Der Europäische Rat in Brüssel
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Neue Regierungsspitzen

Kanzlerpremieren bei EU-Gipfel

Am Donnerstag ist es in Brüssel zur EU-Gipfel-Premiere für den neuen österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) gekommen. Aber auch der neue deutsche Kanzler Olaf Scholz sowie die schwedische Premierministerin Magdalena Andersson (SAP) absolvierten ihren ersten Gipfelauftritt in dieser Funktion. Die Themen des diesmal nur eintägigen Gipfels sind heikel – und reichen vom 2-G-System in der Coronavirus-Pandemie über die Finanzierung von Grenzmauern bis hin zu möglichen Sanktionen gegen Russland.

Zehn Tage nach seiner Angelobung betrat Nehammer erstmals den roten Teppich im EU-Ei. Im Vorfeld traf Nehammer bereits EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und nahm am Mittwoch am Gipfel der östlichen Partnerschaften teil. Ein Treffen hat es Nehammer zufolge auch schon mit dessen deutschen Amtskollegen Scholz gegeben.

Fast wäre es sogar eine vierfache Premiere neuer Regierungsspitzen geworden – im Gegensatz zu der schwedischen Sozialdemokratin Andersson nimmt der neue bulgarische Regierungschef Kiril Petkow jedoch nicht am EU-Gipfel teil. Er sagte seine Teilnahme aufgrund „innenpolitischer Krisen“ ab und wird sich wohl vom Präsidenten Rumen Radew vertreten lassen.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Hans Punz
Drei Gipfel, drei Kanzler – nach Sebastian Kurz und Alexander Schallenberg nimmt nun Nehammer als österreichischer Kanzler am EU-Gipfel teil

Russland-Frage im Mittelpunkt

Die brisanteste Frage des EU-Gipfels dürfte sein, wie man weiter mit Russland verfahren solle. Russland hat an der Grenze zur Ukraine in den vergangenen Wochen Zehntausende Soldaten zusammengezogen. Das nährt Befürchtungen im Westen, dass eine Invasion der russischen Armee im Nachbarland bevorstehen könnte. Moskau bestreitet das und wirft der Regierung in Kiew seinerseits Provokationen vor.

Aus Brüssel heißt es, es gehe nun um Vorbereitungen zu möglichen Sanktionen. Dem Vernehmen nach soll sich der Gipfel allerdings noch nicht auf konkrete Wirtschaftssanktionen gegen Moskau festlegen – für den Fall, dass russische Truppen tatsächlich in der Ukraine einmarschieren. Geprüft werden nach Brüsseler Angaben aber Wirtschaftssanktionen wie der Ausschluss Russlands vom internationalen Finanzhandelssystem Swift.

Jedenfalls ist die Debatte der Staats- und Regierungsspitzen im Brüsseler Ratsgebäude so heikel, dass sie ihre Handys vorher abgeben müssen. Es wird erwartet, dass EU-Ratspräsident Charles Michel anschließend die Diskussion über mögliche Konsequenzen für Russland mündlich zusammenfasst.

Deutscher Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
AP/Michael Sohn
Scholz sei „gewillt, Europa voranzubringen“, hieß es vorab aus seinem Umfeld

Drohungen gegen Russland im Vorfeld

Im Vorfeld richtete Michel bereits warnende Worte an Moskau. „Jede weitere militärische Aggression gegen die Ukraine wird massive Konsequenzen und hohe Kosten nach sich ziehen“, schrieb Michel in seinem Einladungsschreiben. Ähnlich äußerte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie drohte Russland für den Fall einer weiteren Zuspitzung des Ukraine-Konflikts mit bisher beispiellosen, schwerwiegenden Folgen.

Die Europäische Union könne auf jede weitere Aggression mit einer Verschärfung oder Ausweitung bereits bestehender Sanktionen reagieren, sagte von der Leyen am Mittwoch. „Und natürlich sind wir bereit, zusätzliche, nie da gewesenen Maßnahmen mit ernsten Konsequenzen für Russland zu ergreifen.“

Nehammer: „Eng mit Deutschland abstimmen“

Indes hatte sich Nehammer bereits dafür ausgesprochen, Österreich als „Brückenbauer“ im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland anzubieten. Es müsse eine Eskalation vermieden werden, „weil auch hier ein Streichholz reicht, eine ganz gefährliche Lage hervorzurufen“. Die Unabhängigkeit der Ukraine sei zu unterstützen, meinte der Kanzler. Man müsse Russland klarmachen, keine territorialen Ansprüche mit Gewalt durchzusetzen. Österreich wolle sich eng mit Deutschland abstimmen.

Seitens Deutschland hieß es dazu von Scholz: „Jede Verletzung territorialer Integrität wird einen hohen Preis haben.“ Der deutsche Kanzler warb für neue diplomatische Bemühungen zur Beilegung des Konflikts – und kündigte eine enge Abstimmung mit Frankreich in der Europapolitik an.

Runder Tisch im Europäischen Rat
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„Jede weitere militärische Aggression gegen die Ukraine wird massive Konsequenzen und hohe Kosten nach sich ziehen“, so Michel

Geld für Mauerbau an Außengrenzen?

Ein Streitpunkt, der bereits im Oktober die EU-Staats- und -Regierungschefs beschäftigte, kommt erneut auf den Tisch. Österreich verlangt gemeinsam mit Dänemark und mehreren osteuropäischen Staaten, dass für den EU-Außengrenzschutz physische Grenzbarrieren – etwa in Litauen – aus dem EU-Budget finanziert werden, die EU-Kommission lehnt das ab. Bei der Debatte über die externen Aspekte der Migration soll es auch um eine bessere Rückführung illegal Einreisender gehen.

Der Druck auf Europa und Österreich nehme zu, postulierte Nehammer. Die Zahl von knapp 35.000 Asylanträgen in Österreich sei außergewöhnlich hoch, „Zehntausende Menschen überschreiten die EU-Außengrenze, ohne polizeilich erfasst zu sein“. Nationale Rückführungsabkommen sind nach Ansicht Nehammers nicht ausreichend. Für die EU-Finanzierung des Grenzmanagements hätten sich mittlerweile viele Verbündete im Rahmen einer „Koalition der Willigen“ gefunden, zu der nicht nur Österreich und die Visegrad-Staaten zählten, sondern auch die Niederlande, Belgien, Dänemark, Kroatien und Slowenien.

Ein weiteres Gipfelthema ist auch die EU-Verteidigungspolitik. Bis zum März soll ein „strategischer Kompass“ über Bedrohungsszenarien stehen. Die EU will auch mit der NATO eine gemeinsame Erklärung ausarbeiten. Den Abschluss bildet eine gemeinsame Sitzung der Euro-Länder. Nehammer unterstützt eine Stärkung der europäischen Verteidigung, wie er sagte. Auch davon, dass die EU mit der NATO zusammenarbeite, profitiere auch Österreich als neutrales Land.

EU-Flaggen vor dem Europäischen Rat in Brüssel
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Migration und Pandemie stehen auch wieder im Fokus des diesmal eintägigen Gipfels

Debatte über Booster-Impfungen

Ein Schwerpunkt des Gipfels ist freilich auch wieder der Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie. Der europäische „Grüne Pass“ soll künftig einheitlich neun Monate gültig sein. Als Nachweis für die Einreise innerhalb der EU soll – personenbasiert – künftig das 2-G-System dienen. Österreich unterstütze die EU-Kommission bei diesem Vorstoß, so Nehammer. Zur Debatte steht aber auch das System der „Passenger Locator Forms“, das eine Kontaktrückverfolgung über EU-Grenzen hinweg erleichtern soll.

Es wird zudem erwartet, dass der Gipfel auch die Frage der Booster-Impfungen diskutiert, für wen und ab wann diese erforderlich sind sowie die Impfpflicht. In Hinblick auf die sich rasch ausbreitende Omikron-Variante sei allerdings noch wenig wissenschaftliches Wissen vorhanden, hieß es in Ratskreisen.

Dauerbrenner hohe Energiepreise

Auch die hohen Energiepreise stehen wieder auf der Tagesordnung, wobei diese derzeit noch als temporäres Problem betrachtet werden, hieß es. Erwartet wird in diesem Kontext auch eine Diskussion darüber, ob Atomkraft – so wie etwa von Frankreich gefordert – als „grüne Energie“ im Sinne einer Taxonomie für nachhaltige Finanzinvestitionen gewertet wird.

Österreich lehnt da strikt ab. Man sei dagegen, dass „die Taxonomie-Verordnung grüngewaschen wird“, so Nehammer. Atomenergie sei keine geeignete Alternative zu erneuerbaren Energien. Der Kanzler sprach sich zudem gegen einen vorschnellen Eingriff in die Energiemärkte aus, weil auch die Auswirkungen schwer sein können.

„Kein guter Eindruck“ von Österreich

Unterdessen meinte SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried vor dem EU-Gipfel, Österreich mache „keinen guten Eindruck“. Nehammer sei der dritte Bundeskanzler in drei Ratssitzungen. Leichtfried wollte wissen, ob sich Nehammer vom Kurs von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) abgrenzen werde, „der mehr dem Spalten als dem Integrieren gedient hat“.

Nehammer entgegnete, Personalwechsel seien in der EU gang und gäbe. Und: Die Regierung habe das klare Bekenntnis, glühender Europäer zu sein, ohne österreichische Interessen aufzugeben.