Corona-Medikament Molnupiravir
APA/AFP/Merck & Co inc.
Kein „Game-Changer“

CoV-Medikamente bald in Österreich

Noch im Dezember soll die CoV-Pille Molnupiravir in Österreich unter strengen Auflagen für geeignete Personen erhältlich sein. Eine Impfung kann sie aber keinesfalls ersetzen, sagen Fachleute. Zudem werden vor allem zu Beginn die Produktionsmengen so klein sein, dass die Vergabe stark limitiert wird.

In absehbarer Zeit wird es auch in Österreich die ersten Medikamente in Tablettenform gegen Covid-19 geben. Doch die Verfügbarkeit wird zu Beginn extrem beschränkt, die Anwendung anhaltend an strikte Voraussetzungen gekoppelt sein. Führende Fachleute erklärten bei einem Gespräch der Allgemeinmedizin-Initiative AM Plus in Wien, dass es sich dabei nicht um einen „Game-Changer“ handle. Die Covid-19-Impfung bleibe das Um und Auf der Bekämpfung der Pandemie.

„Das Wichtigste ist immer die Impfung. Danach kommt lange nichts, dann wieder nichts – und dann erst Medikamente“, sagte der Wiener Infektiologe Florian Thalhammer von der MedUni Wien. Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin der Medizinmarktaufsicht der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), sagte: „Alle diese Medikamente sind keine ‚Game-Changer‘.“

Soll schweren Verlauf verhindern

Einen Fortschritt stellten die neuen Arzneimittel trotzdem dar: Es handelt sich um das in Großbritannien bereits zugelassene und schon in nächster Zukunft auch in Österreich in sehr beschränktem Ausmaß in einem Spezialprogramm („Compassionate Use“) zur Verfügung stehende Molnupiravir. Das Produkt stammt von den Herstellern Merck, Sharp und Dohme und erhielt am Donnerstag in den USA eine Notfallzulassung für Risikopatienten ab 18 Jahren. Das in Europa auch unter dem Namen Lagevrio bekannte Medikament ist zur Behandlung von Covid-19-Erkrankungen mit leichten bis mittelschweren Symptomen gedacht und soll einen schweren Krankheitsverlauf verhindern.

Das zweite infrage kommende Medikament ist die derzeit in den USA in Notzulassung registrierte SARS-CoV-2-Proteasehemmer-Kombinationstherapie Nirmatrelvir/Ritonavir von Pfizer. Beide Therapien befinden sich bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) in Begutachtung. Im Gegensatz zu monoklonalen Antikörpern, die vor allem in Kliniken eingesetzt werden, sind sie für die Verwendung außerhalb von Krankenhäusern vorgesehen.

Synthetisch produziert

Die Wirkungsmechanismen: Molnupiravir wirkt, indem es mit SARS-CoV-2-infizierten Zellen, die neue Partikel produzieren, falsche RNA-Bausteine unterjubelt und so zum Abbruch der Virusreplikation führt. Nirmatrelvir hemmt ein wichtiges SARS-CoV-2-Proteaseenzym. Das unterdrückt die Reifung und Infektiosität der Covid-19-Erreger. Die zusätzliche Substanz Ritonavir als zweiter Proteasehemmer soll den Abbau von Nirmatrelvir verzögern.

Der Vorteil: Bei beiden Arzneimitteln handelt es sich um synthetisch produzierbare Wirkstoffe. Sie werden zur oralen Einnahme zur Verfügung stehen. Diese erfolgt über fünf Tage hinweg.

Wirksam, aber „kein Wundermittel“

Doch es gibt zahlreiche Einschränkungen: Die vor wenigen Tagen im „New England Journal of Medicine“ publizierte Phase-III-Studie zu Wirksamkeit und Verträglichkeit von Molnupiravir zeigte eine dreißigprozentige Reduktion der Häufigkeit von Spitalsaufnahmen und Todesfällen bei Covid-19-Patienten mit anfänglich mildem bis moderatem Krankheitsverlauf und zumindest einem Risikofaktor (Alter über 60, Adipositas, chronische Nierenerkrankung, Diabetes, Krebs etc.). Es zeigte sich ohne Zweifel ein signifikanter Effekt, doch „Wundermittel“ ist Molnupiravir keines.

Ein positiver Aspekt, wie Thalhammer darstellte: Nach drei Tagen war nur noch bei fünf Prozent der Behandelten eine Virusausscheidung gegeben, nach fünf Tagen bei keinem der Probanden. Nirmatrelvir/Ritonavir hat nach den bisher vorliegenden Daten die Potenz zu einer gar 89-prozentigen Risikoreduktion (schwerer Verlauf, Todesfälle).

Schwangere und Kinder kommen für diese Therapien nicht infrage. Es können auch schwere Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auftreten.

Überwachtes Abgabesystem

Die wohl größte Einschränkung: Die Produktionsmengen werden bei beiden Arzneimitteln zu Beginn viel zu gering sein, um sie frei verschreibbar und verfügbar zu machen. Das bedeutet, dass in Österreich ein System zur Anwendung kommen wird, das bereits bei dem ehemals ebenso knappen Remdesivir bzw. anderen ersten Covid-19-Therapien benutzt wurde: In jedem Bundesland fungiert eine Spitalsapotheke als zentrale Covid-19-Apotheke.

Je Bundesland wird der Bedarf an den Arzneimitteln erhoben, das hängt zum Beispiel auch von den regionalen Covid-19-Inzidenzraten ab. Die Spitalsapotheke bestellt die notwendigen Mengen. Dann erfolgt von dort aus die Verteilung. Die Daten werden an die Medizinmarktaufsicht zurückgesendet, wo man die Aktivitäten beobachtet. Dadurch soll eine möglichst gerechte und sachkundige Anwendung sichergestellt werden.

Man rechnet damit, dass die ersten rund 12.000 Packungen Molnupiravir etwa ab dem 28. Dezember in dem „Compassionate Use“-System verfügbar sein werden. Die einzelnen Bundesländer werden wohl – die Großstadt Wien ist anders strukturiert als „Flächenbundesländer“ – die Abwicklung nach ihren regionalen Gegebenheiten organisieren müssen.

Warten auf Zulassung

Da sich aber sowohl Molnupiravir als auch Nirmatrelvier/Ritonavir in Begutachtung der EMA befinden, ist nach den Vorbildern in Großbritannien (Molnupiravir) und den USA (Kombitherapie) in nächster Zukunft in der EU mit Zulassungen zu rechnen. Erst dann könnten die Covid-19-Medikamente zum Beispiel auch durch Hausärzte freier verschreibbar werden. Es bleibt allerdings die Einschränkung der mengenmäßigen Verfügbarkeit und der strikten Voraussetzung in der Auswahl dafür geeigneter Patienten. Die entsprechenden Regelungen für die Abwicklung müssen noch erstellt werden.

Die erste Voraussetzung: eine labormäßig dokumentierte akute SARS-CoV-Infektion. „Je früher die Arzneimittel dann eingenommen werden, desto besser“, sagte Thalhammer. Ähnlich wie bei den spezifisch wirkenden Influenza-Medikamenten geht man am ehesten von einer Einnahme binnen am besten zwei bis drei Tagen nach Auftreten von Symptomen aus.

Etliche Hürden

Erwin Rebhandl, Präsident von AM Plus, seit Jahrzehnten in Oberösterreich als Hausarzt tätig und mittlerweile Mitbetreiber eines Primärversorgungszentrums, fasste die Bedingungen so zusammen: „Wir brauchen einen positiven PCR-Test. Dann brauchen wir eine genaue Definition, wer zu den Risikopersonen gehört (Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufes, Anm.). Wir müssen den Zeitfaktor berücksichtigen. Die Finanzierung muss geregelt sein – und wir brauchen die Medikamente in der Ordinationssoftware.“ Letzteres würde erst die einfache Überprüfung auf Wechselwirkungen zu einer sonst bestehenden Medikation schnell erlauben.

Österreich ist bei den beiden medikamentösen Therapien im internationalen Vergleich wahrscheinlich recht früh dran. Molnupiravir ist beispielsweise bis vor einer Woche weltweit noch nirgends außerhalb von klinischen Studien angewendet worden, erklärte Wirthumer-Hoche. Man sollte die Zeit jetzt nützen, um sich optimal auf diese Herausforderungen vorzubereiten. Priorität habe nun, die Zeit für zusätzliche Erstimpfungen und die dritte Teilimpfung zu nützen.