Musikerin Patti Smith 1976
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Patti Smith

Die „Godmother of Punk“ ist 75

Musik sollte anfangs lediglich Aufmerksamkeit auf ihre Gedichte lenken – doch es kam anders: Ihre elektrisierenden Auftritte in New Yorks Szeneclubs der 1970er Jahre machten Patti Smith zur „Godmother of Punk“, und mit „Because The Night“ landete sie einen Welthit. Heute scheint Smith präsenter denn je: Sie tourt mit ihrer Band, schreibt einen Bestseller nach dem anderen und macht sogar aus ihrem Instagram-Profil Kunst. Am Donnerstag feiert Smith ihren 75. Geburtstag.

„This is“ („Das ist“) – mit diesen zwei Wörtern beginnt jeder Text, den Patti Smith zu ihren Fotos auf Instagram postet. „Das ist“ etwa ein Porträt ihres ehemaligen Lebensgefährten, des verstorbenen Fotografen Robert Mapplethorpe, an dessen Geburtstag Smith erinnert. „Das ist“ ein Buch, das Smith gerade liest, ein Selfie am Grab der Physikerin Marie Curie und eine handgeschriebene Notiz neben einem Häferl Kaffee. Und „das ist“ auch ein Foto der Sängerin und Autorin in jungen Jahren auf einer Toilette: „This is when you gotta go.“

So wie sie vor über fünfzig Jahren als aufstrebende Künstlerin in einem kleinen, renovierungsbedürftigen Zimmer im legendären Chelsea Hotel Bilder malte und Gedichte schrieb, so schafft Smith heute ein täglich wachsendes Kunstwerk aus Fotos und Texten im Netz. „Dass meine Gedanken zu Andrei Tarkowski und Antonin Artaud und andere Eindrücke, die ich poste, die Menschen zu beruhigen scheinen und ihnen Trost spenden“, gefalle ihr, sagte die Sängerin und Autorin unlängst in einem Interview.

„Alles wartete auf mich“

Smith wurde am 30. Dezember 1946 in Chicago geboren. Aufgewachsen ist sie mit ihren Eltern und drei Geschwistern in New Jersey. Viel Geld hatte die Familie nicht, Bücher habe es aber immer gegeben. Jedes Jahr zu Weihnachten etwa, wie Smith vor wenigen Tagen den Abonnentinnen und Abonnenten ihres Newsletters in einer Audiobotschaft erzählte. Mit Anfang 20 ging Smith – nachdem sie nach einer ungeplanten Schwangerschaft das Kind zur Adoption freigab – nach New York, um ein Leben als Künstlerin zu führen.

Patti Smith
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Auch in ihren Siebzigern ist Smith viel auf Tour – und immer wieder zu Gast in der Wiener Arena

„Niemand erwartete mich. Alles wartete auf mich“, schreibt Smith in ihrem 2010 erschienen autobiografischen Bestseller „Just Kids“ über ihre Ankunft in New York. Bald lernt sie ihre erste große Liebe kennen: Robert Mapplethorpe, der später als Fotograf internationale Anerkennung fand. Als dieser sich Männern zuwendet, trennen sich die beiden. Ihre Freundschaft aber hält, bis Mapplethorpe mit nur 42 Jahren an den Folgen einer Aids-Erkrankung 1989 stirbt. Als „artist of my life“ bezeichnet Smith ihn später.

Durchbruch mit dem Erfolgsalbum „Horses“

Ende der 1960er Jahre, als Anfang-zwanzig-Jährige, halten Mapplethorpe und Smith sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und tauchen in die New Yorker Kunstszene rund um Allen Ginsberg und Andy Warhol ein. Smith versucht, sich als Poetin einen Namen zu machen. Als 1971 ihre erste Lesung in einer Kirche in Manhattan stattfinden soll, „wollte sie etwas machen, das nicht langweilig ist“, wie sie vergangenes Jahr im Interview mit dem „Guardian“ erzählte. Und so bat sie Lenny Kaye, der später Gitarrist ihrer Band wurde, sie zu begleiten, während sie ihre Gedichte halb las und halb sang.

Patti Smith Band (v.l.n.r.) Lenny Kaye, Patti Smith, Bruce Brody, Ivan Kral und Jay Dee Daugherty
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Die Patti Smith Band in den 1980ern: Lenny Kaye, Patti Smith, Bruce Brody, Ivan Kral und Jay Dee Daugherty

Die Show kam gut an, und Produzent Sandy Pearlman schlug Smith vor, in einer Rockband zu singen. Mit ihrer Band, der Patti Smith Group, trat sie fortan im legendären New Yorker Club CBGB auf – und wurde als „Godmother of Punk“ bekannt. Der Durchbruch gelang Smith 1975 mit ihrem Debütalbum „Horses“.

Gecovert von The Mission bis U2

Das von The-Velvet-Underground-Gründungsmitglied John Cale produzierte Album gilt als eines der einflussreichsten Rockalben der Musikgeschichte. Das „Rolling Stone“-Magazin listete „Horses“ 2020 auf Platz 26 und der „New Musical Express“ 2013 auf Platz zwölf der 500 besten Alben aller Zeiten. Als Basis für die Lieder des Albums dienten Smiths Gedichte. Eines ihrer größten Vorbilder war seit ihrer Jugend der französische Lyriker Arthur Rimbaud.

Cover von „Horses“
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Das Porträt auf dem Cover von „Horses“ fotografierte Robert Mapplethorpe

1978 veröffentlichte Smith das Album „Easter“. Die Single-Auskoppelung „Because the Night“, die Smith mit Bruce Springsteen schrieb, erreichte Platz 13 in den Billboard-Hot-100-Charts. Ein Jahr später erschien das Album „Wave“, deren Single-Auskopplung „Dancing Barefoot“ von The Mission, Pearl Jam, den Simple Minds, U2 und anderen gecovert wurde.

In den 1980ern wurde es stiller um Smith. Sie lebte mit ihrem Mann Fred „Sonic“ Smith, Gitarrist der Detroiter Band MC5, und den zwei gemeinsamen Kindern Jackson und Jesse zurückgezogen in Detroit und arbeitete als Buchhändlerin. 1994 starb Fred „Sonic“ Smith mit nur 45 Jahren an Herzversagen.

Von der Kultfigur zur Kulturikone

Dass Smith heute präsenter denn je scheint, hat nicht zuletzt mit ihrer Arbeit als Autorin zu tun. Trotz ihrer Erfolge sah sich Smith nie als Musikerin. Bereits 1972 erschien „Seventh Heaven“, ein Gedichtband. Doch erst im vergangenen Jahrzehnt machte Smith sich einen Namen als international erfolgreiche Autorin. Für „Just Kids“ erhielt sie 2010 den National Book Award, einen der renommiertesten Literaturpreise der USA.

Bücher von Patti Smith
ORF.at
Patti Smiths Bücher sind in der deutschen Übersetzung bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Auch das 2015 erschienene „M Train“ hat autobiografische Züge – im Unterschied zu „Just Kids“, in dem Smith den Fokus auf ihre Beziehung zu Mapplethorpe legt, reihen sich in „M Train“ assoziativ fließende Gedanken, Beobachtungen und Erinnerungen aneinander. Schlag auf Schlag folgten 2017 „Hingabe“ und 2019 „Im Jahr des Affen“. Nicht zuletzt ihre Bücher hätten den Blick auf Smith verändert, sagte der Verlagsmanager Ira Silverberg vor einigen Jahren in der „New York Times“: „Just Kids“ habe Smith viel stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gestellt. Zuvor sei sie eine Kultfigur gewesen, „jetzt ist sie eine Kulturikone“.

Konzert in Wiener Arena geplant

Auch Smiths Fotografien werden international in Ausstellungen gezeigt. „Ich habe immer fotografiert, wirklich intensiv wurde es aber nach dem Tod meines Mannes Ende 1994. Er war die Liebe meines Lebens, und ich war am Boden zerstört“, erzählte Smith vor fünf Jahren im Rahmen der Viennale in Wien. „Ich wollte etwas machen, konnte aber nicht schreiben, nicht auftreten, nicht zeichnen. Ich habe mich ganz zurückgezogen. Und dann fand ich seine alte Polaroidkamera und machte eines Tages ein Bild. Es machte mich glücklich. Ich habe dann immer mehr Fotos gemacht: Ich hielt jene Dinge fest, die mich fasziniert haben. Etwa die Utensilien von Künstlern, zum Beispiel Hermann Hesses Schreibmaschine.“

In den späten 1990er Jahren kehrte Smith nach jahrelanger Auszeit wieder auf die Bühne zurück. Dort wollte sie, bei einem Konzert nahe New York, auch den Abend ihres 75. Geburtstages verbringen. Aufgrund der Pandemie wurde die Show aber vor wenigen Tagen ins Frühjahr verschoben. Ein Konzert in der Wiener Arena ist für kommenden Sommer geplant.