Damon Galgut
Michaela Verity
Booker-Preis

„Spektakulärer“ Roman fragt nach Gerechtigkeit

Mit „Das verlorene Paradies“ ist erst kürzlich ein Buch des neuen Nobelpreisträgers Abdulrazak Gurnah auf Deutsch erschienen, mit „Das Versprechen“ folgt nun der nächste prämierte afrikanische Roman: Im Booker-Preis-Buch von 2021 erzählt Damon Galgut eine fröhlich-düstere, raffiniert gestrickte Familiengeschichte rund um das Ende der Apartheid. Die Floskel bietet sich an: „Das Versprechen“ löst tatsächlich die Versprechen ein, die die Auszeichnung mit dem wichtigsten britischen Literaturpreis mit sich bringt.

„Nur ein gewöhnlicher Haufen weißer Südafrikaner“, „die durchhalten, aushalten, eine alte südafrikanische Lösung“, so beschreibt Galgut sein Personal. Die porträtierte weiße Familie Swarts sticht zunächst tatsächlich kaum durch Eigenwilligkeiten hervor: Die fünfköpfige bürgerliche Familie, Nachkommen von niederländischen Vortrekker-Siedlern, lebt auf einer Farm, unterstützt von einer schwarzen Haushälterin. Doch so „normal“ alles scheint, so sehr schwelt hier düster-fröhlich das Unheil: Eine toxische Familie in einer toxischen Gesellschaft, so lässt sich die Geschichte in Kurzform zusammenfassen.

Zum Erscheinen des Originals im Sommer wurde „Das Versprechen“ bereits als heißer Booker-Preis-Kandidat gehandelt. Von einem „klaren und wenig überraschenden Gewinner“ schrieb nun auch der „Guardian" anlässlich der Preisbekanntgabe und zitierte dabei die Jury: Diese würdigte einen „spektakulären“ Roman. „Das Versprechen“ sei ein „starker, eindeutiger Kommentar zur Geschichte Südafrikas und der Menschheit selbst“, ihm liege die große Frage zugrunde: „Gibt es wahre Gerechtigkeit in dieser Welt?“.

Coetzees „Nachfolger“

Nach Nadine Gordimer und J. M. Coetzee ist Galgut der dritte Südafrikaner, der die mit 50.000 Pfund dotierte Auszeichnung erhalten hat. Als würdiger Nachfolger von Coetzee wird der 57-Jährige, der schon 2003 und 2010 für den Booker-Preis nominiert war, dabei schon länger gehandelt: Mit Coetzee teilt sich Galgut nicht nur das Thema der ungelösten Probleme in der Post-Apartheid-Zeit und den Innenblick auf ein gebeuteltes weißes Südafrika. Mit ihm hat Galgut auch die Nähe zu seinen Figuren gemein – wobei Galgut ihre Demontage mit deutlich mehr beißender Fröhlichkeit und spitzer Feder betreibt.

Der Roman spielt von 1986 bis 2018, von den letzten Tagen der Apartheid bis zu den Enttäuschungen der Jacob-Zuma-Präsidentschaft, wobei diese 38 Jahre nicht episch ausgebreitet werden, sondern stark zusammengedampft sind: Der Plot entspinnt sich nämlich einzig und allein rund um vier Begräbnisse, die auf jeweils zirka siebzig Seiten abgehandelt werden.

„Versprechen“ wird nicht eingelöst

Den Anfang des Reigens macht das Begräbnis der Mutter Rachel, zu dem die drei Kinder eintreffen: Der Älteste, Anton, leistet seinen Wehrdienst in der Armee ab, seine narzisstische, bulimische Schwester Astrid ist schon verheiratet. Amor ist mit 13 die Jüngste, eine eigenwillige Einzelgängerin und das geheime Zentrum des Buchs. Sie hört auch das titelgebende Versprechen mit, das die Mutter kurz vor dem Tod ihrem patriarchalen Ehemann Manie abringt.

Die Haushälterin Salome, die die Mutter am Ende gepflegt hat, soll ein bescheidenes Häuschen auf dem Familiengrund erben. Dieses Versprechen wird aber – so viel darf verraten werden – nie eingelöst werden: Ein Sinnbild für den moralischen Bankrott des weißen Südafrika, das Amor ihr Leben lang begleitet.

Schwelende südafrikanische Geschichte

Doch Moralismus gibt es in „Das Versprechen“ keinen, Galgut hält sich mit Bewertungen zurück und beschreibt vielmehr in vielschichtigem Erzählton – von einfühlsam bis mitleidslos und beißend sarkastisch – eine Familie, die sukzessive in Verzweiflung, gegenseitigen Ressentiments und Schuldzuweisungen versinkt. Nur ganz beiläufig kommen die offenen Wunden der Geschichte zur Sprache.

Buchhinweis

Damon Galgut: Das Versprechen. Aus dem Englischen von Thomas Mohr. Luchterhand, 368 Seiten, 24,70 Euro.

Hendrick Verwoerd, „Architekt der Apartheid“, ziert 1986 etwa das wertvollste Stück der Briefmarkensammlung des seltsamen Cousins. Dem Regimeende 1994 können die Swarts vor allem die Freude abgewinnen, an internationalen Sportturnieren teilnehmen zu können, „das gibt uns Gelegenheit, Leute aus fernen Ländern plattzumachen“. Was die Swarts – und folglich Leserinnen und Leser – oberflächlich also nur bedingt tangiert, schwelt unterschwellig natürlich weiter: Schuld, Angst und Rassismus einer weißen Oberschicht in einer Gesellschaft, in der die Apartheid-Strukturen teils bis heute existieren.

Kunstvoll erzählt

Was „Das Versprechen“ bei all der Härte zum wirklich großen Lesevergnügen macht, ist die Vielschichtigkeit nicht nur im Erzählton, sondern auch in der Perspektive: Die Story mag – mit einer Familie und vier Begräbnissen – eigentlich übersichtlich klingen. So wie Galgut sie angeht, ist das aber höchst ungewöhnlich: Da wird munter zwischen Erzählperspektiven gewechselt (von verschiedenen Ich-Erzählern zum allwissenden Erzähler); Szenen gehen abrupt ineinander über, und gelegentlich wird auf Metafiktionales („Nennen wir ihn einfach Bob. Wer weiß, vielleicht heißt er ja wirklich so.“) und fast filmische „Off-Kommentare“ gesetzt.

Etwa so: „Anton spricht mit einer vollbusigen, kurz vor dem Highschool-Abschluss stehenden Blondine, mit der er gerade ebenso animalisch wie orgiastisch gevögelt hat. Man beachte das zerwühlte Bett, die verstreuten Kleidungsstücke, das angenehme Nachglühen zwischen den Schenkeln“

Und Galgut belässt es nicht bei der Familie, sondern biegt schon einmal Richtung Bestattungsbediensteter ab, um Job und Gedanken zu beschreiben – um dann wieder leichtfüßig die Swart-Fährte aufzunehmen. In „Das Versprechen“ kommt man also doppelt auf die Kosten: mit einer packend-klugen Familiengeschichte und obendrein mit erzählerischen Kniffen, etwa fast dreist wirkenden Normbrüchen. Eine eindeutige Empfehlung.