Bundskanzler Karl Nehammer
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Atomkraft

„Wahrscheinlich verlieren wir den Krieg“

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat nach seinem EU-Gipfel-Debüt Bilanz gezogen. Der Gipfel sei „intensiv und sehr gut“ gewesen, so der Kanzler. Und genauso habe man am Donnerstag in Brüssel auch diskutiert. Besonders intensiv fiel laut Einschätzung Nehammers die Diskussion über die Taxonomieverordnung aus, also über die Aufnahme der Kernenergie in die EU-Richtlinien für nachhaltige Finanzinvestments. „Wahrscheinlich verlieren wir den Krieg“, sagte der Kanzler am Freitag kurz nach Mitternacht in Sachen Atomkraft.

Die Mehrheit der EU-Staaten sei ja pro Atomenergie, und da sei es „total naiv zu sagen: ’Österreich und Luxemburg halten alles auf ’“, doch der Diskurs lohne sich trotzdem. Frankreich habe sich dabei zurückhaltend verhalten, während andere Staaten ihre Positionen klar bezogen hätten. Österreich habe indes klargemacht, dass Atomstrom auch als alternative Energiequelle keine Zukunft habe. Letztlich habe man sich „darauf verständigt, dass man sich nicht verständigt hat“.

Der neue deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bekräftigten indes nach dem EU-Gipfel in der Nacht auf Freitag, dass sie eng mit der EU-Kommission über die Frage verhandeln, welche Energieformen künftig in der EU als nachhaltig eingestuft werden.

EU: Emotionale Debatte über Atomenergie

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat nach seinem EU-Gipfel-Debüt Bilanz gezogen. Neben vielen Übereinstimmungen innerhalb der Mitgliedsstaaten gab es auch viel Diskussionsbedarf. Besonders intensiv fiel laut Einschätzung Nehammers die Diskussion über die Taxonomieverordnung aus, also über die Aufnahme der Kernenergie in die EU-Richtlinien für nachhaltige Finanzinvestments.

Scholz sieht Tauziehen „völlig überbewertet“

Angesichts der Atomkraftnutzung in Frankreich betonten beide, dass einzelne EU-Länder verschiedene Wege gingen, um klimaneutral zu werden. Es gehe auch gar nicht darum, Atomenergie bei der Taxonomie als gleichwertig zu erneuerbaren Energien einzustufen, sagte Macron. Atomenergie solle vielmehr als nicht fossile Energie eingestuft werden. Mit der Taxonomie sollen Technologien eine Einstufung als nachhaltig und unschädlich erhalten, damit die Finanzströme verstärkt in grüne Technologien geleitet werden.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz
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Der französische Präsident Emmanuel Macron und der neue deutsche Kanzler Olaf Scholz

Scholz sagte, dass der Streit über die Taxonomie „völlig überbewertet“ werde. Diese Einstufung sei eben wichtig für Finanzanleger. Aber am Ende entschieden die Länder, welchen Weg sie bei der Energieerzeugung gehen wollten. „Die Taxonomie ist ein kleines Thema in einer ganz großen Frage“, fügte er hinzu. Frankreich wünscht sich, dass die EU-Kommission Atomenergie als nachhaltig einstuft. Deutschland hatte das bisher abgelehnt, seinerseits aber auf die Einstufung von Erdgas als nachhaltig gepocht. Besonders die Grünen sind gegen ein nachhaltiges Label für Nuklearenergie.

Nehammer zieht weiter Bilanz

Laut Nehammer gab es ansonsten viele Punkte, wo „Harmonie und große Einigkeit“ geherrscht hätten. Beim besonders akuten Tagesordnungspunkt Coronavirus-Pandemie etwa sei die „zentrale Aufgabe“ Boostern außer Frage gestanden, insbesondere die Notwendigkeit von ausreichend modifiziertem Impfstoff, um Mutationen – Stichwort Omikron – abzudecken. Es habe auch Einigkeit über eine weitere wichtige Maßnahme geherrscht, nämlich dass es die Gültigkeitsdauer des „Grünen Passes“ wie von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angedacht nach der „Sechs plus drei Monate“-Regel zu begrenzen gelte.

Die „Sechs plus drei Monate“-Regel von der Leyens sieht vor, dass Auffrischungsimpfungen spätestens sechs Monate nach der vollständigen Impfung empfohlen werden und die Bescheinigung darüber hinaus noch drei Monate lang gültig ist.

Was die Impfungen betrifft, habe Österreich stark aufgeholt und gehöre beim dritten Stich inzwischen zu den führenden Nationen innerhalb der EU. Er danke der EU-Kommission dafür, dass die EU inzwischen in der Lage sei, 300 Millionen Impfdosen pro Monat zu produzieren: „Wenn Sie sich an die Diskussion vor einem Jahr zurückerinnern, da waren wir bei der Stufe null“, hob Nehammer hervor.

„Meinungswandel“ bei Rückführungen

Ebenso Einigkeit ortete Nehammer im Punkt Migration, vor allem bei den Rückführungen. In diesem Punkt gebe es einen Meinungswandel, der wesentlich sei, so der Bundeskanzler weiter. Bei der Migration, einem sonst oft „emotionalen und kontroversiellen Thema“, sei im Rat eine klare Meinung vertreten gewesen. „Es ist keine Überschrift. Rückführungen heißt auch, alle Möglichkeiten bei den Herkunftsländern zu nutzen.“ Das bedeute: Wenn es Widerstand gegen Rückführungsabkommen gebe und nicht kooperiert werde, „dann werden vonseiten der EU auch Handelsübereinkommen und Entwicklungszusammenarbeit in den Fokus genommen“. Zusammenfassend, so Nehammer, sei die Bilanz auf dem letzten EU-Gipfel 2021 für Österreich insgesamt eine gute gewesen.