Neo (Keanu Reeves) und Trinity (Carrie-Anne Moss) Matrix: Resurrections
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„Matrix Resurrections“

Keanu Reeves und die rote Pille

Das Spiel mit den Metaebenen geht weiter: „Matrix Resurrections“ nimmt den Faden auf, der 2003 mit dem Abschluss der „Matrix“-Trilogie abgerissen schien. Dabei muss Keanu Reeves als Neo noch einmal herausfinden, ob die Realität nur eine Illusion ist. Die Forstsetzung beweist Sinn für Humor und macht sich über die Unterhaltungsindustrie und ihre Fortsetzungsgier lustig.

Der Auserwählte ist doch nicht tot, eine junge Hackerin hat ihn wiedergefunden, und die Liebe bekommt eine zweite Chance. So weit die gute Nachricht aus „Matrix Resurrections“, in dem der Programmierer Thomas Anderson (Reeves) alias Neo erneut als widerwilliger Retter der Menschheit auftritt, 18 Jahre nach dem eigentlichen Abschluss der „Matrix“-Trilogie. In diesem vierten Teil nun knüpft Lana Wachowski, die diesmal allein Regie führt, an fast alle abgerissenen Erzählfäden von damals wieder an.

Die Motivation für die Wiederaufnahme war vor allem emotional, so Wachowski, die vor einigen Jahren gemeinsam mit ihrer Frau ihre sterbenden Eltern bis zuletzt begleitete. „In der Trauer um meine sterbenden Eltern wollte ich eine Geschichte erfinden, die tröstlich war. Also habe ich diese zwei Figuren, die tot waren, wiederauferweckt, Neo und Trinity.“ Es war die Liebe zwischen den beiden, die in „Matrix“ großen Anteil an der Rettung der Menschheit hatte, doch das war nicht der Grund, weswegen diese Filme damals so großen Einfluss hatten.

Zur Erinnerung: Die Wirklichkeit ist nur eine maschinengemachte Illusion, nur wenige blicken hinter die Kulissen, und wer den anderen diese brutale Wahrheit näherbringen will, muss damit rechnen, von den Agenten der „Matrix“ gejagt zu werden. Als 1999 die Wachowski-Geschwister „Matrix“ vorlegten, ging ein Beben durch die Popkultur. Vor allem visuell war der Film revolutionär.

Die Wirklichkeit als Illusion

Die unter dem Schlagwort „Bullet Time“ berühmt gewordenen Actionsequenzen, in denen die Zeit im Film wie eingefroren ist, während die Kamera sich weiterbewegt, wurden in den folgenden Jahren dutzendfach kopiert und persifliert. Die visuelle Überwältigung war jedoch nur die Verpackung für eine komplexe Weltkonstruktion, die zwar Anleihen aus vielen anderen Science-Fiction-Narrativen nahm, aber einen eigenen Mythos begründete.

In dieser Welt war fast die gesamte Menschheit von intelligenten Maschinen versklavt und zu bloßen Energielieferanten degradiert worden, die in Inkubatoren träumend vor sich hin vegetierten. Das, was die meisten Menschen für die Realität hielten, war nur eine Illusion namens „Matrix“, mit freiem Auge lediglich an kleinen Programmierfehlern erkennbar, die sich als Deja-vus materialisierten.

Nimm die rote Pille!

Nur wer innerhalb dieser Illusion die Wahl angeboten bekam, entweder die blaue Pille zu schlucken und weiter an die Matrix zu glauben, oder die mittlerweile sprichwörtliche rote Pille, um in der tristen dystopischen Realität aufzuwachen, hatte die Chance auf die Wahrheit. Dieses Bild, speziell der Begriff des „Redpillings“, wurde ironischerweise ausgerechnet von der amerikanischen Alt-Right-Bewegung, von Männerrechtlern und anderen Verschwörungsmythos-Gläubigen aufgenommen.

Filmszene aus Matrix: Resurrections
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Nun, lieber Neo, musst du dich entscheiden

Verkehrt ist diese Interpretation deswegen, weil die „Matrix“-Welt wohl vor allem mit Kapitalismuskritik und der beim ersten Film noch unbekannten Transidentität der Regisseurinnen zu tun hatte, die seit 2009 bzw. 2016 als Frauen leben. Die Bestätigung dieser Lesart kommt nun in „Matrix Resurrections“ vor, in einer medienkritischen, humorvollen Szene in einem Gaming-Unternehmen.

Fortsetzungsgier der Entertainmentindustrie

Thomas lebt mittlerweile in einer rebooteten Version der Matrix, und erinnert sich nur vage an die Erlebnisse aus der Trilogie. Manchmal begegnet ihm im Coffeeshop, der – Achtung, Wortwitz! – „Simulatte“ heißt, eine Frau (Carrie-Anne Moss), die in ihm Sehnsucht nach einer früheren Person namens Trinity weckt. Thomas ist legendärer Computerspielprogrammierer, vor fast 20 Jahren hat er mit den drei „Matrix“-Games große Erfolge gefeiert.

Actionszene in Matrix: Resurrections
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Die Actionszenen des ersten „Matrix“-Films schrieben Kinogeschichte, in „Resurrctions“ wirken sie bemüht

Dass er bestimmte Dinge für Erinnerungen hält, erklärt sein Psychoanalytiker (Neil Patrick Harris) mit einer besonders lebhaften Fantasie und gelegentlichen psychotischen Episoden, die er aber mit blauen Psychopillen in Schach halten soll. Nun soll ein vierter Teil des Spiels rauskommen, die Fans wollen es, und Fortsetzungen verkaufen sich ja so gut. Als kurz danach Bewaffnete das Büro der Gaming-Firma stürmen und Dutzende ermorden, gelingt es Thomas nur dank einer anonymen Handynachricht, die ihn in Sicherheit leitet, zu entkommen.

Doch als er dort einem Mann gegenübersteht, der sich als Morpheus vorstellt und ihm eine blaue und eine rote Pille hinhält, weigert er sich – nicht, weil diese Welt so schön wäre, sondern weil er ahnt, dass Schlimmes auf ihn zukommt. Doch was geschrieben steht, sei es in Code oder im Schicksal, lässt sich nicht aufhalten.

Lange Erklärmonologe

„Resurrections“ ist eine Weitererzählung auf allen Ebenen, die allzu hohe Erwartungen aber nur enttäuschen kann. Neue visuelle Maßstäbe setzt der Film nicht, die Actionsequenzen wirken eher bemüht. Ein Problem ist auch die Geschwätzigkeit des Films: Weil all die Gründe, weshalb Neo und später auch Trinity doch weiterleben, nicht in den ohnehin schon überlangen Film passen, gibt es lange Monologpassagen, in denen Charaktere erklären, was wie und warum geschehen ist.

Der Film ist nicht nur eine Fortsetzung, sondern auch ein Metafilm zur ohnehin an Metaebenen überfrachteten Trilogie. Besonders im ersten Viertel gibt es viele Witze über die Unterhaltungsindustrie und ihre Fortsetzungen-Remake-Wiederauflagen-Gier. Später wird der Film dann zu einer ernsthaften Feier der einen großen Liebe, während immer wieder schelmische Funken aufblitzen.

Filmszene aus Matrix: Resurrections
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„Bin ich verrückt?“ – „Wir verwenden solche Worte nicht.“ Beim Analytiker (Neil Patrick Harris) bekommt Thomas nur falsche Antworten.

Außerdem wird deutlich, wie viele Filme sich inzwischen die Methode der Weltkonstruktion von „Matrix“ inzwischen abgeschaut haben, allein im vergangenen Filmjahr waren es unter anderem Mike Cahills hanebüchener Science-Fiction-Schmarrn „Bliss“ und Shawn Levys „Free Guy“ um einen braven Bankangestellten, der feststellt, nur eine nicht spielbare Computerspielfigur zu sein.

Natürlich gibt es auch diesmal wieder einen gewaltigen philosophischen Überbau, der von der Macht der Liebe erzählt, und der Verwandtschaft der Gefühle Hoffnung und Verzweiflung. Manches davon scheint direkt mit der Gegenwart zu kommunizieren, etwa ein Kommentar des Analytikers zur Geschichtensucht der Menschheit, die größer ist als ihr Vertrauen in Fakten. Was sicher ist: Der Film wird auch diesmal Dutzende Interpretationen zulassen. Die „Matrix Resurrections“-Exegese kann beginnen.