Corona-Impftag in Graz
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Coronavirus

Omikron und der Wert des Boosters

Österreich steht in den kommenden Wochen eine starke Omikron-Welle ins Haus. Die Variante kann das menschliche Immunsystem teilweise umgehen und auch Geimpfte infizieren. Angesichts dieser Eigenschaften kommt dem Booster eine besondere Rolle zu, sagen Fachleute – vor allem bei der Verhinderung schwerer Krankheitsverläufe.

In vielen europäischen Staaten sorgt die Omikron-Variante momentan für Höchstwerte bei den täglichen Neuinfektionen. Darunter befinden sich Länder wie Dänemark, Spanien und Portugal, in denen die Durchimpfungsraten besonders hoch sind. Omikron kann sich der Antikörperantwort – der ersten Verteidigungslinie des menschlichen Immunsystems – entziehen und auch Genesene und Geimpfte infizieren.

Ihren eigentlichen Zweck – die Verhinderung schwerer Verläufe – dürfte die zweifache Impfung aber auch im Fall von Omikron erfüllen, wie erste Untersuchungen aus Großbritannien und Südafrika nahelegen. Das gilt sowohl für die mRNA-Vakzine von Biontech und Pfizer und Moderna als auch für den Vektorimpfstoff von AstraZeneca. Der Booster dürfte die Wirkung nochmals erhöhen. Das Nationale Impfgremium (NIG) geht davon aus, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung nach der dritten Impfung für mindestens neun Monate gegeben ist.

Fragen zum Schutz vor Infektionen

Komplexer ist das Bild beim Unterbinden der Ansteckung. Ganz allgemein nimmt der Schutz vor einer CoV-Infektion mit der Zeit deutlich ab. Während der Delta-Welle im Herbst konnte mit Hilfe der Auffrischungsimpfung effektiv gegengesteuert werden. Eine im Herbst in Israel durchgeführte Studie mit 300.000 Teilnehmenden zeigte, dass dreifach Geimpfte ein fast 90 Prozent geringeres Risiko eines Impfdurchbruchs hatten.

Aus ersten Forschungsarbeiten zu Omikron geht hervor, dass die nach dem Boostern erzeugten Antikörper auch gegen die neue Variante wirksam sind – allerdings nicht ganz so effektiv wie gegen Delta. Der Schutz vor einer Omikron-Infektion dürfte zudem schneller nachlassen, als das noch bei Delta der Fall war. Laut britischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fällt der Schutz vor Infektion mit leichten Symptomen bei mRNA-Boostern ab der zehnten Woche nach Verabreichung merklich ab.

Aber was bedeutet das für Österreich? Wer sich den dritten Stich holt, ehe die Omikron-Welle hierzulande Fahrt aufnimmt, dürfte damit auch das Risiko einer Ansteckung reduzieren können. Das gilt auch für Genesene. Fachleute raten allerdings dazu, dass sich Geboosterte im Fall einer Omikron-Welle nicht nur auf ihren Impfschutz verlassen sollten. Maßnahmen wie das Tragen einer FFP2-Maske in Innenräumen, die Vermeidung von Menschenansammlungen und das Einhalten von Abstands- und Hygieneregeln bleiben wichtig.

Kaputte Viren

Wie häufig Omikron-Durchbruchsinfektionen mit leichten Symptomen bei Geboosterten insgesamt auftreten werden, lässt sich schwer abschätzen. Ebenso unklar ist, wie stark Betroffene den Erreger weitergeben können. Bei Delta zeigte sich, dass Geimpfte im Fall einer Durchbruchsinfektion eine ähnliche hohe Viruslast im Nasen-Rachen-Raum trugen wie Ungeimpfte.

Allerdings sank die Last wesentlich schneller wieder ab. Und die gebildeten Antikörper hatten die Viren, vereinfacht gesagt, oftmals so stark beschädigt, dass diese nicht mehr infektiös waren. Ob solche Effekte auch bei Omikron-Infektionen auftreten werden, wird noch erforscht.

Vierter Stich

Angesichts der nachlassenden Wirksamkeit der dritten Impfung gegen leichte Verläufe stellt sich die Frage nach weiteren Auffrischungsimpfungen. Israel will den vierten Stich vorerst nur Menschen mit Immunschwäche geben. Gesundheitspersonal und über 60-Jährige sollen im Moment nicht ein viertes Mal geimpft werden.

Anders in Österreich: „In Anbetracht einer drohenden Omikron-Welle kann diese jedoch in Hochrisikobereichen (z. B. exponiertes Gesundheitspersonal) sowie in systemkritischen Bereichen ab sechs Monaten nach der dritten Impfung angeboten werden“, heißt es in den aktuellen Anwendungsempfehlungen des NIG.

Diese solle aber nur nach ärztlicher Individualeinschätzung und auf Wunsch der zu impfenden Person erfolgen („Off Label“). Es gebe noch keine Evidenz, dass diese zusätzliche Impfung Infektionen vermeiden kann. „Es ist jedoch davon auszugehen, dass damit schwere Erkrankungen vermieden werden können“, so das NIG.

Vollständiges Impfzertifikat erst nach drei Stichen

Die Zeichen stehen jedenfalls auch politisch darauf, dass das Impfschema gegen CoV künftig drei statt zwei Teile umfasst. „Die dritte Impfung hat man als Booster- oder Auffrischungsimpfung bezeichnet. Inzwischen kann man sagen, dass es eigentlich eine dreiteilige Impfung ist“, sagte der Infektiologe Marton Szell, der Mitglied des NIG ist.

„Die juristischen Ausformulierungen hängen immer ein bisschen nach“, so Szell gegenüber ORF.at. Die EU-Kommission hat bereits vorgeschlagen, die Gültigkeit der Impfzertifikate zu verkürzen. Als „vollständig geimpft“ sollen nur noch jene gelten, die drei Impfdosen erhalten haben.

Hersteller arbeiten an angepassten Impfstoffen

Eine weitere große Frage betrifft die Entwicklung angepasster Impfstoffe gegen Omikron. „Alle Experten sagen, dass jetzt wahrscheinlich der Zeitpunkt ist, den Impfstoff zu adaptieren“, sagte Szell. Omikron weist im Vergleich zum Wildtyp über 30 Mutationen am Spike-Protein auf, mit dem das Virus in die Zelle eindringt. Es könne durchaus sein, dass künftige Auffrischungsimpfungen mehr als einen Virusstamm abdecken, „um eine möglichst große Palette möglicher Veränderungen des Spike-Proteins abzudecken“, sagte Szell.

Die Entwicklungen solcher Präparate laufen. Biontech und Pfizer sowie Moderna bereiten ihre Mittel bereits seit Monaten auf mögliche Mutationen des Coronavirus vor – unter anderem mit klinischen Untersuchungen. „Diese Studien haben gezeigt, dass Variantenimpfstoffe gleich gut vertragen werden und ähnliche Symptome zeigen wie das Originalvakzin gegen den Wildtyp“, sagte Biontech-Gründer Ugur Sahin.

Der US-Hersteller Moderna hat Ende November mit der Anpassung seines mRNA-Impfstoffes speziell gegen die Omikron-Variante begonnen. „Wir haben multivalente Kandidaten, die schon auf frühere Varianten wie Beta oder Delta optimiert wurden und die bereits in der klinischen Prüfung sind“, sagte Deutschland-Geschäftsführer Gerald Wiegand. Auch AstraZeneca hat nach eigenen Angaben erste Schritte unternommen, um einen Omikron-Impfstoff zu produzieren.

Die angepassten Impfstoffe müssten nicht mehr das komplette Zulassungsverfahren der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) durchlaufen. Eine klinische Testreihe über die Wirksamkeit mit einer geringen Zahl von Teilnehmenden ist ausreichend.

Novavax als Booster geeignet

Seit Kurzem ist in der EU mit Nuvaxovid ein fünfter Impfstoff zugelassen. Das proteinbasierte Vakzin der Firma Novavax wird in zwei Dosen im Abstand von drei Wochen verabreicht. In Studien schnitt Nuvaxovid sehr gut ab, schwere Verläufe konnte das Vakzin zu 90 Prozent verhindern. Ende Jänner sollen die ersten Lieferungen in Österreich eintreffen.

Impfstoff von Novavax
APA/AFP/Justin Tallis
Der CoV-Impfstoff der Firma Novavax wurde vor Kurzem in der EU zugelassen – erste Lieferungen nach Österreich sollen Ende Jänner erfolgen

Szell sieht zwei Einsatzgebiete für den Impfstoff: „Einerseits zum Boostern. Es hat sich gezeigt, dass heterologe Kombinationen sinnvoll sind, weil sie die Immunantwort breiter macht.“ Heterolog bedeutet, dass Impfstoffe verschiedener Hersteller zum Einsatz kommen. Andererseits wäre das Vakzin etwas für Personen, die auf den „Totimpfstoff“ gewartet hätten, so Szell. „Wie viele Personen das betrifft, kann ich aber nicht abschätzen“, sagte der Infektiologe.