Abtreibungsgegner vor einer Klinik in Texas
AP/Brandon Wade
Kalifornien vs. Texas

Abtreibungsverbot als Vorbild bei Waffen

Abtreibung und Waffen sind die beiden Themen, die die USA seit Jahrzehnten spalten wie wenig sonst. Nachdem das US-Höchstgericht vorläufig das extrem strenge texanische Abtreibungsgesetz aufrechterhalten hatte, hat ein hochrangiger Demokrat nun vorgeschlagen, die Abtreibungsgegner – und damit indirekt die Republikaner – quasi mit den eigenen Waffen zu schlagen.

Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom plädiert nämlich nun dafür, jenen legistischen Hebel, den die Republikaner in Texas gegen das Recht auf Abtreibung einsetzten, eins zu eins auf Waffenproduzenten und -händler anzuwenden. Wird Newsoms Vorstoß umgesetzt, könnte das politisch weitreichende Folgen haben.

Zur Erinnerung: Der Supreme Court hatte letzte Woche zwar Klagen von Abtreibungskliniken gegen das texanische Gesetz zugelassen, zugleich aber das Gesetz, das seit Anfang September in Kraft ist, selbst nicht aufgehoben.

Auslagerung an Bürger

Das texanische Gesetz verbietet Schwangerschaftsabbrüche bereits ab einem Zeitpunkt (mit messbarem Herzschlag des Fötus, etwa sechste Schwangerschaftswoche, Anm.), zu dem Frauen meist gar nicht wissen, dass sie schwanger sind. Und selbst bei Vergewaltigung oder Inzest gibt es keine Ausnahme. Neu an diesem Gesetz ist aber vor allem, dass es – in einer strafrechtlichen Materie – nicht die Behörden zur Kontrolle verpflichtet, sondern Bürgerinnen und Bürger ermächtigt.

Diese sind per Gesetz dazu aufgerufen, all jene zu klagen, die sie verdächtigen, Frauen bei einer Abtreibung nach der sechsten Woche geholfen zu haben. Mit diesem legistischen Trick wollen die Republikaner die Aufhebung des Gesetzes verhindern. Bleibt es in Kraft, wird Bundesrecht damit geschwächt bzw. ausgehebelt. Das Gesetz führte bereits dazu, dass derzeit praktisch keine texanische Klinik Abtreibungen durchführt.

„Tödliche Waffen verbieten und Leben retten“

Newsom kündigte nun an, seine Regierung werde ein Gesetz ausarbeiten, das es Bürgerinnen und Bürgern erlauben soll, alle zu klagen, die Sturmgewehre oder „Ghost Guns“ produzieren, verteilen oder verkaufen. Die Mindeststrafe bei Verstoß solle 10.000 Dollar (8.800 Euro) zuzüglich Verfahrenskosten betragen.

Wenn das Höchstgericht es Bürgerinnen und Bürgern in Texas erlaube, Klage einzureichen, um eine Abtreibung zu stoppen, "dann werden wir den Kaliforniern erlauben, jene zu klagen, die Waffen ohne Seriennummer („ghost guns", Anm.) und Sturmgewehre verkaufen. Wenn Texas Abtreibungen verbieten und Leben gefährden kann, kann Kalifornien tödliche Kriegswaffen verbieten und Leben retten“, twitterte Newsom.

Waffengeschäft in den USA
Reuters/Bing Guan
Halbautomatik-Gewehre in einem Waffengeschäft in Kalifornien

Widerspruch zu eigenen Aussagen

Der Gouverneur widerspricht damit freilich eigenen früheren Aussagen. Darin hatte er das texanische Abtreibungsverbotsgesetz als zynischen Versuch, Bundesrecht zu unterlaufen, kritisiert. Den gleichen Effekt hätte freilich auch sein kalifornisches Waffenverbotsgesetz. Zugleich bringt Newsom – der vor wenigen Monaten den republikanischen Versuch, ihn per Volksabstimmung abzusetzen, erfolgreich abwehrte – damit zwei Bundesstaaten in den so emotionalen und politisch heiklen Themen Abtreibung und Waffenbesitz in Frontstellung zueinander. Sich selbst stelle Newsom damit an die Spitze in dem seit Donald Trump noch weiter eskalierten Kulturkrieg zwischen Konservativen und Liberalen, wie die „New York Times“ anmerkte.

„Viel Glück“

Jener Mann, der das texanische Abtreibungsgesetz maßgeblich formulierte, der Republikaner Bryan Hughes, reagierte bereits auf Newsoms Versuch, den legistischen Spieß im gesellschaftspolitischen Dauerkampf umzudrehen. Hughes ist laut „Texas Tribune“ überzeugt, dass der kalifornische Versuch zum Scheitern verurteilt ist, da das Recht, Waffen zu tragen, in der US-Verfassung festgeschrieben sei. Er wünsche Newsom damit „viel Glück“, so Hughes sarkastisch.

Ausgerechnet bei einer Anhörung vor dem Höchstgericht in Washington, bei dem die möglichen juristischen Folgen des Abtreibungsgesetzes verhandelt wurden, bejahte ein Vertreter des texanischen Justizministeriums laut „Texas Tribune“ freilich die Frage des konservativen Höchstrichters Brett Kavanaugh, ob ein Gesetz, das den Verkauf einer Schnellfeuerwaffe unter hohe Strafe stelle, dann auch von einer Überprüfung durch Bundesgerichte ausgenommen sei. Anderes gesagt: Ein solches Waffengesetz könnte – auch nach Meinung republikanischer Juristen – sehr wohl zumindest bis zu einer eventuellen Aufhebung durch den Supreme Court gelten.

Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom
AP/Rich Pedroncelli
Newsom nach seinem klaren Sieg beim Recall im September, den Republikaner zu seiner Abwahl angestrengt hatten

„Jede schlechte Idee wird kopiert“

Abzuwarten bleibt nun einmal, ob Newsom seine Ankündigung tatsächlich in die Realität umsetzt. Ganz überraschend kommt sein Vorstoß jedenfalls nicht, wie ja auch die entsprechende Frage Kavanaughs bei der Anhörung zeigte. Vertreter der Waffenlobby hatten entsprechende Vorstöße bereits befürchtet. Ein Anwalt der kalifornischen Waffenlobbyorganisation Firearms Policy Coalition, Erik S. Jaffe, meinte nur: „Jede schlechte Idee wird kopiert.“

Nächstes Jahr stehen die Midterm-Wahlen an, das ganze Land wird spätestens ab Sommer vom Wahlkampf dominiert sein. Und kaum etwas mobilisiert die Wählerschaft mehr als die Dauerstreitfragen Waffen und Abtreibung. Das texanische Abtreibungsgesetz könnte im schlimmsten Fall – und nicht zuletzt aus parteitaktischem Kalkül – zu einem Dominoeffekt führen: Je nach politischer Ausrichtung könnten Bundesstaaten neben dem Recht auf Waffenbesitz auch per Bundesgesetz garantierte Rechte wie die freie Religionsausübung, gleichgeschlechtliche Ehe und Meinungsfreiheit einschränken.

Noch ist es nicht so weit, aber die Gefahr einer Schwächung des Bundesrechts ist real. Schlimmstenfalls könnte bei Grundrechten in den USA ein Fleckerlteppich mit von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlichen Regelungen entstehen, wie er im Fall der EU gern auch mal belächelt wird. Und gerade bei den politisch besonders „heißen Eisen“ könnte die gesellschaftspolitische demokratische Auseinandersetzung in den USA so noch mehr in Gerichtssäle ausgelagert werden.