Impfstoffampullen in Schachtel
AP/Fabrizio Bensch
Impfstoffmangel

Deutschland sucht den Lückenschluss

Die Frage, ob es in Deutschland Anfang kommenden Jahres an CoV-Impfstoff fehlt, hat in Berlin einen Streit über Versorgungslage und Verantwortlichkeiten entfacht. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte am Dienstag mitgeteilt, dass eine Bestandsaufnahme einen Mangel für das erste Quartal 2022 ergeben habe. Die Union warf ihm vor, die Lage wissentlich zu dramatisieren.

„In der Tat, wir haben zu wenig Impfstoff. Das hat viele überrascht – mich auch“, sagte Lauterbach am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“. Nach einer Inventur kamen die Fachleute seines Hauses zum Ergebnis, dass die Reserven und Bestellungen für Jänner bis März nicht ausreichen. Die Menge sei „viel weniger als das, was die Ärztinnen und Ärzte jede Woche abrufen“, so Lauterbach am Mittwochabend im ZDF.

Um den Impfstoff ausliefern zu können, müssten bereits die Reserven geleert werden. „Wir schütten hier alles aus. Denn die Kampagne muss ja laufen so gut, wie sie kann.“ Lauterbach sagte, er arbeite bereits an einer Lösung und hoffe, „in den kommenden Tagen eine positive Botschaft übermitteln“ zu können.

Eine gute Nachricht verkündete er bereits Mittwochnachmittag: Zur Beschaffung zusätzlicher Impfstoffe stellte der Haushaltsausschuss des Bundestags weitere 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung. „Wir reden über 80 Millionen Dosen Biontech und zwölf Millionen Dosen Moderna“, sagte Finanzminister Christian Lindner (FDP). Näheres dazu will die Regierung am Donnerstag bekanntgeben.

Union wittert „durchsichtiges Manöver“

Scharfe Kritik an den Warnungen Lauterbachs kam – noch vor Zusage der zusätzlichen Finanzmittel – von der Union: Ein Blick auf die Fakten zeige, dass das „ein durchsichtiges politisches Manöver ist, um die SPD von der Großen Koalition abzusetzen“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Tino Sorge (CDU). Das verunsichere die Bürgerinnen und Bürger in einer ohnehin schon politisch angespannten Lage zusätzlich und ohne Not.

Deutscher Gesundheitsminister Karl Lauterbach
APA/AFP/John Macdougall
Lauterbach schlug Alarm und erntete dafür Rüffel

„Karl Lauterbach ruft Feuer, um dann Feuerwehr zu spielen – obwohl er weiß, dass es gar nicht brennt“, hieß es in dem Schreiben Sorges. Es stehe genug Impfstoff zur Verfügung, „um den 34 Millionen geimpften Erwachsenen, für die eine Booster-Impfung noch aussteht, kurzfristig ein entsprechendes Angebot machen zu können“. Und auch Erst- und Zweitimpfungen bei gut zwölf Millionen umgeimpften Erwachsenen könnten durchgeführt werden.

Um die Kampagne für die Auffrischungsimpfungen anzuschieben, hatte noch Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU) veranlasst, geplante Lieferungen von Jänner in den Dezember vorzuziehen. Hintergrund sind lokale oder regionale Klagen über zu wenig Vakzin, trotz der nach Bundesangaben großen Mengen ausgelieferten Impfstoffs. Ein Problem war, dass Ärzte vor allem Biontech/Pfizer spritzten und die großen Mengen verfügbaren Moderna-Impfstoffs nicht nutzten.

Ärztevertreter alarmiert

„Etwas sprachlos angesichts der Nachricht“ über einen drohenden Impfstoffmangel hatte sich zuvor der Präsident der deutschen Ärztekammer, Klaus Reinhardt, gezeigt. „Wenn man das hört, bleibt einem der Mund offen stehen“, sagte Reinhardt im Deutschlandfunk. Es sei völlig unvorstellbar, dass die Logistik in einem Land wie Deutschland nicht funktioniere. Reinhardt räumte ein, dass sich die Empfehlungen zu den Impfabständen zuletzt mehrfach verkürzt hätten, doch nach so vielen Monaten der Pandemie müsste man in der Lage sein, genügend Impfstoff auf Vorrat zu haben.

Auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, nannte die Nachricht vom Impfstoffmangel ein „fatales Signal an alle, die gerade mit vollem Einsatz diese Pandemie bekämpfen“. Es sei niemandem zu erklären, dass im Land der Impfstoffentwicklung zu wenig Impfstoff gekauft wurde.

Scholz ruft zu Zuversicht auf

Kanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigte bei seiner ersten Regierungserklärung am Mittwoch das Ziel von bis zu 30 Millionen Erst-, Zweit- und Booster-Impfungen bis Jahresende. „So kriegen wir es hin, die vierte Welle hinter uns zu lassen.“ 19 Millionen Impfungen seien bereits erreicht. „Wir sind auf dem richtigen Weg. Wenn wir mit aller Kraft weitermachen, werden wir die 30 Millionen bis Jahresende auch erreichen“, sagte Scholz.

Er machte den Bürgerinnen und Bürgern Mut, dass die Krise überwunden werden kann: „Ja, es wird wieder besser, ja, wir werden den Kampf gegen diese Pandemie mit der größten Entschlossenheit führen, und ja, wir werden diesen Kampf gewinnen.“ Die Regierung werde jeden nur möglichen Hebel bewegen, „bis wir alle unser früheres Leben und alle unsere Freiheiten zurückbekommen haben“.