Britischer Brexit-Minister David Frost
Reuters/John Sibley
Revolte gegen Johnson

Brexit-Minister Frost tritt zurück

Der britische Premierminister Boris Johnson gerät zunehmend unter Druck. Nachdem er neue CoV-Regeln nur mit Hilfe der Opposition durchs Unterhaus gebracht hatte, tritt nun sein Brexit-Minister David Frost zurück. Grund soll dessen Bedenken über den Kurs von Johnson sein. Darüber hinaus musste Johnson diese Woche auch eine Wahlschlappe einstecken.

Johnsons Büro veröffentlichte Samstagnacht Frosts Rücktrittsschreiben. Darin erklärte der Minister, er werde mit sofortiger Wirkung zurücktreten, da „der Brexit jetzt sicher ist“. Er schrieb jedoch weiter, er habe Johnson gegenüber seine „Bedenken über die derzeitige Richtung der Reise“ deutlich gemacht.

Er hoffe, dass „wir so schnell wie möglich dorthin gelangen, wo wir hinmüssen“ – zu einer „wenig regulierten, niedrig besteuerten, unternehmerischen Wirtschaft“, die an der „Spitze der modernen Wissenschaft und des wirtschaftlichen Wandels steht“, erläuterte Frost in seinem Abschiedsschreiben.

„Ernüchterung“ über Johnsons Kurs

Die Regierung bestätigte damit einen Bericht der Wochenzeitung „The Mail on Sunday“. Diese schrieb, der für die Beziehungen zur EU zuständige Minister habe aus „Ernüchterung“ über den Kurs der Regierung seinen Rücktritt bereits vor einer Woche eingereicht. Johnson habe ihn aber dazu bewegen können, noch bis zum Jahresanfang 2022 im Amt zu bleiben.

Eine namentlich nicht genannte Quelle sagte der „Mail on Sunday“, Frost lehne unter anderem die Einführung der besonders umstrittenen 3-G-Nachweise (geimpft, genesen oder getestet) für Clubs und Großveranstaltungen ab. Auch die höheren Ausgaben für den Weg zur Klimaneutralität sowie Steuererhöhungen sollen Frost ein Dorn im Auge sein.

Frost, der auch Mitglied im britischen Oberhaus ist, hatte mit seinem französischen Gegenüber Michel Barnier, der die EU vertrat, im vergangenen Jahr in letzter Minute den Brexit-Handelspakt ausgehandelt. Dieser ermöglicht auch nach dem Austritt des Landes aus der Europäischen Union weitgehend zollfreien Handel zwischen Großbritannien und der EU. Allerdings gibt es weiterhin viele Hürden, Probleme und Streitpunkte.

Widerstand bei Abstimmungen über 3-G-Regeln

Der Rücktritt Frosts ist für den politisch angeschlagenen Johnson ein weiterer Rückschlag – und der Höhepunkt einer verheerenden Woche für den Premier. Gegen großen Widerstand aus den eigenen Reihen und nur mit den Stimmen der Opposition hatte Johnson am Dienstag seine Pläne für 3-G-Regeln in Discos und bei Großevents durchs Unterhaus gebracht. 99 Abgeordnete seiner Konservativen stimmten dagegen. Johnson hat eine Mehrheit von 79 Sitzen.

Britischer Premier Boris Johnson im Parlament
Reuters/Uk Parliament/Jessica Taylor
Johnson sah sich am Dienstag im Parlament mit einer regelrechten Revolte in den eigenen Reihen konfrontiert

Der Premier habe nun 99 Probleme, schrieb das Onlineportal Politico angesichts der bisher größten Tory-Rebellion gegen ihn. Von einem „Schmerzensschrei“ der Konservativen war die Rede. Johnson versuchte am Mittwoch die parteiinterne Revolte herunterzuspielen: „Ich respektiere die berechtigten Ängste der Kollegen“, sagte der Premier mit Blick auf die Einschränkungen persönlicher Freiheiten. Der Labour Party warf er politische Spielchen vor: „Wir liefern, sie beschweren sich.“

Tory-Abgeordnete verschiedener Strömungen lehnen neue CoV-Regeln strikt ab. Sie befürchten erhebliche Schäden für die Wirtschaft, wenn Zutritt zu Veranstaltungen nur mit dem Nachweis einer Impfung, einer Genesung oder eines negativen Tests möglich ist. Selbst ein Besuch Johnsons beim einflussreichen 1922-Komitee konservativer Hinterbänkler bewirkte nichts. 99 Abweichler – das waren mehr, als selbst führende Rebellen erwartet hatten.

Lockdown-Partys in Downing Street

In Bedrängnis ist Johnson aber auch wegen mehrerer Weihnachtsfeiern während des Lockdowns vor einem Jahr in der Downing Street. An einer soll Johnson nach Berichten der Zeitungen „The Guardian“ und „The Independent“ selbst teilgenommen haben. Der frühere Bürgermeisterkandidat für London, Shaun Bailey, trat von seinen öffentlichen Aufgaben zurück, nachdem die Zeitung „Daily Mirror“ ein Foto veröffentlicht hatte, das ihn und zahlreiche Mitarbeiter im Dezember 2020 vergnügt und ohne Maske oder Abstand bei einer Weihnachtsfeier zeigt.

Die hochrangige Beamtin Sue Gray soll nun aufklären, wer wann wo und mit wem gefeiert hat. „Sie wird die Fakten ermitteln und ihre Ergebnisse dem Premierminister präsentieren“, hieß es aus der Downing Street. Wann das passieren soll, ist unklar. Erst am Freitag hatte der zuvor damit beauftragte Beamte Simon Case den Job abgeben müssen, weil er selbst in seiner Abteilung Feiern geduldet haben soll.

Schlappe bei Stimmungstest

Hinzu kam eine Schlappe bei einer Nachwahl für ein Parlamentsmandat in der westenglischen Tory-Hochburg North Shropshire am Donnerstag. Der bisherige Abgeordnete Owen Paterson, ein Parteifreund Johnsons, musste nach gut 24 Jahren im Parlament wegen seiner Verwicklung in einen Lobbyskandal zurücktreten. Das Mandat eroberte die Liberaldemokratin Helen Morgan.

Morgan erklärte, die Wähler hätten „im Namen des britischen Volks gesprochen“ und eine klare Botschaft an Johnson gerichtet: „Die Party ist vorbei“, sagte sie nach ihrem Wahltriumph. „Ihre Regierung, die von Lügen und Prahlereien geleitet wird, wird nun die Rechnung begleichen müssen.“ Johnson sagte, er „übernehme persönlich die Verantwortung“. Er hatte sich Anfang November in die Affäre eingeschaltet und versucht, ein Disziplinarverfahren gegen den Tory-Abgeordneten zu stoppen – musste dann aber angesichts der Empörung in den eigenen Reihen einen Rückzieher machen.

Experten halten es für möglich, dass die Torys eine parteiinterne Abstimmung über die Absetzung ihres Parteivorsitzenden ansetzen könnten. Die konservative Partei habe den Ruf, nicht an einzelnen Politikern festzuhalten, sagte der langjährige Abgeordnete Roger Gale zu BBC Radio. „Wenn der Premierminister versagt, muss der Premierminister gehen.“