Der Hauptspiegel des „James Webb“ Weltraumteleskops.
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Nachfolger von „Hubble“

„Webb“ auf dem Weg zur Entfaltung im All

Mehr als 30 Jahre nach dem Start von „Hubble“ soll das „James Webb Space Teleskop“ (kurz „Webb“ bzw. „JWST“) nun auch „die verborgenen Teile unseres Universums sichtbar machen“. Gemeinsam mit der NASA und der kanadischen CSA verfolgt die Europäische Weltraumagentur (ESA) dieses Ziel an sich bereits seit Mitte der 90er Jahre. Nun steht „Webb“ reisefertig verpackt im Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana und soll – nach neuerlichen Verzögerungen – am 25. Dezember Richtung All abheben.

Als nächstes großes Weltraumobservatorium werde „Webb“ in die Fußstapfen des ebenfalls gemeinsam mit der NASA betriebenen „Hubble“ treten, wie die ESA zu der unter dem Motto „weiter sehen“ laufenden Mission mitteilte. Das Teleskop ist bereits vollgetankt in der Spitze einer Ariane-5-Rakete verstaut – neben dem Bau von zwei der vier zentralen wissenschaftlichen Instrumente stellt die ESA somit auch die Startinfrastruktur. Insgesamt sind 14 Länder am Projekt beteiligt, darunter Österreich, das unter anderem mit dem in Wien sitzenden Unternehmen RUAG Space mehrere Bauteile beisteuerte.

Das sechs Tonnen schwere und mittlerweile umgerechnet rund zehn Milliarden Dollar (rund 8,9 Mrd. Euro) teure Weltraumobservatorium wurde im Oktober aus Kalifornien nach Französisch-Guyana gebracht. Dort laufen seitdem umfangreiche Tests und Startvorbereitungsarbeiten.

Klemmband, Kommunikationsproblem und Wetter

Dabei sorgte zunächst ein gelöstes Klemmband für einen Schreckmoment und eine erste Verschiebung des ursprünglich für 18. Dezember geplanten Starts. Für eine weitere Verzögerung sorgte ein zwischen Observatorium und Trägersystem geortetes, schnell gelöstes „Kommunikationsproblem“. In der Folge wurde der Start zwar freigegeben, witterungsbedingt aber vom 24. auf den 25. Dezember verschoben.

Ausgehend eines anfangs zwischen 2007 und 2011 angepeilten Starts ging damit eine beachtliche Serie von Verzögerungen in die Verlängerung, weswegen etwa ein Twitter-User vor der letzten Verschiebung argwöhnisch anmerkte: „24. Dezember, aber in welchem Jahr?“ – gleichzeitig stand „Webb“ noch nie so nah an der nächsten großen und mit Spannung erwarteten Etappe wie jetzt, nämlich dem Start und der Entfaltung im All.

„In Origamitechnik“ verpackt

Geht alles nach Plan, wird „Webb“ rund 30 Minuten nach dem Start von der Rakete abgetrennt – dann dauert es laut ESA noch rund einen Monat, bis das Weltraumteleskop seinen „exklusiven Beobachtungsplatz“, den in etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernten zweiten Lagrange-Punkt (L2), erreicht. Auf dem Weg dorthin warten noch etliche, teils hochkomplexe Manöver. Konkret werde sich das „in Origamitechnik“ gefaltete Teleskop bis zur Inbetriebnahme noch „wie ein ‚Transformer‘ nach und nach entfalten“.

Im Fokus steht hier das laut ESA etwa tennisplatzgroße Sonnensegel. Dazu kommt der aus 18 sechseckigen Segmenten bestehende Hauptspiegel, der mit seinen 6,5 Metern Durchmesser künftig das schwache Licht weit entfernter Sterne und Galaxien einfangen soll – „und zwar mit einer Empfindlichkeit, die 100-mal größer ist als die von ‚Hubble‘“.

NASA Mitarbeiter betrachten den riesigen Spiegel des „James Webb“ Weltraumteleskops.
APA/AFP/Getty Images North America/Alex Wong
Der Primärspiegel besteht aus 18 Segmenten und hat einen Durchmesser von 6,5 Metern

Das im optischen und ultravioletten Bereich arbeitende Teleskop soll aber möglichst lange weiter im Einsatz bleiben. Zusammen mit dem im infraroten Bereich arbeitenden „Webb“ bekäme man dann "das gesamte Band des Regenbogens“, wie Günther Hasinger, Direktor für Wissenschaft der ESA, einmal dazu sagte.

Erste Bilder voraussichtlich im Juli

Nach einem „sehr, sehr komplizierten Spiel“ auf dem Weg zum Bestimmungsort, geht es jedenfalls auch für „Webb“ an die eigentliche Arbeit – die Suche nach „bahnbrechenden Entdeckungen in sämtlichen Feldern der Astronomie“. Bis zu ersten Untersuchungen werde es noch um die sieben Monate dauern, erste Bilder sollten dann voraussichtlich im kommenden Juli zu sehen sein, prognostiziert Hasinger.

Die Stärke des Teleskops liege aber ohnehin in der Spektroskopie – also dass man von jedem Punkt am Himmel einen chemischen Fingerabdruck nehmen kann. „Ein Bild ist ja wunderschön anzuschauen. Was wir mit ‚James Webb‘ bekommen, ist eben, in jedem einzelnen Bildelement können wir auch noch 1.000 andere Informationen ablesen“.

Mit dem Teleskop sind Hasinger zufolge eine Tiefendurchmusterung des frühen sich ausbreitenden Universums und auch eine Absuche der Sternenentstehungsgebiete geplant. „Aber dann wird auch ein Großteil an Beobachtungszeit an die extrasolaren Planeten gehen.“ Das Teleskop könne die Atmosphäre solcher Exoplaneten auf Moleküle untersuchen, die möglicherweise auf biologische Aktivität hinweisen. „Ob das gelingt oder nicht, hängt natürlich davon ab, ob wir die richtigen Planeten finden.“

„Suche nach dem Ende der Dunkelheit“

So wie NASA-Wissenschaftsdirektor Thomas Zurbuchen verwies zuletzt auch ESA-Chef Josef Aschenbacher auf die erhofften neuen Erkenntnisse rund um die ersten nach dem Urknall entstandenen Galaxien. „Webb“ soll demnach einen Blick in die Vergangenheit vor 13,5 Milliarden Jahren ermöglichen – um einiges weiter zurück als sein Vorgänger „Hubble“.

Ingenieure beim entpacken und reinigen des Weltraumteleskops vor dem Start.
Reuters/NASA/Chris Gunn
Die Vorbereitungen für den Start laufen seit Wochen auf Hochtouren

„Wir denken, dass es Sterne, Galaxien oder schwarze Löcher vielleicht ab 100 Millionen Jahren nach dem Urknall geben sollte“, zitierte dazu die BBC den am „JWST“-Projekt maßgeblich beteiligten Nobelpreisträger John Mather. Und „wenn wir Glück haben“, werde „Webb“ diese sehen, so Mather über die „Suche nach dem Ende der Dunkelheit“, wie es die BBC formulierte.

„Wo kommen wir her und wo gehen wir hin?“

Für das nach dem früheren NASA-Chef James Edwin Webb benannte Teleskop rechnet die ESA mit einer Lebensdauer von zehn Jahren. Dann gehe ihm quasi der Treibstoff aus. Für das seit rund 25 Jahren entwickelte Projekt habe die NASA anfangs mit Kosten von rund 500 Millionen Dollar gerechnet. „Da haben sich die damaligen Wissenschafter und Ingenieure einfach sehr, sehr stark verschätzt“.

Der Nutzen des Zehn-Milliarden-Dollar-Projekts liegt für Hasinger dennoch auf der Hand. „Der Mensch als solcher ist ja neugierig und versucht immer, alles in seiner Umgebung zu verstehen.“ Es gehe um die Frage, wo kommen wir her und wo gehen wir hin, so Hasinger, dem zufolge „Webb“ hier so viel Neues zeigen werde, „dass wir mit den Ohren schlackern“ werden.

„JWST“ werde „das größte und leistungsstärkste Teleskop sein, das jemals im Weltraum platziert wurde“, heißt es passend dazu von Aschenbacher. Der ESA-Generaldirektor spart via Twitter auch nicht mit weiteren Superlativen des Vorzeigeprojekts – nötig sei jetzt aber schönes Wetter, damit auch der Start möglich sei, „den #Webb sich verdient“.