 70 Prozent mehr als noch vier Jahre zuvor. Davon waren 90 Prozent weiblich. Yoga war aber nicht immer eine weiblich dominierte Praxis – im Gegenteil. Bis ins 20. Jahrhundert war Frauen die Ausübung von Yoga verboten. Das heute im Westen dominierende Yoga umfasst vor allem Körperübungen und kann zusammenfassend als Hatha Yoga bezeichnet werden. Laut Laura von Ostrowski, Indologin und Religionswissenschaftlerin, wird „Hatha“ heute unter anderem mit dem Begriff „gewaltvoll“ übersetzt.

In seiner ursprünglichen Form umfasst Hatha Yoga sehr intensive Praktiken wie stundenlanges Atemanhalten und strenge Askese inklusive des Zurückhaltens der Samenflüssigkeit, um keine Lebensenergie zu verlieren. „Die Schriften, auf denen dieses Yoga beruht, wurden von Männern für Männer geschrieben. Von Asketen für Asketen. Von Brahmanen für Brahmanen“, so von Ostrowski im Gespräch mit ORF.at. Brahmanen waren die Angehörigen der obersten Kaste Indiens, die geistliche, männliche Elite des Landes.

Frauen und verrottete Früchte

Aber auch in den uralten Yogasutren Patanjalis finden sich kaum Erwähnungen von weiblichen Yogapraktizierenden. Frauen war das Ausüben der Praxis nicht nur verboten, sie wurden mitunter sogar als Hindernis in der männlichen Yogapraxis bezeichnet und neben verrotteten Früchten und verschmutztem Wasser als etwas genannt, das es zu vermeiden gelte.

Es gibt zwar vereinzelt Hinweise auf weibliche Figuren im Yoga, was deren genaue Rolle war, ist jedoch umstritten. Wie entwickelte sich Yoga unter diesen Voraussetzungen zur Trendsportart unter westlichen Frauen?

Indische Frauen beim Yoga
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Dass Yoga mittlerweile an den weiblichen Körper angepasst wurde, ist indischen Yogalehrerinnen zu verdanken

Kolonialismus und Körperdisziplin

Im 19. Jahrhundert diente die Popularisierung des Yogas durch die Brahmanen vor allem als Widerstand gegen die englischen Kolonialmächte. Diese brachten europäische Gymnastik als Instrument der Unterdrückung nach Indien, mit dem Ziel, das indische Volk als schwächlich darzustellen. „Yoga diente als politisches Mittel, um den Kolonialmächten auf allen Ebenen etwas entgegenzusetzen“, so von Ostrowski. Tirumalai Krishnamacharya, ein indischer Gelehrter, der eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung des Yogas im Westen einnahm, unterrichtete die indische Königsfamilie kurz vor der Unabhängigkeit Indiens im Yoga, um sie körperlich dafür zu stärken.

Krishnamacharya war es auch, der Anfang des 20. Jahrhunderts als Erster begann, Frauen in Privatstunden in Yoga zu unterrichten. Zunächst seine Frau, seine Töchter und dann auch Indra Devi, die erste westliche weibliche Yogaschülerin, die Yoga vor allem unter amerikanischen Frauen verbreitete. Die Brahmanen waren zu dieser Zeit stark vernetzt, sehr gut gebildet und hatten das Ziel, Yoga im Westen zu verbreiten, dessen Kultur sie – durch die Kolonialisierung – gut einschätzen konnten. So schrieb Swami Vivekananda schon Ende des 19. Jahrhunderts, die Wechselatmung führe bei regelmäßiger Praxis zu besserer Arbeitsleistung.

Mittel zur Selbstoptimierung

Unter diesem Framing traf Yoga im Westen auf fruchtbaren Boden. „Anfang des 20. Jahrhunderts war der deutschsprachige Raum geprägt von einem starken Gymnastikkult, der schon damals vor allem von sozioökonomisch besser gestellten Frauen getragen und ähnlich wie die heutigen Yogastudios organisiert wurde“, so von Ostrowski.

Gepaart war dieser Trend mit der Selbstoptimierungslogik der „New Thought“-Bewegung. An diese Bedingungen wurde Yoga angepasst und vor allem von dem Yogalehrer Boris Sacharow in Berlin verbreitet. Seine Bücher waren gezielt an ein weibliches Publikum gerichtet. Das Narrativ: Yoga für die schöne, gesunde, gebärfähige Frau.

Yoga statt Gymnastik

Nachdem die Nationalsozialisten die Gymnastikszene vereinnahmt hatten, war sie nach dem Zweiten Weltkrieg weitestgehend zerschlagen. „Yoga nahm danach den Platz ein, den die Gymnastikstudios vorher hatten. Es war eine alternative Form der Bewegung, ein holistischer Ansatz mit spirituellem Unterbau, etwas, das dem Westen bisher fehlte.“

„Das Zielpublikum und das westliche Narrativ blieben jedoch gleich. Yoga, wie es heute in vielen Fitnessstudios unterrichtet wird, hat viel mehr Anknüpfungspunkte mit der Gymnastikszene Anfang des 20. Jahrhunderts als mit dem Yoga, wie es in den alten Schriften beschrieben steht“, so von Ostrowski. Dazu haben auch Frauenzeitschriften einen erheblichen Anteil beigetragen, die Yoga seit den Neunzigern mitunter als Abnehmstrategie und Anti-Aging-Mittel popularisierten.

Das Problem mit der Vermarktung

Yogaübungen sind mittlerweile an den weiblichen Körper angepasst. Dazu haben unter anderen Geeta Iyengar und Indra Devi, die zu den ersten weiblichen Yogalehrenden gehörten, wesentlich beigetragen. Mittlerweile hat der westliche Hype um Yoga einen Markt für Lifestyleprodukte geschaffen, die man für die Praxis oft gar nicht benötigt, wie etwa spezielle Trinkflaschen und Yogaoutfits. Private Yogastunden und Yogaklassen im Studio sind nicht billig, auch für Onlineklassen braucht man zumindest einen Laptop.

Menschen, die dem einschlägigen Körperbild des westlichen Mainstream-Yoga nicht entsprechen, sind in der Bildsprache des Yogamarketings kaum repräsentiert. Das alles führt dazu, dass Yoga und seine potenziell positive Wirkung immer noch nicht allen zugänglich ist. „Man müsste schon in den Ausbildungen Yoga für Körper abseits der westlichen Schönheitsnormen anpassen. Es müsste außerdem mehr Yogalehrende geben, die selbst Diversität repräsentieren“, meint von Ostrowski.

Mehr als Verschöner-dich-Gymnastik

Yogalehrende wie Jessamyn Stanley, Arundhati Baitmangalkar, Madhura Bhagwat und auch von Ostrowski nutzen Instagram, um Yoga und das Wissen darüber für ein diverses Publikum zugänglich zu machen. „Oft wird die Erzählung des ‚alten, wahren‘ Yoga romantisiert.“ Man dürfe den Prozess nicht vergessen, „an dem so viele mitgewebt haben“, sagt von Ostrowski.

Sie plädiert für mehr Bildung über die jahrtausendealte Praxis und einen respektvollen Umgang mit Symbolen und Praktiken im Yoga. Denn: Yoga ist mehr als reine Verschöner-dich-Gymnastik. Das weiß auch Lyon. Ihr Leitsatz: „Yoga ist etwas für das ganze Leben und kann auch Verantwortung für die Welt bewusst machen. Und, was ich schon früh gelernt habe: Perfektion zwingt. Unvollkommenheit befreit.“