Straßenszene in Wien zeigt Passanten
ORF.at/Dominique Hammer
„Demokratiemonitor“

Vertrauen in Politik „im Keller“

Das Vertrauen der Bevölkerung in das politische System ist im letzten Jahr stark gesunken. Gründe dafür sind das Pandemiemanagement und die ÖVP-Inseratenaffäre. Der Großteil der Menschen vertraut dennoch in die Demokratie – auch wenn diese Mehrheit angesichts großer Demonstrationen derzeit oft übersehen wird.

Das Meinungsforschungsinstitut SORA hat im Rahmen des „Demokratiemonitors“ zum vierten Mal erhoben, wie sehr die österreichische Bevölkerung der Demokratie und dem politischen System vertraut, und erste Ergebnisse präsentiert. Derzeit sind 58 Prozent der Befragten davon überzeugt, dass das politische System weniger oder gar nicht funktioniert. „Wir haben das Niveau von Rumänien erreicht, also wirklich tief im Keller“, fasste Günther Ogris, Geschäftsführer von SORA, das Ergebnis bei einer Pressekonferenz zusammen.

Das Systemvertrauen lag bereits im Befragungszeitraum August bis Oktober deutlich unter dem Wert des Vorjahres. 46 Prozent der rund 2.000 Befragten vertrauten dem politischen System kaum oder gar nicht. Um auch die Auswirkungen der ÖVP-Inseratenaffäre und der sich wieder verschlechternden Pandemielage einschätzen zu können, wurden von Ende November bis Anfang Dezember 500 dieser Befragten erneut interviewt. In diesem Zeitraum stieg das Misstrauen auf 58 Prozent.

ÖVP-Affäre schädigte gesamtes politisches System

Im Zusammenhang mit der Inseratenaffäre und dem damit einhergehenden sinkenden politischen Vertrauen sieht die Studienautorin und Projektleiterin des „Demokratiemonitors“, Martina Zandonella, auch eine Pauschalisierung. „Wenn aufseiten der politischen Eliten solche Entgleisungen stattfinden, schädigt es nicht nur tatsächlich Beteiligte, sondern das gesamte politische System“, so Zandonella.

Derzeit sind rund 90 Prozent der Menschen davon überzeugt, dass die österreichische Politik ein Korruptionsproblem hat. Dabei wird Korruption nicht nur mit einzelnen Personen oder Parteien verbunden: 41 Prozent der Menschen gehen davon aus, dass das, was die Chats um Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz gezeigt haben, typisch für alle Parteien ist.

Ökonomische Unsicherheit und fehlende Repräsentation

Gesunken ist das Vertrauen in allen Bevölkerungsgruppen, der Vertrauensverlust fällt im oberen und mittleren Einkommensdrittel der Gesellschaft jedoch stärker aus. Im unteren Einkommensdrittel sei das Vertrauen in das politische System seit Erhebungsbeginn 2018 zwar ebenfalls geringer, aber weniger von aktuellen Ereignissen abhängig, so Zandonella. Aktuell denken nur rund 31 Prozent der Menschen im unteren Drittel, dass das politische System gut funktioniert – im Vergleich zu 42 Prozent im mittleren und 54 Prozent im oberen Drittel.

Mit der ökonomischen Unsicherheit gingen Erfahrungen von Ungleichwertigkeit und fehlender Repräsentation einher. Das Gefühl der politischen Ohnmacht stehe im Zusammenhang mit dem geringen Vertrauen. „Etwa wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Lebensumstände bei der Pandemiebekämpfung nicht berücksichtigt werden“, dann sinke auch das politische Vertrauen, so Zandonella.

„Statistische Mehrheit sehr leise“

Nach wie vor denken aber 88 Prozent der Menschen in Österreich, dass die Demokratie – trotz mancher Probleme – die beste Staatsform ist. Dieser Wert ist über die Erhebungsjahre hinweg weitgehend konstant geblieben. „Das demokratische Grundsatzbewusstsein ist nicht so stark zu erschüttern, wie man zuerst annehmen würde“, so Zandonella.

75 Prozent sprechen sich für eine Stärkung der Demokratie aus, im Moment seien diese Stimmen aber sehr leise, weil die Diskussion über die Pandemiemaßnahmen so stark im Vordergrund stehe, so Zandonella. Was es brauche, sei, diese 75 Prozent zusammenzubringen und das Gemeinsame zu stärken. „Dann wird diese statistische Mehrheit sichtbar und kann auch als solche auftreten“.

Demokratiebewusstsein als Grundkonsens

Denn innerhalb jener Mehrheit, die sich eine Stärkung der Demokratie wünscht, gehen auch die Meinungen zu den CoV-Maßnahmen auseinander. 25 Prozent der Befragten stehen den Maßnahmen eher ablehnend gegenüber, fordern aber ebenfalls eine Stärkung der Demokratie.

Eine Grafik zeigt die Einstellung in Österreich zur Demokratie und zu den CoV-Maßnahmen
Grafik: ORF.at; Quelle: SORA

Eine generelle Zunahme an autoritären Einstellungen lässt der „Demokratiemonitor“ nicht erkennen. Aber: Jene zehn Prozent der Bevölkerung, die sich über die Erhebungsjahre hinweg eindeutig für einen „starken Führer“ aussprechen, verfestigten im Verlauf der Pandemie ihr Gedankengut: Während von 2018 bis 2020 noch rund die Hälfte von ihnen auch der Demokratie etwas abgewinnen konnte, ist es inzwischen nur noch ein Viertel.

Wunsch nach politischer Fehlerkultur

Trotz des Demokratiebewusstseins ist die Distanz der Menschen zu den politischen Eliten größer geworden. Während 2018 noch 13 Prozent ihre eigenen Lebensumstände und politischen Anliegen in keiner Partei wiedergefunden haben, sind es derzeit 25 Prozent.

Knapp zwei Drittel der Befragten verlangen daher zur Stärkung der Demokratie mehr Transparenz im Regierungshandeln. Zudem wünscht sich mehr als die Hälfte eine grundlegende Änderung der politischen Kultur – etwa mehr Ehrlichkeit, Respekt vor der Justiz, weniger Machtdenken und mehr Unrechtsbewusstsein.