Das Kapitol in Washington
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Reformpaket

US-Demokraten zwischen den Fronten

Nach der internen Absage für das billionenschwere Klima- und Sozialpaket von US-Präsident Joe Biden steht für die US-Demokraten viel auf dem Spiel. Vor der im Jänner geplanten Abstimmung über ein Kernstück von Bidens Politik im US-Senat verhärten sich in der Partei die Fronten, Biden gerät in die Zwickmühle. Zudem stehen einige personelle Veränderungen an.

Mit seinem Nein für das lange verhandelte, rund zwei Billionen US-Dollar schwere Reformpaket, ausgerechnet im konservativen TV-Sender Fox vorgebracht, könnte der demokratische Senator Joe Manchin auch in der eigenen Partei den Bogen überspannt haben. Erste Reaktionen nach dem Interview am vergangenen Wochenende waren von großen Emotionen geprägt und blieben es auch über die Tage danach.

Der linke Flügel der US-Demokraten wirft Manchin schlicht Verrat vor. Selbst Biden-Sprecherin Jen Psaki reagierte zunächst schroff auf die Ankündigung Manchins, zu große Bedenken gegen das Paket zu haben, und hielt ihm vor, seine Verpflichtungen nicht einzuhalten. Später ruderte sie zurück und sagte, Biden und Manchin hätten dieselben Werte – dem stimmen nur wenige Demokraten und Demokratinnen zu.

Senator Joe Manchin
AP/Alex Brandon
Mit seinem Nein verärgerte Manchin viele Demokratinnen und Demokraten

Den Demokraten stößt sauer auf, dass Manchin in den vergangenen Monaten bereits zahlreiche Zugeständnisse auf seiner Habenseite verbuchen konnte, wie den Split der verschiedenen Gesetzesvorhaben in Pakete, während die Kernstücke von Bidens Politik verwässert wurden. Sie werfen Manchin auch vor, dass er sich eigentlich für die in seinem Bundesstaat stark vertretene Kohleindustrie einsetzt, statt, wie bei Fox behauptet, eine steigende Inflation zu fürchten.

Auftritt bei Fox als „feindlicher Akt“

Dass Manchin im TV und noch dazu bei dem konservativen und trumpfreundlichen Sender Fox seine Ablehnung ausgesprochen und sich damit quasi auf die Seite der Republikaner geschlagen hat, das werde ihm schließlich als feindlicher Akt ausgelegt, so die „Washington Post“. Viele Linke in der Partei hätten Bidens Infrastrukturpaket unterstützt, in der Annahme, dass Manchin im Gegenzug das Reformpaket mitträgt – sie fühlen sich nun hintergangen.

Manchin habe Familien in den ganzen USA „betrogen“, sagte etwa die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Der Senator sollte öffentlich abstimmen und müsse dann den Menschen in seinem Bundesstaat West Virgina viel erklären, feixte der linke Bernie Sanders. Dass der linke Flügel der Partei nun einknickt, sei unwahrscheinlich, so die „Washington Post“, vielmehr würden gerade sie den Status quo mit „Sexismus, Rassismus und Klassismus“ verändern wollen, wird ein Demokrat zitiert.

Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez
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Manchin habe Familien in den USA betrogen, sagte Ocasio-Cortez

Zudem ist das Vertrauen in Manchin unter den Nullpunkt gesunken – zumindest auf Seite der Demokraten. Der Minderheitsführer im Senat, der Republikaner Mitch McConnell, bot Manchin unterdessen den Übertritt zu den Republikanern an. Das wäre ein doppelter Schlag für die demokratische Partei.

Weißes Haus setzt auf Optimismus

Das Weiße Haus versuchte unterdessen hartnäckig, Optimismus zu verbreiten, dass das Paket bei der im Jänner geplanten Abstimmung im Senat dennoch die nötigen Stimmen bekommen könnte. Der Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, erklärte am Montag, jedes Mitglied des Senats werde die Möglichkeit haben, die Meinung zu äußern – und zwar nicht nur im TV.

Hinter den Kulissen gehen die Verhandlungen für einen Kompromiss laut US-Medien weiter, auch Gespräche mit Manchin gibt es. Da die Demokraten im US-Senat nur eine hauchdünne Mehrheit haben und die Republikaner das Paket ablehnen, ist der Präsident auf die Stimme Manchins angewiesen.

Biden selbst ist dabei in der Zwickmühle: Um Manchins Stimme doch noch zu bekommen, müsste er ihm weiter entgegenkommen und riskiert dabei, große, progressive und junge Teile der Partei nachhaltig zu verärgern. Ohne seine Stimme droht Biden hingegen eine schwere Niederlage bei der Abstimmung im Senat – ein denkbares schlechtes Zeichen zu Beginn des wichtigen Wahljahrs 2022. Schon jetzt sind die Zustimmungswerte für Biden niedrig, sie könnten noch weiter sinken.

Zahlreiche Demokraten ziehen sich aus Politik zurück

Zudem zeichnet sich ein rapider Wandel und Wechsel bei den politischen Vertretern und Vertreterinnen ab. Am Montag gab etwa Stephanie Murphy, die die Demokraten im US-Repräsentantenhaus Florida vertritt, bekannt, dass sie keine vierte Amtsperiode anstrebt. Die Politikerin konnte 2017 den Sitz vom langjährigen republikanischen Amtsinhaber John Mica erobern. Mit ihr kündigten laut CNN bereits 22 Abgeordnete an, nicht mehr antreten zu wollen. Bei den Republikanern sind es bisher elf.

Abgeordnete Stephanie Murphy
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Murphy galt als Zukunftshoffnung – nun kehrt sie der Politik den Rücken

Vor zwei Jahren war es genau umgekehrt, damals hatten neun Demokraten und 24 Republikaner ihren Rücktritt bzw. Auslaufen der politischen Karriere angekündigt. Es gehe aber nicht um die schiere Zahl, so CNN, vielmehr sollte die Partei beunruhigen, wer die Politik und vor allem die demokratische Partei hinter sich lässt. Murphy etwa ist die erste weibliche Kongressabgeordnete vietnamesischer Abstammung und galt als aufstrebende Zukunftshoffnung, zudem sei sie eine gute Wahlkämpferin.

Schlechte Zeichen für die eigene Partei

Murphy könnte den Demokraten im Herbst bei der Verteidigung ihrer dünnen Mehrheit noch schmerzhaft fehlen, meint CNN, ebenso wie andere wichtige Vertreter wie John Yarmuth, der im Budgetausschuss sitzt. Das mit den Weggängen an die Politiker und Politikerinnen der eigenen Partei gesendete Zeichen sei klar, so CNN: Die Lage ist schlimm, keine Besserung in Sicht, jetzt ist die Zeit, um alles hinter sich zu lassen. Entsprechend könnte es noch mehr Rücktritte geben.

Viele Demokraten würden die kommenden Monate vor den Midterms als letzte Chance sehen, um ihre politische Agenda voranzubringen, so die „Washington Post“, denn für die Demokraten steht die Mehrheit in beiden Kammern auf dem Spiel – entsprechend scharf seien auch die Reaktionen ausgefallen.

Manchin könnte aber auch im eigenen, republikanisch dominierten Bundesstaat West Virginia, wo der frühere US-Präsident Donald Trump eine satte Mehrheit erzielte, ein schärferer Wind entgegenwehen, würden doch gerade dort die meisten Familien und vor allem Kinder profitieren, schreibt der „New Yorker“.