Adam Driver als Maurizio Gucci und Lady Gaga als Patrizia Reggiani in „House of Gucci“
Universal Pictures International
„House of Gucci“

Mondäne Modewelt als Groteske

Sie waren das schönste Paar, und das Ende war der größte Skandal: Als Maurizio Gucci 1995 ermordet wurde, war nicht nur die italienische Modewelt in Aufruhr. Schuldig gesprochen wurde seine Ex-Frau Patrizia Reggiani. Als „House of Gucci“ kommt die Affäre ab Freitag in die heimischen Kinos – und Regisseur Ridley Scott spart dabei nicht mit grotesken Stil- und Stimmungswechseln.

Es war der 27. März 1995, als Maurizio Gucci, Erbe des noblen Modehauses und Enkel des Gründers Guccio Gucci, wie jeden Morgen die Treppen des Bürohauses in der Via Palestro in Mailand hinaufstieg. Dann trafen ihn vier Schüsse. Gucci brach tot zusammen. War es ein geschäftlicher Konkurrent? Hatte Gucci sich mit der Mafia eingelassen? Drei Jahre später titelte die „New York Times“: „Die Schwarze Witwe steht vor Gericht“ – Maurizios Ex-Frau Reggiani hatte den Mord in Auftrag gegeben. „Ich hasste Maurizio nicht, ich habe ihn nie gehasst. Es war Ärger, er hat mich geärgert“, erklärte sie laut der „Süddeutschen Zeitung“ im vergangen Frühjahr ihr damaliges Motiv.

So tragisch der Fall für die Familie war, für die Medien war er ein gefundenes Fressen. Die Gucci-Erben waren schon lange durch unkluge wirtschaftliche Entscheidungen, familiären Unfrieden und Machtbesessenheit aufgefallen. Bereits die Söhne des Gründers, Rodolfo und Aldo, hatten sich zerstritten, eine Generation später war zwischen Rodolfos Sohn Maurizio und seinem Cousin Paolo ohnehin nichts mehr zu machen. Und dass Maurizio in den 70er Jahren Patrizia geheiratet hatte, ein junges Mädchen aus einfachen Verhältnissen, hatte die Beziehung zu seinem Vater gänzlich zerstört.

Was sind schon Fakten

Diese ungesunde Gemengelage aus Designerkleidung und schmutziger Wäsche wurde im Kielwasser des Mordfalles gründlich aufgearbeitet, in zahllosen Reportagen, Dokumentarfilmen und Büchern, unter anderem Sara Gay Fordens Bestseller „Gucci: Mode, Mord und Business“ (2001). Nun, über 25 Jahre später, hat sich Hollywood des Skandals angenommen: „House of Gucci“ ist Ridley Scotts Interpretation der Geschichte, auf Basis von Fordens Buch. Mehr als zehn Jahre lang bemühte er sich um die Umsetzung, gegen den dezidierten Willen der Familie Gucci.

Die Besetzung könnte kaum prominenter sein: Lady Gaga spielt Patrizia als junge Frau, die für ihren sozialen Aufstieg alles zu tun bereit ist. Sie verliebt sich auf einer Party erst dann in den jungen Erben Maurizio, als sie seinen prominenten Nachnamen gehört hat. Er wiederum wird gespielt von Adam Driver, der mit seinem dunklen Schopf jederzeit als Mailänder Modezar durchgeht, hier ist er eine Mischung aus schüchternem Jusstudenten und schlaksigem Upper-Class-Sohn.

Jared Leto als Paolo Gucci, Florence Andrews als Jenny Gucci, Adam Driver als Maurizio Gucci, Lady Gaga als Patrizia Reggiani und Al Pacino als Aldo Gucci
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Benvenuto in famiglia: Onkel Aldo (Al Pacino, ganz rechts) sieht Potenzial in der jungen Patrizia (Lady Gaga). Ganz links: Cousin Paolo (Jared Leto)

Der Film vollzieht immer wieder radikale Stimmungswandel, die er sich selbst nicht wirklich zu glauben scheint. So ganz stimmt es etwa nicht, Patrizia als ambitionierte Blume aus dem Gemeindebau zu charakterisieren, die sich zwischen Lastwagenfahrern wohler fühlt als in den noblen Stammrestaurants ihrer Schwiegerfamilie. Aber was sind schon Fakten, wenn die Emotionen stimmen: Tatsächlich dürfte auch der echte Maurizio die junge Frau zunächst als warmherzige Fluchthelferin aus seiner lieblosen Familie gesehen haben.

Falsche Handtaschen, echte Gefühle

Maurizios Vater Rodolfo (Jeremy Irons) ist im Film ein vampirhaft im Halbdunkel agierender Greis, der seiner verstorbenen Frau nachtrauert und ansonsten mit der Welt abgeschlossen hat. Sein Bruder Aldo Gucci hingegen ist der wirtschaftliche Motor des Familienunternehmens, Al Pacino spielt ihn als hemdsärmelig-mafiösen Unternehmer, der erst nach und nach damit herausrückt, den Großteil seines Vermögens mit gefälschten Gucci-Handtaschen verdient zu haben.

Und dann ist da noch Paolo (Jared Leto), Aldos unfähiger Sohn, der gerne Mode designen will, dessen Entwürfe aber zum Davonrennen sind. Als Patrizia in diese Familie einmarschiert, ist das ein Schock. Nur Aldo erkennt die Chance, die die junge Frau mit dem untrüglichen Geschäftssinn darstellt, und will sie ins Unternehmen holen.

Doch dann beginnt Maurizio, anderen Frauen nachzuschauen, und will Patrizia auch bei geschäftlichen Entscheidungen nicht mehr dabeihaben. Sie fühlt sich ausgeschlossen, ihre einzige Vertraute ist eine Wahrsagerin (Salma Hayek) – eine Freundschaft, die eine fatale Wendung nehmen wird.

„Ein Espresso, aber pronto!“

„House of Gucci“ wirkt, als hätte Scott einmal ausprobieren wollen, wie es sich anfühlt, einen Martin-Scorsese-Film zu inszenieren. Doch Scott ist eben nicht Scorsese, der Film kein Krimi, sondern eine Gesellschaftsgroteske. Statt eines alles überspannenden Erzählbogens wirkt der Film wie eine Modeschau oder noch eher wie eine Nummernrevue, mit Sequenzen in teils radikal unterschiedlichen Stilen. Vom Mafia-Drama bis zur Kaffeekapselwerbung ist jedes Italien-Klischee dabei, unterstützt durch die Tatsache, dass ununterbrochen jemand nach Espresso verlangt.

Der Stoff franst in unterhaltsam-absurdes Chaos aus, bei dem jeder Hauch von Seriosität vor allem in der Originalversion an den unterschiedlichen falschen italienischen Akzenten der allesamt amerikanischen Mitwirkenden scheitert. Ein wenig ist es, als würden sie alle in unterschiedlichen Filmen mitspielen. Speziell Leto, in einer entstellenden Gummimaske und mit bunten Karnevalsoutfits, ist wie in einem völlig anderen Genre unterwegs, als würde er seine Rolle des Joker wiederaufleben lassen wollen, nur dass er hier Verbrechen an gutem Geschmack begeht.

Lady Gaga als Patrizia Reggiani
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Die schwarze Witwe: Maurizio hätte Patrizia (Lady Gaga) besser nicht verärgern sollen

Das alles wäre ein großer, trashiger Spaß, wären dazwischen nicht immer wieder allzu lange Durststrecken und würde nicht die Belohnung am Schluss vorenthalten. Wie die schwarze Witwe Reggiani am Ende erwischt wurde, wird enttäuschend knapp abgehandelt. Immerhin ist die echte Reggiani nach 20 Jahren Gefängnis inzwischen wieder frei auf Mailands Straßen. Mit ihrer Besetzung durch Lady Gaga dürfte sie zufrieden sein: „Es ärgert mich nur, dass sie nicht zu mir gekommen ist und mich gefragt hat“, kommentierte die 72-Jährige im Frühjahr gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur ANSA.