Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) während eines Interviews in Brüssel
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EU-Gipfel

Nehammer hofft auf konkrete Ergebnisse

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sieht sich bei seinem ersten EU-Gipfel mit einer breiten Palette heikler Themen konfrontiert – trotzdem hat er sich im Vorfeld optimistisch gegeben. Was die Impfstoffbeschaffung gegen die Coronavirus-Variante Omikron betrifft, sei man auf einem guten Weg, im Bereich der Migration setze man auf Verbündete, im Russland-Konflikt hoffe man auf Dialog.

Die Entwicklung der Coronavirus-Pandemie müsse „extrem sorgsam beobachtet“ werden, sagte Nehammer vor dem Treffen den Staats- und Regierungsspitzen. In Österreich sei der Lockdown für Geimpfte und Genesene zwar beendet, jedoch nur unter strengen Schutzauflagen. Auch im Rat werde es Nehammer zufolge um Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gehen – konkret um die Frage „Wie bereiten wir uns auf die nächste Welle vor?“.

Gerade im Hinblick auf die neue Coronavirus-Variante Omikron betonte der Kanzler einmal mehr die Wichtigkeit von Impfungen. Bei der Impfstoffbestellung sei die EU auf „einem sehr guten Weg, es gibt Hunderte Millionen Dosen, die bestellt worden sind“, sagte Nehammer. Bereits im Frühjahr 2022 sollen Impfdosen zu Verfügung stehen, „die auch die neuen Mutationen abbilden werden“.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) während eines Interviews in Brüssel
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Nehammer muss sich beim EU-Gipfel vor allem Themen aus den Bereichen Pandemie und Migration stellen

Weitere Auflagen für Reisende nicht ausgeschlossen

Angesichts der steigenden Zahl der Neuinfektionen drohen in der EU neue Coronavirus-Auflagen für Reisende. Der EU-Gipfel verständigte sich darauf, dass Beschränkungen das Funktionieren des Binnenmarkts nicht untergraben und die Bewegungsfreiheit innerhalb der und in die EU nicht „unverhältnismäßig“ behindern sollten. Auflagen wie eine Testpflicht auch für geimpfte Reisende schloss der Gipfel aber nicht aus. Länder wie Italien, Griechenland und Irland hatten die Regeln zuletzt bereits wegen der Omikron-Variante verschärft.

Nehammer mit heiklen Themen bei EU-Gipfel

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat sich im Vorfeld seines ersten EU-Gipfels optimistisch gegeben. Was die Impfstoffbeschaffung gegen die Coronavirus-Variante Omikron betrifft, sei man auf einem guten Weg. Im Bereich der Migration setze man auf Verbündete, im Russland-Konflikt hoffe man auf Dialog. Nehammer absolvierte mit einer breiten Palette an heiklen Themen auf der Agenda seine Gipfelpremiere in Brüssel.

In der gemeinsamen Schlussfolgerung findet sich zudem ein Appell, Impfquoten zu erhöhen. So heißt: „Impfungen für alle anzubieten und Booster-Dosen bereitzustellen, ist entscheidend und dringend.“ Eine allgemeine Impfpflicht in der EU zeichnet sich demzufolge aber bisher nicht ab. Derlei Entscheidungen liegen jedoch ohnehin in der Macht der Mitgliedstaaten, wie die Beispiele Österreich und möglicherweise bald auch Deutschland zeigen.

Zur gegenseitigen Anerkennung von Boosterzertifikaten will die EU-Kommission einen Vorschlag präsentieren, wie es in der Erklärung weiter heißt. Da die Länder unterschiedliche Regeln über die Gültigkeit der Impfnachweise haben, wurden vorab seitens der Mitgliedsstaaten einheitliche Systeme gefordert.

Russland-Frage im Zentrum

Neben der Pandemie ist das zweite große Thema des Gipfels Russland und die Frage, wie die EU weiter verfahren soll. Russland hat an der Grenze zur Ukraine in den vergangenen Wochen Zehntausende Soldaten zusammengezogen. Das nährt Befürchtungen im Westen, dass eine Invasion der russischen Armee im Nachbarland bevorstehen könnte. Moskau bestreitet das und wirft der Regierung in Kiew seinerseits Provokationen vor.

„Normandie-Format“

Bestehend aus Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland hatte das „Normandie-Format“ im Jahr 2014 das Abkommen von Minsk erzielt, das an sich den Konflikt im Osten der Ukraine beilegen sollte.

Aus Brüssel heißt es, es gehe nun um Vorbereitungen zu möglichen Sanktionen. Nehammer meinte dazu: „Wir werden ganz klar reagieren, wenn die Russische Föderation Grenzen überschreitet – im wahrsten Sinne des Wortes.“ Davon, die umstrittene Gaspipeline „Nord Stream 2“ in die Sanktionen miteinzubeziehen, halte Nehammer derzeit jedoch nichts, schließlich ginge es um die Energieversorgungssicherheit Europas.

Zweifellos werde die EU die Situation mit Russland aber ganz genau beobachten und die Ukraine nicht im Stich lassen, so der Kanzler. Vor allem Frankreich und Deutschland könnten Russland zeigen, dass Politik nicht mit Gewalt, sondern mit Dialog gemacht werden müsse. Hierbei zeichne sich ab, dass ein Diskussionsprozess im „Normandie-Format“ wieder aufleben werde.

Robert Zikmund (ORF) zu Reisebestimmungen

Robert Zikmund (ORF) ist aus Brüssel zugeschaltet und spricht über die unterschiedlichen Reisebestimmungen innerhalb der EU. In Deutschland gibt es anscheinend sogar unterschiedliche Regelungen innerhalb der Bundesländer.

Treffen mit Scholz und von der Leyen

Doch auch für Österreich sei Deutschland ein „wichtiger Partner“, mit dem man „intensive Beziehungen“ pflege, so Nehammer. Den neuen Bundeskanzler Olaf Scholz habe er am Vortag bereits zu einem kurzen Gespräch getroffen und nach Österreich eingeladen. Auch für Scholz ist es der erste EU-Gipfel in seiner Funktion als Kanzler.

Mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe ebenso bereits ein Treffen stattgefunden: Nehammer sprach von einem „herzlichen und vertrauensvollen“ Gespräch. Beim Thema der Migration sehe er in von der Leyen eine „Verbündete“ – vor allem beim „Schwerpunkt Rückführungen“ von Geflüchteten. Nehammer selbst fordert schnelle, effiziente Asylverfahren und einen effizienten Außengrenzschutz.

Weitere Gipfelthemen im Bereich der Migration sind der Belarus-Konflikt, die Frage über die Finanzierung von Mauern an den Außengrenzen der EU sowie im weitesten Sinn auch das Schengener Abkommen sowie die EU-Verteidigungspolitik. Es wird erwartet, dass sich Nehammer aufgrund seiner politischen Vergangenheit in diesem Bereich besonders einbringen werde.

Österreich gegen „grünes“ Label für Atomkraft

Auch das Thema Energiepreise steht beim Gipfel wieder weit oben auf der Tagesordnung. Unter anderem werden die Staats- und Regierungschefs ein neues Gesetzespaket der EU-Kommission besprechen, das gemeinsame Einkäufe und die Lagerung von Gas ermöglichen würde.

Spanien und Frankreich wollen angesichts der hohen Energiepreise den europäischen Strommarkt reformieren, damit zum Beispiel Kunden von erneuerbarer Energie weniger zahlen. Deutschland und andere sehen einen solchen Markteingriff kritisch.

Was die Taxonomie betrifft, also die Frage, welche Finanzprodukte als nachhaltig gelistet werden, sprach sich Nehammer dezidiert gegen ein „grünes“ Label für Atomkraft aus – im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich und Polen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Luxemburgs Premier Xavier Bettel
Reuters/Olivier Hoslet
Nehammer sprach von einer „herzlichen Aufnahme“ in den Kreis der Staats- und Regierungsspitzen

Rendi-Wagner fordert von Nehammer mehr Engagement

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner forderte unterdessen von Nehammer mehr europapolitisches Engagement. Er müsse „sich wesentlich stärker als sein Vorgänger (Sebastian Kurz, Anm.) für europäische Werte“ einsetzen, „um einer Spaltung entgegenzutreten“, so Rendi-Wagner am Donnerstag am Rande eines Treffens der europäischen Sozialdemokraten vor dem EU-Gipfel in Brüssel, wo sie auch mit ihrem Parteikollegen und neuem deutschen Kanzler Scholz zusammentraf.

Es sei heute ein „wichtiges Treffen“, so Rendi-Wagner. Seit dem letzten Treffen vor zwei Jahren sei viel in Europa passiert, die politische Landkarte habe sich verändert. Menschen hätten nach einem Jahrzehnt voller Krisen den Wunsch nach sozialer Sicherheit und Stabilität, sagte die SPÖ-Vorsitzende, und betonte: Die Sozialdemokratie in Europa befinde sich im „Aufwind“.